„Denken find’ ich immer gut!“

Der neue Bildungsminister Christoph Matschie im Interview

Das Gespräch führten Philipp Böhm und Louisa Reichstetter


Foto: Akrützel/Katharina Schmidt

Erfurt, 20. November. Christoph Matschie erscheint in Begleitung seines Pressesprechers im Foyer des Landtages und bittet zum Interview ins Restaurant „Feininger“. Denn eigene Räume, so sagt der neue Bildungsminister, habe er noch gar nicht.

Herr Minister, wie stehen Sie als Sozialdemokrat eigentlich zum Slogan „Denkfabrik Thüringen“?
(schmunzelt) Also, denken find‘ ich immer gut. Aber ob das eine Fabrik sein muss, da habe ich meine Zweifel. Ich will, dass jenseits von Slogans begriffen wird, dass Bildung und Kreativität das Wichtigste sind, was diese Gesellschaft hat. Ohne gute Bildungspolitik können Menschen ihre Chancen im Leben nicht entfalten.

Und wie fühlt es sich dann an, nun Bildungspolitik zu machen und nicht Ministerpräsident geworden zu sein?
Natürlich wollte ich Ministerpräsident werden. Doch die Wahl hat das nicht hergegeben. Minister für Bildung, Wissenschaft und Kultur zu sein, gehört aber auch zu den spannendsten Aufgaben dieses Landes.

Zu Ihren Aufgaben und Zielen steht im Regierungsprogramm, dass die Hochschule für „bildungsferne Schichten noch attraktiver“ werden soll. Wie gestaltet sich dieses „noch“ konkret?
Ich sehe beim Zugang zur Hochschule drei Punkte. Das Wichtigste ist zunächst, dass es keine finanziellen Hindernisse gibt. Daher wird es in Thüringen auch in Zukunft keine Studiengebühren geben. Ferner haben wir vor, den Verwaltungskostenbeitrag zum Sommersemester 2010 abzuschaffen. Das Zweite wäre die Frage, wie wir Kinder und Jugendliche aus Elternhäusern, in denen Bildung keine so große Rolle spielt, auf dem Weg vom Kindergarten bis zur Hochschule optimal unterstützen können.

Und an dritter Stelle?
Da steht die Frage, wie man durch gute BAföG-Regeln ein Studium erleichtert. Einer der Vorschläge, die wir diskutieren müssen, ist folgender: Sollten wir nicht das BAföG jährlich am Inflationsausgleich orientieren und somit kontinuierlich erhöhen?

Das klingt einerseits vielversprechend, andererseits besteht doch die Gefahr, dass die Maßnahmen verpuffen. Wie wollen Sie zum Beispiel verhindern, dass die Hochschulen eigene Verwaltungsgebühren erheben?
Wir wollen darauf achten, dass in den Haushaltsberatungen, die jetzt anstehen, eine Kompensation für den wegfallenden Verwaltungskostenbeitrag gefunden wird. Aber wir haben keinen Einfluss auf die Semesterbeiträge. Die Hoheit darüber muss vor Ort bei den Hochschulen bleiben, nicht zuletzt wegen der Nahverkehrstickets.

Das heißt, die 25 Euro, die den Hochschulen dann pro Student fehlen, werden durch Landesmittel ersetzt. Eine Bremse, was die Höhe des Semesterbeitrages betrifft, wird es aber nicht geben?
Nein, keine Bremse. Aber auch keinen Anlass, den Beitrag zu erhöhen, weil der Verlust – wie gesagt – ausgeglichen wird.

Bedeutet das indirekt, dass das seit 2001 geltende Prinzip, die Hochschulmittel weder zu kürzen noch zu erhöhen, unter Ihnen aufgeweicht wird?
Wir haben eine Ziel- und Leistungsvereinbarung für die Hochschulen, nach der die Mittel für die nächsten Jahre festgeschrieben sind. An diese Vereinbarung werden wir uns halten. Danach wollen wir, so steht es im Koalitionsvertrag, die Leistungen für die Hochschulen ausbauen. Das betrifft nicht nur unmittelbar die Gelder für Forschung und Lehre, sondern auch die Zuwendungen für Studentenwerke und freie Träger, um die Wohnungsnot zu lindern, die besonders in Jena herrscht. Das geht aber leider nicht kurzfristig.

