Der Problem-Bunker

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Warum die Zustände in der Erziehungswissenschaft untragbar sind

Von Anna Zimmermann und Kay Abendroth




Foto: Katharina Schmidt

„Leute, geht zur Univerwaltung, klagt ein: Wir brauchen Kapazitäten!“, sagt Andreas Gröschner. Dieser Ausspruch des Mitarbeiters am Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie ist an der Hochschule heute universell einsetzbar. In besonderem Maße ist aber die Erziehungswissenschaft betroffen: Im Moment sind vier Lehrstühle und Professuren nur in Vertretung besetzt. Zwei der Stellen warten seit fünf bzw. sechs Semestern auf einen Nachfolger, die anderen beiden wurden vor einigen Monaten kurzfristig frei. Tina Seidel, ehemalige Leiterin des Lehrstuhls für Pädagogische Psychologie, wechselte gar mit ihrem gesamten Mitarbeiterstab den Arbeitgeber. In der Summe ergibt sich für die Erziehungswissenschaft daraus eine prekäre Situation.

Massive Belastung

In der Außenwirkung der Uni oft nur marginal wahrgenommen, ist das Institut für Erziehungswissenschaft mit insgesamt 3544 Studenten laut Institutsdirektorin Michaela Gläser-Zikuda „eines der, kapazitär gesehen, am meisten belasteten Fächer“ der Hochschule. Neben der überschaubaren Zahl an Magister- und Bachelorstudenten besuchen auch alle Lehramtsstudenten Veranstaltungen der Erziehungswissenschaft. Auch sie müssen, was noch wichtiger ist, in diesem Fachbereich geprüft werden. So entsteht für das Institut ein großer Bedarf an Personal, besonders in den Prüfungszeiträumen.
Anfang des Jahres entschloss sich Tina Seidel, einen Ruf der TU München anzunehmen. Dass dieser Weggang mitten im Semester geschah, sorgte für Unruhe unter den Studenten. Sie sahen ihre Modul- und Prüfungsleistungen gefährdet. Informationen über den Weggang waren nur auf Anfrage im Büro der Pädagogischen Psychologie zu erhalten. „Es ist in der wissenschaftlichen Branche nicht üblich, die Studenten zu informieren“, erklärt Seidels Assistent Andreas Gröschner diese sehr bedenkliche Informationspolitik. Professoren bekommen einen Ruf, treten mit dieser und ihrer Heimat-Uni in Verhandlung und entscheiden sich für das beste Angebot. Im Fall von Tina Seidel war dies eindeutig München: Dort hat sie die Möglichkeit, an der School of Education einen neuen Studiengang mit aufzubauen. Die Lehre und damit die Studenten spielen bei diesem anscheinend normalen Entscheidungsprozess eine untergeordnete Rolle.
Weniger normal ist es hingegen, dass der gesamte Mitarbeiterstab einer Professorin mitwechselt. Zwar betont Gläser-Zikuda, dass die Studenten von diesem unerwarteten Personaleinbruch nur „peripher“ betroffen seien, da „diese Mitarbeiter eigentlich nicht in die Lehre involviert“ gewesen seien, ganz unbeeinflusst werden sie aber auch nicht bleiben. Zumindest würden für einen anderen Lehrstuhl eingeplante Lehranteile nun an die Pädagogische Psychologie delegiert, um Leerstellen zu stopfen. Nähere Auskünfte zur derzeitigen Situation wurden verweigert – der Interviewtermin mit Zoltan Samu platzte. Der Lehrstuhlvertreter will sich an die Bitte der Institutsleiterin halten und bis zum Ende des Sommersemesters keine Gespräche mit dem Akrützel führen.

Ewige Bewerbungsverfahren

Ein weiteres Problem sind die langen Bewerbungsphasen für die vertretenen Stellen. Die Professur für Sozialmanagement wird seit fünf Semestern vertreten, Christine Wiezorek vertritt die Professur für Forschungsmethoden sogar bereits im sechsten Semester. Mittlerweile ist das Bewerbungsverfahren in ihrem Bereich in der dritten Runde, soll aber zum Ende des Sommersemesters abgeschlossen sein. Eines der Bewerbungsverfahren, so Wiezorek, sei geplatzt, weil der erste Bewerber erst nach Monaten die Stelle wieder abgesagt hätte. Daraufhin musste die Stelle neu ausgeschrieben werden. Alles in allem sei dies das „übliche Prozedere“. Daneben erwähnt Gläser-Zikuda weitere Bewerber, „die sich leider nicht für Jena entschieden“, und Fehler im Bewerbungsverfahren als weitere Gründe für den langen Verlauf. In der Zwischenzeit werden interne Vertretungen eingesetzt. Dass dies durchaus eine Belastung darstellen kann, bestätigt Christine Wiezorek: „Die eigene Qualifikation fällt hinten runter. Vertretungsprofessoren decken mehr Lehre ab als Juniorprofessoren.“ Dies zieht wiederum nach sich, dass für die eigene Habilitation weniger Zeit bleibt. Langfristige Planungen seien nicht möglich, weder für die Lehrenden noch für die Studenten: Die Abschlussprüfungen müssen frühzeitig angemeldet werden, wodurch nicht garantiert werden kann, wer die Prüfung schlussendlich abnimmt. Das Institut bemüht sich, überhaupt genügend Prüfer zur Verfügung zu stellen.

