Horda Azzuro

Ein Einblick in die Jenaer Fanszene

Südkurve. Ernst-Abbe-Sportfeld. Samstag Nachmittag. FC Carl Zeiss Jena gegen SV Darmstadt 98. Als Außenstehende erhoffe ich mir eine pulsierende Stimmung im Stadion. Diese Erwartung wird heute leider nicht erfüllt. Aufgrund der derzeitigen Leistung der Heimmannschaft haben sich die Fans intern zu einem Jubelboykott entschlossen. „Wir wollen glaubwürdig bleiben, denn wir investieren viel und das sollten die Spieler auch tun!“, kommentiert Alex, ein Gründungsmitglied der Horda Azzuro. Kurz gesagt: keine Gesänge, keine Trommeln und keine Fahnen. Das Einzige, was auf ein traditionelles Fußballspiel hinweist, sind die Spieler auf dem Feld und die Schals und Jacken in den Vereinsfarben auf der Tribüne. Ungewöhnlich für den FCC ist, dass schon nach 16 Sekunden das erste Tor fällt. Noch nicht ganz in der Südkurve angekommen und sehe ich schon die ersten strahlenden Gesichter.
Ultras eilt der Ruf voraus, dass sie bei den Spielen zu aggressivem Verhalten neigen. Davon ist an diesem Tag nichts zu spüren. Keine Schlägereien und die Beleidungen richten sich nur an die Gegenspieler: „Du Wichser, verpiss dich!“ In spannenden Momenten des Spiels packt die Euphorie das Publikum letztlich doch: „Die Liebe zum Verein bleibt auch in schlechten Zeiten bestehen.“
Halbzeit. Der aktuelle Spielstand ist 2:1. Es sieht gut aus für den FCC. Ich erfahre nun, was es mit der Horda auf sich hat: Die Horda Azzuro ist eine Fangemeinschaft, bei der es nicht nur um Fußball geht. Heute stellen sie sich als eine Ultragruppierung dar, in ihren Anfängen bezeichneten sie sich noch als einfache Fans. Alex erklärt: „Ich bin ja nicht automatisch Hip Hopper, nur weil ich mir Baggy-Pants kaufe.“ Die bestehende Ultrabewegung existiert nun seit mehr als zehn Jahren, erzählt Alex in gemütlicher Runde bei einem von der Horda gesponserten Bier. Entgegen vieler Klischees gehe es nicht um Krawall und ein sinnloses Besäufnis am Spielfeldrand. Sie präsentieren sich als zuvorkommende und sympathische Fußballliebhaber. Außerdem engagieren sie sich unter anderem für soziale Einrichtungen wie die Hintertorperspektive e.V., gegründet von drei Mitgliedern der Horda. Diese Institution versteht sich nicht ausschließlich als Projekt der Fangemeinde, sondern bildet ein eigenständiges Konstrukt integrativer Arbeit, das einen Fussballbezug trotzdem nicht außer Acht lässt.

Wir fahren meistens Zug

Seit ihrer Gründung wird auf Sponsoren verzichtet: Sie finanzieren sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Getränken, Essen und Fanartikeln (wie selbstentworfenen Stickern, Buttons und Schals). Bevor wir zum Spiel aufbrachen, verblieben wir eine Weile an deren Stand, um einen Einblick in das Repertoire der Ultras zu bekommen. Es wird nicht nur viel Zeit und Herzblut jedes Einzelnen investiert. Die Choreografien und Fahrten zu den Auswärtsspielen erfordern auch einen großen finanziellen Aufwand. „Wir fahren meistens mit dem Zug, damit es für alle so kostengünstig wie möglich bleibt.“, erklärt Alex.

Oft an der Grenze der Legalität

Die Horda umfasst mittlerweile 40 Mitglieder, die aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten kommen. Jeder würde die Hand für den anderen ins Feuer legen. Anzusehen ist ihnen ihre Gruppenzugehörigkeit nicht unbedingt, abgesehen davon, dass sie fast alle Bart tragen und kaum einer von ihnen mit Fanartikeln bekleidet ist. Wer sich für eine Mitgliedschaft interessiert, wird zunächst Teil der Nachwuchsgruppierung Harakiri, in der sich jedes neue Mitglied erstmals in puncto  Vertrauen und Verantwortung bewähren muss. Dies ist als Absicherung der Gruppe zu verstehen, da sie oft an die Grenzen der Legalität gehen, wie beim Zünden von Pyrotechnik. Einen Rückhalt hierfür gewährt das „Fanprojekt“, denn es unterstützt sie vor allem in rechtlichen Angelegenheiten. Die gute Seele des Vereins ist Matthias Stein, der die Horda Azzuro schon in ihren Anfängen unterstützte. Auch er hat sich nach dem Spiel noch für ein paar Fragen Zeit genommen und hat einen großen Haufen  Infomaterial dabei.

„Wer Thor Steinar trägt, fliegt!“

Entgegen vieler Vorurteile ist die Horda Azzuro eine Ultragruppe, die sich politisch engagiert und explizit gegen Rassismus positioniert: „Wer Thor Steinar trägt, fliegt aus dem Stadion“, verkündet eines der Mitglieder. Die Zeit vergeht während des Fußballspiels in Windeseile und langsam habe ich genug davon mir die Beine in den Bauch zu stehen, aber das war mal ein erfolgreicher Nachmittag in geselliger Runde. 2:1. Der FC Carl Zeiss Jena hat gesiegt. Die Freude der Zuschauer hält sich in Grenzen. „Wir haben uns damit abgefunden, dass unser Verein absteigt“, fügt Alex nach dem Spiel noch hinzu.
Der FCC wird zwar weiter bestehen, dennoch ist er in Gefahr, da ein Verlust der Werbeträger droht. Auch wenn man Fußball nicht besonders mag, macht es trotzdem Spaß mit der Horda zu einem Spiel zu gehen.

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