Ich bin dann mal weg

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Wenn Studenten der Uni den Rücken zukehren

Von Vera Macht




Foto: Katharina Schmidt

„Schauen Sie noch mal nach links, und dann nach rechts, rein statistisch gesehen werden Sie die beiden Kommilitonen beim Abschluss nicht wieder sehen“, so begrüßt der Professor im Film „13 Semester“ seine Studenten. Rein erfahrungsgemäß hat man die, die in den ersten Vorlesungen neben einem saßen, ohnehin recht bald aus den Augen verloren. Und so merkt man dann gar nicht, dass sie nicht etwa nur woanders sitzen, sondern nirgendwo mehr. Die Abbrecher von heute findet man nicht mehr auf der Titelseite des Spiegels („Wir haben abgebrochen“ 1/2005), sie bleiben, was sie sind – reine Statistik. Die Abbrecher von heute kämpfen vor allem mit einem – dem Gefühl, versagt zu haben. Versagt in einem Dschungel aus Leistungsdruck, Klausurenstress und Erwartungen.

Der verschulte Bachelor wurde als Mittel gegen Studienabbrüche gelobt – die Zahlen bestätigen dies nicht. Er hat lediglich den Abbrecherzeitpunkt nach vorne verschoben, vom bundesweit durchschnittlich siebten auf das zweite Semester. Und damit auch die Gründe verändert.

Hauptgrund: Überforderung

Das Hochschulinformationssystem (HIS) hat im Studienjahr 2008 2.500 Studienabbrecher an 54 Universitäten und 33 Fachhochschulen zu den Hintergründen ihrer Entscheidung befragt. 20 Prozent der Studenten gaben Überforderung als Abbruchgrund an, 18 Prozent fehlende Studienmotivation und 11 Prozent nicht bestandene Prüfungen. 19 Prozent mussten rein aus finanziellen Problemen ihr Studium aufgeben. Andere Gründe, wie zum Beispiel berufliche Neuorientierung, haben gegenüber der letzten Studie aus dem Jahr 2000 klar an Bedeutung verloren.
Bei Daniel kamen mehrere Gründe zusammen. Sein Hauptfach starb mit der Bachelorumstellung aus, ein paar Scheine fehlten, schon war das Bafög weg. Er begann mit Nachtschichten in einem Supermarkt, um weiter seinen Lebensunterhalt bestreiten zu können, verschlechterte sich im Studium – ein Teufelskreis. „Es hat Monate gedauert, bis ich die Entscheidung, dass es keinen Sinn mehr macht, wirklich treffen konnte“, erzählt er heute und bittet darum, dass sein Name geändert wird. „Ich habe sehr gerne studiert“, meint er, „aber am Ende habe ich mich mit meinen Problemen von der Uni allein gelassen gefühlt“.
„Studenten kennen oft einfach ihre Rechte nicht, sind viel zu uninformiert“, meint Claudia Hohberg, Leiterin des Akademischen Studien- und Prüfungsamtes (ASPA). „Es gibt immer Möglichkeiten, man kann zum Beispiel ein Teilzeitstudium in Erwägung ziehen, wenn man Probleme mit der Finanzierung hat“. Dazu muss ein Arbeitsvertrag über mindestens 20 Stunden vorgelegt werden. Bei den meisten Fächern ist dies möglich, bei Daniels Fächerkombination war es das allerdings nicht.
Einen anderen Ansatz fordert Klemens Himpele vom Bund demokratischer Wissenschaftler: „Wie vom Bildungsstreik gefordert sollten die Studiengebühren bundesweit abgeschafft werden und dort, wo Bedürftigkeit herrscht, flexiblere Modelle zur Finanzierung geschaffen werden. Denn ein Studium darf nicht aus Geldmangel scheitern.“ Wenn Studenten ihr Studium abbrechen, dann nicht nur aus persönlichen Gründen: „Hohe Abbrecherquoten sind immer Anzeichen eines strukturellen Problems“, meint Himpele. „So hat die Zahl der Abbrüche aufgrund von Leistungsdruck enorm zugenommen. Die Studenten sollten mitgenommen werden, sie herauszuprüfen kann nicht im Sinne einer Hochschule sein. ‚,Sie können‘s halt nicht‘, das ist eine beliebte Ausrede“. Stattdessen schlägt Himpele alternative Methoden der Stoffvermittlung vor: weniger frontale Vorlesungen, mehr gemeinsames Aneignen von Wissen.

