Von Philipp Böhm



Foto: Fotomontage: Daniel Hofmann

Es ist eine Vorstellung, die unseren Gemeinschaftskundelehrern bereits vor Jahren schlaflose Nächte bereitete, in Seminaren wieder aufgewärmt wird und uns pünktlich zu jeder größeren oder kleineren Wahl erneut um die Ohren gehauen wird. Die Rede ist von der ominösen Politikverdrossenheit. Ominös deshalb, weil sich dieser Irrglaube eigentlich recht leicht widerlegen lässt. Unsere von zahllosen Vorwürfen und Zuschreibungen doch arg gebeutelte Generation hat den Austragungsort ihrer Politik ganz einfach verschoben; nämlich an einen zwar alltäglichen, dennoch aus unerfindlichen Gründen schambehafteten Ort: die Universitätstoilette. Auf den Wänden eben jenes sozialen Raums werden die Kämpfe von morgen ausgetragen, in Form kurzer, aber umso prägnanterer Forderungen und Parolen.

Ein Beispiel: In eine Kabine, Erdgeschoss Carl-Zeiss-Straße, schrieb ein hitziger junger Linker die Aufforderung an jene, die dort zwischen Seminaren und Vorlesungen entspannt ihre Notdurft erledigen, doch bitte die momentan herrschende Gesellschaftsordnung auf möglichst gewaltvolle Art und Weise zu beseitigen. Dies erregte wiederum einen eher konservativ eingestellten Geist. Er antwortete: „Reds: Go to North Corea and learn to hunger with­out freedom.“ Der Debatteneröffner konnte solch dreiste Unterstellungen selbstverständlich nicht auf sich sitzen lassen und erwiderte: „Nein nein, genau anders rum!“ Zugegeben, die Stringenz des Konters hielt sich in Grenzen – dennoch zeigt sich ganz offensichtlich die ausgefeiltere Kommunikationstechnik der universitären Toiletten, im Gegensatz zu dem, was wir von Schultoiletten noch zu berichten wissen. Wurde dort primär jene Leistungsfähigkeit bestimmter Schülerinnen und Schüler verhandelt, die nicht unbedingt in der Turnhalle ihren Ausdruck fand, zeichnen sich mit Eintritt in den akademischen Betrieb die Auseinandersetzungen an Toilettenwänden mehr und mehr durch geschicktes Argumentieren und agitatorische Rhetorik aus. Es finden sich nicht nur Ansätze der Mäeutik, wenn auf die Frage „Warum kämpfen?“ äußerst pointiert mit „Because you‘re a slave!“ geantwortet wird – die weißen Kacheln sind in ihrer kommunikativen Funktion ebenso postmodern geprägt. Die klassische Autorenschaft verschwindet gleichsam wie das in sich abgeschlossene Werk. An seine Stelle treten fragmentarische Botschaften und anonyme Collagen; es entsteht ein Prozess der permanenten Überarbeitung, des Kommentierens und gegenseitiger Inspiration.
Umso bedauerlicher, dass es sich die für die sanitären Anlagen zuständigen Dezernate der Friedrich-Schiller-Universität offensichtlich zur Aufgabe gemacht haben, in dieser Hinsicht äußerst repressiv vorzugehen und die studentische Streitkunst mit allen Mitteln zu bekämpfen. Das Ergebnis: Waren die öffentlichen Toiletten der Carl-Zeiss-Straße lange Zeit der zentrale Austragungsort akademisch-politischer Debatten, finden sich dort in letzter Zeit vermehrt blank geschrubbte Wände. Dieses Verhalten zeugt von einem zutiefst antiquierten Verständnis der politischen Debatte. Ist es nicht bezeichnend, dass gerade auch eher bürgerliche Gemüter („Steineschmeißende stalinistische Steinzeitkommunisten raus aus der Uni!“) die Klowand als Medium entdeckten? Wenn dieses Milieu dazu bereit ist, sich in gesellschaftliche Widersprüche von biederer Vandalismuskritik und aktiver Teilhabe an politisch relevanten Diskursen offensiv zu begeben, kann dann nicht von der offiziellen Institution Universität das Gleiche verlangt werden?
Deshalb: Bitte, liebes Universitätspersonal, lasst den Kram doch einfach stehen.


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