Urlaub statt Prüfung

Das Problem, dass nicht genügend Personal für die im Sommer anstehenden Bachelor-Arbeiten zur Verfügung steht, kennt auch Janine. Sie studiert Erziehungswissenschaft im Nebenfach. Das Institut löst das Problem ihrer Aussage nach damit, dass „nicht nur Promovierte und Habilitierte die Arbeiten lesen dürfen, sondern alle Mitarbeiter des Instituts.“ Inwieweit damit die Qualität der Beurteilung ihrer Arbeit gesichert ist, ist zumindest fraglich. Damit ist sie immerhin besser dran als ihre Freundin Marie. Sie nahm ein Urlaubssemester und absolvierte ein Praktikum, weil sie keinen für sich geeigneten Prüfer finden konnte.
Für Janine ergeben sich während des Studiums aber noch weitere Schwierigkeiten. Die Kapazitäten reichen zwar rein rechnerisch aus, praktisch ist es aber schwer, geeignete Seminare zu finden. Auf 20 Plätze kommen häufig 80 Bewerber und mehr. Verursacht wird dieses Problem einerseits durch zu wenige Lehrkräfte, andererseits durch die Vielzahl von Lehramtsstudenten. Weil die Zulassungen für Lehramtsstudiengänge über die Fachrichtungen und nicht über das Institut für Erziehungswissenschaft laufen, gibt es dort keinen Überblick über die Studienanfänger. Außerdem empfindet Janine die Kommunikation am Institut als mangelhaft. „Die Modulpläne wurden ständig geändert, auch während des Semesters. Damit änderten sich auch die Prüfungsmodalitäten. Darüber hat uns nie jemand informiert.“
Erst wenn einzelne Studenten im Institut oder im Prüfungsamt konkret nachfragten, konnten Antworten gefunden werden. Um die Kommunikation in alle Richtungen hin zu verbessern, könnte der Fachschaftsrat eine entscheidende Hilfe sein. Momentan tritt er jedoch nicht als starkes Organ der Studenten in Erscheinung. Während der Recherchen beispielsweise verweigert er weitere Auskünfte zur Situation am Institut. Auch wenn es sich bei den Vertretern laut Christine Wiezorek um „engagierte, freundliche Studenten“ handelt, liegt für sie genau darin das Problem: Sie seien einfach zu lieb, müssten „straighter und pfiffiger“ werden – auch wenn die Entwicklungen bereits in die richtige Richtung gingen. Christian, ein Vertreter des FSR, sieht das Kommunikationsproblem wiederum auch im Verhalten der Studenten begründet. Von ihnen käme einfach eine zu geringe Rückmeldung. Auch Gläser-Zikuda erwähnt dies. Sie ruft die Studenten dazu auf, an den öffentlichen Vorträgen im Rahmen des Berufungsverfahrens teilzunehmen und ihre Meinung zu den potentiellen neuen Professoren einzubringen.

Keine Transparenz

Andererseits wehrt sie sich aber dagegen, den Umbauprozess öffentlich und transparent zu machen. Dabei wäre genau jetzt die Gelegenheit, den Studenten mehr Einblick zu gewähren und sie dadurch zu ermutigen, selbst Einfluss auf die Neubesetzungen und damit die Neustrukturierung des Instituts zu nehmen. Auch wenn es bereits eine Zusage der Hochschulleitung über eine personaltechnische Stärkung vor allem im Mittelbau gibt, ist es wichtig, die Bewerbungsverfahren zu verfolgen. Denn mit neuen Professoren werden nicht nur Lehrstühle besetzt, sondern auch Forschungsrichtungen vorgegeben. Erst wenn dieser Umformungsprozess abgeschlossen ist, können sich die Mitarbeiter wieder in Ruhe der Forschung und Lehre widmen.

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