„Druck entsteht im Kopf“

Doch Leistungsdruck und Überforderung, was immerhin ein Fünftel der Studenten als Grund für ihren Studienabbruch angeben, müssen noch nicht mal von außen kommen. „Leistungsdruck entsteht im Kopf“, sagt Uwe Köppe von der psychosozialen Beratungsstelle Erfurt.
„Studenten von heute vergleichen und bewerten sich, hecheln einer Erwartung hinterher, die sie eigentlich hinterfragen sollten. Und mit der gefühlten Überforderung kommt auch die reale.“
Studenten sollten sich deshalb so früh wie möglich Hilfe suchen, nicht erst kommen, wenn es zu spät ist. „Wir erstellen mit Studenten realistische Lernpläne, geben Kurse für Lern- und Stressbewältigungsstrategien. Und beraten, wie es weiter geht.“
Doch manche sehen im Bachelor durchaus auch eine Chance. So schlägt Claudia Hohberg vor: „Durch das verschulte System kann man engere Beziehungen zu den Kommilitonen aufbauen und hat damit die Möglichkeit, Lerngruppen zu bilden. Eigeninitiative ist hier gefragt.“ Aber auch sie kann Studenten nur raten, ihr Studium moderat anzugehen. „Man muss sich ja schließlich erst eingewöhnen“. Sich gründlich zu organisieren ist für sie von größter Bedeutung, früh mit dem Lernen anzufangen, nicht erst in letzter Minute. Ein Ziel zu haben, sowohl für das Studium als auch die berufliche Zukunft, um nicht aus den Augen zu verlieren, wofür man sich müht.
Oder vielleicht auch in Frage zu stellen, warum man dieses Studium überhaupt macht. Alisa hatte nie wirklich den Wunsch zu studieren: „Ich hatte ein super Abi, danach studiert man eben, dachte ich damals“. Die Probleme kamen bald. „Ich lernte, weil ich es musste, nicht weil es mich interessiert hat“. Auch bei ihr hat der Entschluss, ihr Studium aufzugeben, lange gedauert. „Sich über den gesellschaftlichen Leistungsgedanken hinwegzusetzen war hart. Selbst meine Eltern hatten am Anfang keinerlei Verständnis“, erzählt sie.
Daniel hat für sich ein neues Ziel gefunden. Er absolvierte ein Praktikum im Kommunikationsbereich und hatte das Glück, übernommen zu werden. Alisa fühlt sich wohl in ihrer Ausbildung zur Ergotherapeutin und hat erkannt, dass sie in ihrem Leben andere Prioritäten setzen will als Lernen und Arbeit.
Es ist nicht unbedingt ein persönliches Versagen, sein Studium abzubrechen. Es ist ein Versagen des Bildungssystems, wenn man es nicht beenden konnte, obwohl man dazu in der Lage gewesen wäre. Doch es ist eine persönliche Entscheidung, welchen Weg man geht, und wie man ihn geht. Sich die Erwartungen an sich selbst nicht diktieren zu lassen. Sich erhobenen Hauptes einfach ein Semester länger Zeit zu lassen oder zu sagen, ‚„Leute, ich bin dann mal weg“.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. STRANDED

    guter Beitrag – sehr treffend geschrieben…
    ich stieß auf den Artikel bei der Recherche für die Uni zum Thema “der enorme Leistungsdruck der Studierenden” … und was soll ich sagen, ich fühle mich ganz gut angesprochen…
    aber ich gebe noch nicht auf…

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