Von Geisteskranken, Piraten und Nestbeschmutzern

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9 gute Gründe, beim Akrützel mitzuarbeiten – ein ehemaliger Chefredakteur blickt zurück




Foto: Akrützel-Archiv Falk Heunemann (32) war 1999/2000 Chefredakteur des Akrützels. Später absolvierte er die Deutsche Journalistenschule in München.
Nach drei Jahren als Landtagskorrespondent bei der Thüringer Allgemeinen arbeitet er seit 2008 für die Financial Times Deutschland und schreibt Leitartikel und Kommentare.

Warum jemand das Akrützel liest, weiß ich nun wirklich nicht. Es ist weniger aktuell als eine Tageszeitung, weniger tiefgründig als ein Buch, beschäftigt sich oft mit Minderheitenthemen wie Hochschulpolitik und Tanztheater, und um eine langweilige Vorlesung zu überbrücken, ist es zu dünn. Nicht mal der von Kritikern vorgebrachte Bild-Vergleich stimmt. Im Akrützel sind die Fotos schließlich nur grau. Warum jemand beim Akrützel mitmacht, weiß ich schon eher, schließlich war ich selbst fast neun Jahre dabei, als Student, als Chefredakteur, während meines Zivildienstes und meiner Redakteursausbildung, und sogar noch kurz nach meiner ersten Anstellung. Hier ein paar Vermutungen:

Das Abendbrot: Gibt es immer zu den wöchentlichen Redaktionssitzungen. Das Angebot umfasst Brötchen, Frischkäse, Wurst, manchmal auch Joghurt und Schokolade – je nachdem, wie es dem Chefredakteur und dem geldgebenden Studentenrat gefällt.

Der Flirtfaktor: In der Disko oder an der Bar gibt es doch nur B-Ware. Nicht so in einer Redaktion, die sich ständig zwischen hochschulpolitischen Themen, der Kulturarena und Feigenblatt-Kalauern bewegt. Dabei lässt sich doch viel besser annähern als mit „Na, auch hier“. Erste Sätze gegenüber neuen Redakteurinnen wie „Na, willste mal meine große Kolumne sehen“ sind aber tunlichst zu unterlassen.

Aktionismus: Mitunter geht es aber auch um Inhalte. Bereits als die neue Mensa auf dem Abbe-Campus eröffnet wurde, war sie offensichtlich zu klein für den mittäglichen Ansturm. Das Studentenwerk sah darin lange kein Problem. Eines Tages erschien im Akrützel eine Anzeige, inklusive Bild des Studentenwerkschefs Ralf Schmidt-Röh, in der angeregt wurde, doch Tische zu reservieren. Auch eine Telefonnummer war da abgedruckt. Die ratlose Telefonzentrale stellte anfragende Studenten bis ins Vorzimmer des Chefs durch. Der war wenig amüsiert.
Ähnlich verschnupft reagierte der Oberbürgermeister, als das Akrützel ein Formular zur Abmeldung des Hauptwohnsitzes abdruckte, weil die Stadt wieder einmal über eine Nebenwohnsitzsteuer debattierte. Deren Einführung wurde erst einmal verschoben.

Macht: Als zum Beispiel die große Zentralbibliothek am Fürstengraben noch nicht stand, hatte fast jeder Fachbereich seine eigene Zweigbibliothek. Die der Altertumswissenschaftler war etwa in einer zugigen Baracke in der Kahlaischen Straße untergebracht. Und weil es damals gerade mal 120 Studenten dieses Faches gab, hielt es die Uni-Leitung für eine gute Idee, in kühleren Monaten die Heizung um 16 Uhr abzustellen – auch wenn die Bibliothek bis 20 Uhr noch geöffnet war. Solange zu bleiben lohnte sich aber nur, wenn man Handschuhe dabei hatte. Mehr als ein halbes Jahr lang protestierte der damalige Institutsleiter Walter Ameling beim Liegenschaftsdezernat und beim Universitätskanzler, umsonst. Die rührten sich erst, als im Februar 2000 das Akrützel einen Hinweis von Studenten erhielt und bei Bibliotheksmitarbeitern und der Verwaltung nachhakte. Als Kanzler-Beauftragter Dietmar Haroske davon Wind bekam, bestellte er den damaligen Chefredakteur zu sich ins Büro. Der durfte dann miterleben, wie Haroske vor ihm den Telefonhörer in die Hand nahm und hineindiktierte, die Heizung doch wieder bis 20 Uhr laufen zu lassen – und zwar ab sofort.