Und wie sieht es mit anderen Gebühren aus? Säumnisgebühren? Langzeitstudiengebühren?
Zweitstudiumsgebühren?

Hier wollen wir keine Veränderungen. Es gibt da meines Erachtens ausreichend Flexibilität, beispielsweise durch Härtefallregelungen oder die Möglichkeit für herausragende Absolventen, ein kostenloses Zweitstudium aufzunehmen. Da Langzeitstudiengebühren erst vier Semester nach Überschreitung der Regelstudienzeit fällig werden, ist nach meiner Auffassung ein ausreichender Puffer drin.

Das stimmt nicht: Bachelor dürfen nur zwei Semester überziehen – einer der Kritikpunkte des aktuellen Bildungsstreiks.
Auch Sie haben an der Uni 1989 demonstriert. Würden Sie heute als Student mit auf die Straße gehen?

Ich habe sehr viel Verständnis für die Proteste, weil wir die Bildungssituation wirklich verbessern müssen. Das betrifft nicht nur die Hochschulen, sondern geht schon im Kindergarten los. Eine Überprüfung des Systems „Bachelor und Master“ gehört jedoch entschieden auch dazu.

Woran krankt die Bologna-Reform besonders?
Es gibt zu viele Bachelorstudiengänge, die nicht wirklich neu konzipiert wurden. Das, was früher in einer längeren Zeit vermittelt werden konnte, wurde zu oft nur auf sechs Semester zusammengepresst. Das funktioniert natürlich nicht. Daher stellt sich einerseits die Frage: Wie können wir die Studiengänge angemessen entschlacken? Und andererseits: Es steht nirgendwo geschrieben, dass ein Bachelor nur sechs Semester dauern darf. Er könnte auch länger gehen! Letztlich ist das aber eine Sache der Hochschulen, die Politik nicht im Detail steuern kann.

Die Protestler fordern mehr studentische Mitspracherechte – etwas Ähnliches stand in Ihrem Wahlprogramm. Doch im Koalitionsvertrag findet sich jetzt nur noch die schwammige Formulierung, es solle geprüft werden, ob das Hochschulgesetz in dieser Hinsicht erweiterbar sei…
… worauf ich entgegnen muss, dass sich in einer Koalition natürlich nie ein Partner zu hundert Prozent durchsetzen kann. Da sind Kompromisse notwendig. Was ich aber mit diesem Punkt immer noch erreichen will, ist, dass gemeinsam mit den Hochschulen – und da sind ausdrücklich die Studierenden mit einzubeziehen – evaluiert wird, was das Hochschulgesetz bisher gebracht hat. Wenn wir in diesem Evaluierungsprozess der Autonomie der Hochschulen und der demokratischen Mitspracherechte gemeinsam feststellen, dass es Defizite gibt, müssen wir die gesetzlichen Regelungen so ändern, dass die Defizite behoben werden.

Klingt trotzdem alles sehr abstrakt und leider so, als würde es mehrere Studentengenerationen dauern. Kann man sich das angesichts des kommenden Geburtenknicks überhaupt leisten?
Nein, der Diskussionsprozess muss rasch in Gang kommen. Danach müssen Entscheidungen her. Mein Ziel ist, dass die Thüringer Hochschulen in den nächsten Jahren so attraktiv sind, dass sie noch mehr junge Leute aus anderen Bundesländern anziehen. Denn die eigenen Abiturientenzahlen werden sich halbieren.

Dennoch fehlen Lehrende – darauf hat besonders die Universität Jena stets hingewiesen. Was wollen Sie dagegen tun?
Die Hochschulen haben eine relativ große Freiheit, was die innere Organisation anbetrifft, auch beim Einsatz in der Lehre. Ich glaube, man muss jetzt genau schauen, wo es wirklich klemmt. Es ist ja nicht an allen Stellen schwierig.

Aber wo ist es besonders schwierig?
Das kann ich erst sagen, wenn ich mit allen Hochschulen geredet habe. Natürlich höre ich das eine oder andere, aber ich will mir wirklich erst einen Überblick verschaffen.

