Den Spatz vom Dach geschossen

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Dirk Schattner inszeniert am DNT Edith Piafs Leben in Liedern

Von Anna Zimmermann




Foto: Pedro Malinowski / dnt Auf dem Foto eindrucksvoller als in der Inszenierung: Christa Platzer als Edith Piaf.

Auf der linken Seite der Bühne, umgeben von welken Blättern, steht ein kleines rotes Kinderkarussell, wie man es von französischen Spielplätzen kennt. Eine runde Scheibe, von den Geländern in vier Tortenstücke eingeteilt. Nur durch Anstoßen mit dem Fuß dreht es sich leicht, quietscht leise und wird dann schneller und schneller. Auf dem Karussell sitzt Edith Piaf, das traurige Mädchen, die Göre, die Chanteuse, und erzählt von ihrem Leben in New York und ihrer Freundin Marlene Dietrich, für die sie „ihr Paris in New York“ sei. Dann steht sie auf, geht festen Schrittes zu dem kleinen, altmodischen Mikrophon in der Mitte der Bühne und singt.

Wer Edith Piafs Chansons mag, dem wird der Gesang gefallen. Einwandfrei und klar, mit volltönender Singstimme interpretiert Christa Platzer bekannte und weniger bekannte Lieder der französischen Sängerin. Die vier Musiker im Hintergrund umspielen die Töne charmant und lassen eine elegant-französische Atmosphäre entstehen. Sehr glatt und professionell. Darin liegt jedoch auch das Problem: Es fehlt der Darbietung an Tiefe. Es ist zu spüren, dass Platzer, anders als die Piaf, diese Geschichten von leichten Mädchen, tragischen Clowns und der Hoffnung auf die große Liebe nicht lebt; sie heruntersingt, aber nicht fühlt. In einem schwarzen, einfachen Kleid versucht sie, die schlichte und unbeholfene Bühnenpräsenz der Piaf zu verkörpern, wirkt dabei aber steif und angespannt. Was die große französische Sängerin liebenswürdig machte, geht zwischen den krampfhaft gespreizten Fingern der Darstellerin verloren.
Umso größer erscheint der Bruch zwischen den Chansons und den eingefügten Episoden aus Piafs Biografie. Sie formen eine Collage des emotionalen, rauschhaften und häufig glanzlosen Lebens der Sängerin und sollen einen Kontrast zur Kunstfigur Edith Piaf bilden. Als Kind von Zirkusartisten, das seine ersten Jahre in einem Bordell verbrachte, begann das Leben der Edith Giovanna Gassion ohne allen Schmuck. In der Gosse zu Hause und als Straßensängerin auf der Flucht vor der Polizei gerät sie in kriminelle Kreise, an die falschen Männer und ist stets sich selbst überlassen. Auch Platzer ist auf der Bühne allein gelassen und durchlebt damit anderthalb Stunden lang die Einsamkeit, die die Piaf ihr gesamtes Leben hindurch erlitt und vor der sie in Exzesse und Ausschweifungen floh. Zwar schwelgt die Darstellerin in übersteigerten Gefühlen, wiegt sich in Alkoholexzessen und faucht rotzig ihre imaginären Begleiter an, letztendlich nimmt man ihr das aber doch nicht so ganz ab. Die Figur des „kleinen Spatzen von Paris“ gewinnt nicht an Schärfe, die Tragik und Leidenschaft, die Intensität und Verzweiflung der Sängerin werden plakativ aufgeführt und wenig feinsinnig betrachtet. Die Figur Piaf verliert kaum an Künstlichkeit.
Was in der Inszenierung Schattners dennoch zumindest angedeutet wird, ist das Gefühl, das Edith Piafs Leben stets am meisten bestimmte: die Liebe. Nicht nur zu Männern, sondern auch zu ihrem Publikum, zum Leben, zur Liebe selbst und vor allem zum Singen. „Wenn ich nicht vor Liebe sterbe, gibt es nichts, wovon ich sterben könnte“, sagte die Chanteuse. Platzer verabschiedet sich mit einem absehbaren und dick aufgetragenen Ende zu „Non, je ne regrette rien“, dem eigentlichen Schnittpunkt zwischen Kunstfigur und Mensch, und verschwindet im Scheinwerferstrahlen. Betrachtet der Zuschauer den Abend als Konzertveranstaltung, so kann er vielleicht zufrieden sein. Das Leben der Piaf bleibt dabei aber auf der Strecke.

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