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Zwei Studenten berichten von ihren Erfahrungen als Uni-Besetzer

Von Philipp Böhm und Sascha Döring

Klare Distanzierung vom heutigen Bildungssystem. Foto: Sabine Bandemer

Ungewohntes Ambiente in den Fluren der Universität: aufgetürmte Stuhlbarrikaden, Absperrband, ein großes Schild mit der Aufschrift „Willkommen im demokratischen Sektor!“. Leicht übermüdete Studenten sitzen diskutierend im Gang der ersten Etage in der Carl-Zeiss-Straße 3. Aus den Fenstern hängen Transparente: „Besetzt“, „Mit Bachelor ist alles doof!“ und „System error“. Die ersten Studenten, die dienstagmorgens ihre Vorlesungen besuchen wollen, blicken verwundert und fragen sich, was hier geschehen ist.
Am Montag, den 15. Juni, findet zum Auftakt der Bildungsstreikwoche ein Konzert auf dem Campus statt. Noch während der Veranstaltung steigt ein Student auf die Bühne und ruft zur Besetzung der Seminarräume 113, 114 und des Hörsaals 6 auf. Und während unten noch die letzten Klänge des „Reinhard Cooper Quartetts“ über den verregneten Abbe-Platz hallen, strömen 130 Menschen in das Gebäude, um die Räume zu besetzen. Manche sind begeistert und helfen sofort mit, Barrikaden aus Stühlen und Tischen zu errichten. Andere blicken sich skeptisch um, wissen nicht recht, was hier vor sich geht. Viele sind einfach nur neugierig. Wenig später wird das erste Plenum einberufen, in dem über die Forderungen der Besetzergruppe debattiert wird. Zwischenzeitlich steht die Polizei vor der Tür, versucht einzuschüchtern, bis schließlich zu späterer Stunde der Hausverwalter die Räume betritt und verkündet: Der bunt zusammengewürfelte Haufen darf vorerst bleiben. Seitdem stand der besetzte Bereich eine Woche lang unter völliger studentischer Selbstverwaltung. Es wurden Filme gezeigt, Vorträge gehalten, Arbeitskreise zu verschiedenen Themen gebildet und jeden Abend gab es ein großes Plenum. Sogar ein kurzes Kabarettstück wurde aufgeführt: alles offen und für jedermann zugänglich. Für das leibliche Wohl sorgte das Café Wagner, das Mittagessen und Getränke stellte. Räume und Toiletten wurden in Gemeinschaftsarbeit geputzt, was erstaunlich gut funktionierte.
Überraschend war für die meisten nicht nur die große Teilnehmerzahl am ersten Abend, sondern auch die hohe Resonanz unter den sonstigen Studenten, den Unimitarbeitern und auch den Medien. Jeden Tag kamen neue interessierte Studenten, teilweise sogar Schüler und Azubis vorbei. Manche wollten aktiv in den Arbeitskreisen und Plena mitarbeiten, andere einfach zwischen den Seminaren „mal ne Runde chillen“. Die Atmosphäre war entspannt, auch wenn es in den Diskussionen teilweise hoch herging: Das Spektrum der Themen reichte von konkreten Problemen des Bildungssystems bis hin zu breiteren, gesellschaftlichen Themen. Manche traten für eine klar antikapitalistische Ausrichtung ein, andere wollten sich lieber möglichst auf reine Bildungsthemen und moderatere Herangehensweisen beschränken, um niemanden abzuschrecken. Aber trotz der teilweise energischen Diskussionen konnte jeder feststellen, dass es im Allgemeinen ein solidarisches und freundliches Miteinander war, das von Montag bis Sonntag im besetzten Trakt des CZS3-Gebäudes herrschte. Selbstverständlich bestand nicht der ganze Tageszeitvertreib nur aus Diskussionen und Arbeitskreisen. Viele vergnügten sich am Kickertisch, spielten Karten oder saßen einfach gemütlich beisammen. Der Tag begann für die Besetzer meist relativ entspannt. Gegen sieben Uhr stiegen die meisten aus ihren Schlafsäcken im SR 114 und starteten in den Tag mit der Organisation des Frühstücks. Noch schlaftrunken, wurden hier bereits die ersten politischen Debatten geführt.Arbeitspläne gab es nicht. Jeder half gerade da aus, wo es nötig war. Beim Abwasch, Saubermachen, dem Heranschaffen des Essens oder der Besetzung des Infotisches am Einlass.
„Ich finde es absolut richtig!“, meinte ein begeisterter Student, der spontan von der Besetzung erfahren hatte. „Gerade hier in Jena ist in der Vergangenheit viel zu wenig passiert, ich finde es gut, dass die Studenten hier endlich mal zeigen, das wir nicht jeden Mumpitz mitmachen wollen, den sich die Landesregierung und die Unileitung einfallen lassen.“ Sogar eine Unimitarbeiterin kam am Mittwoch abend vorbei, brachte den Besetzern Kekse und Schokolade mit dem Kommentar, vor 30 Jahren hätte sie selbst mitgemacht. Einige wenige schüttelten über die Aktion natürlich auch den Kopf, da sie mit dieser Form des Protestes nichts anfangen konnten: „Bringt doch eh nix“, hörte man an manchen Stellen.
Im „demokratischen Sektor“ fanden sich, sauber an einer Wand aufgereiht, sämtliche Zeitungsausschnitte über die Besetzung. Ein Blick darauf zeigte, dass das Ereignis sowohl in den regionalen als auch überregionalen Medien keinesfalls ungehört geblieben ist. So berichteten nicht nur die TLZ oder JenaTV von der Besetzung. „Ein Hauch von ‘68“, titelte der Kölner Stadt-Anzeige in der Ausgabe vom 16. Juni und einen Tag später schafften es die Besetzer sogar auf das Titelbild der „jungen Welt“. „Wir hätten nie gedacht, dass wir damit so viel Aufmerksamkeit erregen“, sagt eine junge Studentin, die seit dem ersten Tag mit von der Partie war: „Ich denke, die Sache ist ein voller Erfolg!“
Die Besetzung ist inzwischen beendet. In den drei Räumen herrscht wieder regulärer Unibetrieb. Wo vor ein paar Tagen noch Studenten auf alten Matratzen saßen und über ein alternatives Bildungssystem debattierten, werden heute wieder europäische Parlamentswahlen im Detail miteinander verglichen. Wer dabei war, wird diese Woche allerdings so schnell nicht vergessen, denn die gemeinsam gemachten Erfahrungen verbinden auch über die Zeit der Besetzung hinaus. Die meisten werden sicherlich gern und oft an die sieben Tage zurück-denken, in denen ein kleiner Teil der Universität tatsächlich ihnen gehörte.

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