Wahlbeeinflussung: Der aktuelle Rektor Klaus Dicke hat dieses Amt erst beim zweiten Anlauf erhalten. Im ersten im Jahr 2000 musste er eine überraschende Niederlage einstecken. Dabei hatte er die Unterstützung der meisten Professoren und des Kanzlers Klaus Kübel. Gegen ihn kandidierte der Jurist Karl-Ulrich Meyn. Normalerweise beschäftigen solche Wahlen nur ein paar Dutzend Interessierte. Akrützel aber befragte die Kandidaten ausführlich zu ihren Vorhaben und organisierte erstmals eine Debatte zwischen beiden vor Studenten. Während Meyn dabei klar machte, dass ihm die Anliegen der Studenten wichtig sind, schien das Dicke nicht zu kümmern, er sprach sich sogar für Studiengebühren aus. Bei der Abstimmung des Konzils votierten dann fast alle studentischen Vertreter daher für Meyn. Der Kanzler war wenig amüsiert.

Kostenloser Eintritt: Wer sich schon immer gefragt hat, warum in dieser Zeitung immer so viele Theaterrezensionen, Kulturarenaberichte und Buchvorstellungen sind: Eintritt und Exemplare sind für Akrützelredakteure kostenlos, ebenso Treffen mit dort auftretenden Musikern und Künstlern. Sofern sie darüber schreiben.

Studentenrat und Burschenschafter ärgern: Es gibt kaum etwas Merkwürdigeres als Studenten, die Politiker spielen wollen. Denn der hehre Anspruch und die von den Großen kopierten Floskeln haben nur selten mit dem etwas zu tun, was sie tatsächlich zustande bringen.
Das Akrützel widmet dem sich immer wieder gern, es gehört ja auch zu seinem Auftrag. Ungefähr alle zwei Jahre kommen dann ein paar Jurastudenten im Studentenrat auf die Idee, diese unbequeme Zeitung abzuschaffen. 1999 schafften sie über Nacht das Statut der Zeitung ab, ohne zu sagen warum. Daraufhin erstellten wir ein „Piratenakrützel“. Worauf der Studentenrat meinte, das sei ja gar kein echtes Akrützel, und die Druckkosten zurückforderte – erfolglos. Andere drohten regelmäßig mit der Entlassung des Chefredakteurs, der vom Studentenrat angestellt ist.
Burschenschafter wiederum drohten mit Unterlassungserklärungen und Schadensersatzklagen. Erfolgreich war keine davon. Die Artikel im Akrützel waren juristisch weniger angreifbar als die Beschwerdebriefe der Jurastudenten.

Das Karrieresprungbrett: Ehemalige Redakteure schrieben für die Zeit und die taz, die TLZ und die OTZ, sie machen Filmbeiträge für die ARD oder leiten das Ressort für Landespolitik bei der Thüringer Allgemeinen. Mehrere schafften die Aufnahmetests einer der zwei Journalistenschulen, die jährlich nur 30 Leute aufnehmen. Denn nirgendwo sonst als beim Akrützel kann man so viel ausprobieren, provozieren, riskieren, optisch wie inhaltlich. Und die Blattkritik oder die Debatten über die Gestaltung des Titelbildes laufen kaum anders ab als bei professionellen Zeitungen. Naja, ein wenig länger vielleicht. Aber oft auch lustiger.

Provozieren: 2003 hatten wir uns überlegt, dass man es den Erstsemestern nicht antun kann, dass sie immer nur zu ihrer Entscheidung für Jena beglückwünscht werden. Also entschieden wir uns dafür, die negativen Seiten der Stadt für sie zusammenzufassen – damit diese endlich mal angegangen werden: überfüllte Hörsäle, überteuerte Mieten und Semesterbeiträge, eine Stadt, die Studenten nur als Kunden und ansonsten als störend empfindet. Die Faktenaufzählung kulminierte in meiner Polemik, Jena daher doch lieber den Rücken zu kehren: „Packt eure Sachen. Sofort. Verlasst die Stadt. Dreht euch beim Weg hinaus nicht  um. Es gibt keinen Grund.“ Die Ausgabe polarisierte die Stadt. Manche unserer Leser gaben uns Recht und nannten weitere Beispiele. Andere hielten das wiederum für zu einseitig, anderswo sei es ja noch schlimmer. Ein FDP-Stadtrat nannte uns geisteskrank, ein anderer bezeichnete uns als verwöhnte Bengel. Selbst der Rektor fühlt sich genötigt, in einer Rede vor den Erstsemestern auf die Ausgabe einzugehen. Inhaltlich freilich konnte uns keiner widerlegen.
Nun, sechs Jahre danach muss ich freilich gestehen, ich hatte Unrecht.
Es gibt mindestens einen Grund, in Jena zu bleiben: das Akrützel. Vielleicht nicht immer, um es zu lesen. Aber auf jeden Fall, um dabei mitzumachen.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Monday

    Hat es dieses geniale Foto also doch noch in die Öffentlichkeit geschafft 🙂

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