Wo ist dieses Menschenrecht?

Theaterstück „My heart will go on“ bleibt nicht folgenlos




Begrüflungskomitee: Hamzan Barakat wird in „My heart will go on“ wie im echten Leben wenig herzlich empfangen.

Foto: Fotos: Christoph Worsch

„Hey! Hey du da, wo kommst du her? Wo willst du hin? Und was hast du überhaupt hier zu suchen? Zeig deine Papiere her, sofort! Ich habë doch nicht den ganzen Tag Zeit — verdammt nochmal. Wie, du verstehst mich nicht? Was denkst du, wer du bist? Und was glaubst du, wo du hier bist? In Deutschland, mein Freund“, bekommt ein Reisender mit einem verduzten Gesichtsausdruck von einem Sicherheitsbeamten entgegen geschrien.

Nein, so wird nicht jeder Mensch am Flughafen begrüflt, nicht die amerikanische Geschäftsfrau und auch nicht der Tourist aus Frankreich. Diese Worte bekommen nur die Unerwünschten zu hören. Die Menschen, die nicht nach Deutschland kommen, um Geschäfte abzuwickeln, sondern die, deren letzte Hoffnung es ist, hier Asyl zu bekommen.
Gemeinsam mit Menschen der Flüchtlingsselbstorganisation „The Voice“ inszenierte die Berliner Autorin Claudia Grehn das Theaterstück „My heart will go on“ am Jenaer Theaterhaus. Die Besonderheit dieses Projekts wird an vielen Stellen deutlich. Es gab kein fertiges Skript, keinen sicheren Plan und nicht alle Darsteller sind ausgebildete Schauspieler. Das Theaterprojekt war stets ein laufender Prozess. Es ist eine Recherchearbeit, die versucht Antworten auf viele Fragen zu finden. Was es bedeutet, aus der Heimat fliehen zu müssen, um Verfolgung oder dem Tod zu entkommen. Wer diese Menschen sind, die in den Medien als Teil der „unkontrollierten Zuwanderung“ beschrieben werden. Wie Flüchtlinge in Deutschland leben — einem Land, das sich die „Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten“ auf die Fahnen schreibt. Um all diese Aspekte zu beleuchten, wurden weder Experten noch Politiker angehört, sondern die Menschen, die am besten wissen, was in Deutschland passiert, wenn es um Migration und die Alltagserfahrung von Flüchtlingen geht — sie selbst. „Diese Menschen sind es, die uns zeigen, wie man kämpft“, sagt die Autorin. Das Stück gewährt dem Zuschauer einen Einblick in das Leben eines Flüchtlings in Deutschland. Warum dieses oft die Grenze der Menschenwürde unterschreittet und ob nicht eine lebenswerte Alternative geschaffen werden kann, darüber muss das Publikum sich selbst ein Urteil bilden.

Klasse der Entrechteten

Die Erlebnisse von Thüringer Flüchtlingen waren nicht nur Grundlage, sondern auch der Inhalt des Stücks. Die meisten Darsteller sind oder waren Flüchtlinge und bekamen durch dieses Projekt einen Raum, um ihre eigene Geschichte, ihre Gedanken und Gefühle zu zeigen. Wie verwirrend, abstrus und unglaubwürdig das Schauspiel auf den Zuschauer auch wirken mag, nichts von all dem musste erdacht werden — hinter jeder Szene stecken wahre Erlebnisse. Auf eine neuartige und eindrucksvolle Weise schildert das Theaterstück die deutsche Politik der Kategorisierung, die Diskriminierung unter dem Deckmantel des Gesetzes und den Kampf um Demokratie, der nur durch die Kraft der Solidarität gewonnen werden kann.
Die Wirkung von „My heart will go on“ bleibt nicht aus. Die emotionale Betroffenheit ist im gesamten Gebäude des Theaters während und nach der Aufführung spürbar. Dieses Stück ist nicht einfach nur ein Schauspiel. Es soll uns zeigen, was genau vor unseren Augen passiert und für die meisten dennoch unsichtbar bleibt.
Eine weitere Wirkung bekamen die Darsteller selbst zu spüren, als zwei von ihnen, dem Ehepaar Olesia „Sarah“ und Miloud Lahmar Cherif, im Anschluss an die Premiere des Stückes mit der Abschiebung durch die Ausländerbehörde gedroht wurde. Beide leben seit über drei Jahren geduldet in einer Gemeinschaftsunterkunft in Zella-Mehlis. Aufgrund ihres politischen Engagements für die Rechte der Flüchtlinge und gegen menschenunwürdige Behandlungen, wird ihnen mit Sanktionen gedroht. Doch trotzdem geben sie nicht auf, nicht nur um ihrer selbst Willen, sondern auch, um eine Verbesserung der Situation für alle Flüchtlinge in Deutschland zu erreichen. „Wir wollen nicht gezwungen werden, in einem Land zu leben, in dem wir uns nicht sicher fühlen. Es ist unser Recht zu entscheiden, wo wir leben wollen — dafür werden wir weiter kämpfen,“ schreibt Miloud Lahmar Cherif in einer Erklärung als Reaktion auf den Abschiebebescheid. Das Theaterstück „My heart will go on“ geht über die Kunst und über die Grenzen Jenas hinaus.

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