Selbst um nur in ein paar Instituten neue Stellen zu schaffen, benötigt das Ressort mehr Geld als bisher. Werden Sie diese Mittel in den jetzt anstehenden Haushaltsverhandlungen überhaupt erhalten?
Das zu beantworten wäre Spekulation: Wir werden in den nächsten Tagen unsere Haushaltsvorschläge ausarbeiten. Inwieweit denen dann aber zugestimmt wird – das ist Entscheidung des Parlaments. Ich kämpfe um ausreichend Mittel für die Hochschulen, versprochen.

Zu den bildungspolitischen Neuerungen gehört auch ein neues Team. Jena ist darin stark vertreten, denn beide Staatssekretäre lehrten zuvor an der FSU…
… eines vorweg: Die Auswahl meiner beiden Staatssekretäre hat nichts mit dem Ort zu tun, an dem sie gelehrt haben – alle Hochschulen werden von mir in gleicher Weise ernst genommen. Prof. Roland Merten hat sich in den vergangenen Jahren intensiv der frühkindlichen Bildung und der Verbindung von sozialer Situation und Bildungschancen gewidmet. Deswegen habe ich ihn gebeten mitzuarbeiten.

Und wofür steht der Medizinprofessor Thomas Deufel?
Er hat in Jena an der Schnittstelle zwischen Forschung und Lehre gearbeitet. Er wird mit seinen kreativen Ideen helfen, die Thüringer Forschungs- und Hochschullandschaft weiterzuentwickeln.

Er ist aber auch für äußerst liberale Ansichten bekannt, die Verknüpfung von freier Wirtschaft und Universität betreffend. Wäre er auch Ihre erste Wahl gewesen, wenn Sie anders koaliert hätten?
Diese Personalien sind unabhängig von der Koalition. Prof. Deufel ist als Vorsitzender des Wissenschaftsforums der Sozialdemokratie schon lange mit bildungspolitischen Debatten vertraut – und in dieser Debatte bedarf es unterschiedlicher Positionen, damit es zu Ergebnissen kommt. Wir brauchen eine Verknüpfung von Hochschule und Wirtschaft. Aber Wirtschaft darf die Hochschule nicht dominieren. Bildung hat einen Wert an sich – unabhängig von wirtschaftlichen Erwägungen. Und ich gehe noch weiter und sage: Bildung ist ein Menschenrecht!

Nach diesem Satz springt Pressesprecher Gerd Schwinger auf und ruft erfreut: „Gut! Das war´s! Zeit ist um! Herr Matschie muss wieder in die Plenarsitzung!“

Moment, wir müssen noch mal nachhaken: Eine Legislaturperiode ist nämlich nicht lang genug, als dass man etwas ohne Zeitplan verändern könnte. Bitte nennen Sie uns noch Eckdaten.
Eckdaten wofür?

Zur Abschaffung der Verwaltungsgebühren, zur Schulreform, …
Sie müssen verstehen: Ich bin erst zwei Wochen im Amt. Aber ich kann Ihnen gerne einen Fahrplan für die Bereiche nennen, für die wir einen solchen schon haben: Im Dezember reichen wir den Antrag zur Abschaffung der Verwaltungsgebühren ein. Das soll bis Ende Januar rechtzeitig vor dem Sommersemester beschlossen sein. Ein neuer Gesetzesentwurf zur frühkindlichen Bildung wird ebenfalls noch vor Weihnachten eingebracht, sodass das Volksbegehren, dessen Ziele wir aufnehmen wollen, nicht mehr an den Start gehen muss. Bis Sommer 2010 wollen wir die rechtlichen Voraussetzungen für die Gemeinschaftsschule geschaffen haben, sodass im neuen Schuljahr die ersten Schulen beginnen können.

Und der Hochschulgipfel, von dem Sie schon gegenüber protestierenden Studenten gesprochen haben?
Der ist für Anfang des Jahres geplant. Dort sollen dann auch die Debatten des Bildungsstreiks aufgegriffen und Verbesserungsvorschläge diskutiert werden.

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