Amtlich gewollte Überlastung

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Ein hochschulpolitischer Blick auf den Koalitionsvertrag

Von Norbert Krause und Kay Abendroth

Innovativ, nachhaltig, sozial und weltoffen – das steht zumindest vorne drauf.
Foto: SPD-Landtagsfraktion

Große Sprünge kann Christoph Matschie als Bildungsminister nicht machen. Die meisten Entscheidungen wurden vor seiner Zeit gefällt. Die finanziellen Rahmenbedingungen der Hochschulen stehen seit Jahren fest. Die anstehenden Probleme sind ebenfalls lange bekannt. Wir fassen die Situation zusammen, mit der sich Christoph Matschie in den nächsten vier Jahren auseinandersetzen muss.

Es gibt keinen großen finanziellen Spielraum. Die Mittel für die Hochschulen sind seit 2003 durch den sogenannten Thüringer Hochschulpakt festgelegt. Seit 2001 hat sich der Finanzetat der Hochschulen nicht verändert. Lediglich eine Steigerung von jährlich einem Prozent für Sachmittel und für die tariflichen Lohnerhöhungen sind vorgesehen. Dieser Pakt gilt bis 2011. Laut Koalitionsvertrag soll danach „die erreichte finanzielle Ausstattung der Hochschulen auf dem jetzigen Niveau und unter gleichen Bedingungen und Leistungen mindestens verstetigt werden.“

Stärkerer Wettbewerb

Allerdings hat sich die Thüringer Landesregierung bereits 2007 ein zusätzliches finanzielles Druckmittel für die Hochschulen einfallen lassen: das sogenannte „Modell der leistungs- und belastungs­orientierten Mittelvergabe“, kurz LUBOM. Damit sollen die Thüringer Hochschulen zum Wettbewerb um die vom Ministerium festgelegten Mittel animiert werden. Der zu verteilende Kuchen bleibt bis 2011 gleich, aber die neun Thüringer Hochschulen können jetzt um die größten Stü­cke konkurrieren.
Das Modell orientiert sich dabei an den konkret erbrachten Leistungen der Hochschulen: an der Zahl der Studenten in der Regelstudienzeit, an der Zahl der Absolventen, Doktoranden und Habilitanden und natürlich an der Höhe der eingeworbenen Drittmittel. Dieses neue Verteilungsmodell befindet sich momentan noch in der Probephase. 2011 sollen dann 40 Prozent der Mittel darüber vergeben werden. Für die Landesregierung hat das Modell den Vorteil, dass sie nicht mehr die politisch heikle Frage der Mittelverteilung für die einzelnen Hochschulen entscheiden muss, sondern die Verteilung „automatisch“ nach den festgelegten Indikatoren geschieht. Die­se Regelung des Etats über Studentenzahlen und Absolventenquoten bringt spätestens ab 2010 weiteren Druck. Dann werden die Hochschulen mit einem zusätzlichen Problem konfrontiert: Wegen des Geburtenknicks nach der Wende wird die Zahl der Studienanfänger in den neuen Bundesländern um voraussichtlich 20 Prozent sinken. Zur gleichen Zeit werden wegen der Umstellung auf das achtjährige Gymnasium in den alten Bundesländern aber auch doppelte Abiturjahrgänge die Schulen verlassen. Die Hoffnung ist nun, dass die überschüssigen Schulabgänger aus Westdeutschland kurzfristig die leer bleibenden Studienplätze in Ostdeutschland einnehmen. Daher haben der Bund und die Länder den Hochschulpakt 2020 geschlossen. Hier heißt es, dass im Westen mit den zur Verfügung stehenden Mitteln neue Studienplätze geschaffen und im Osten die bestehenden Kapazitäten zumindest erhalten werden sollen. Thüringen hat sich verpflichtet, die Zahl der Studienanfänger bis 2011 auf dem Niveau von 2005, also bei 9.325 Erstsemestlern jährlich zu halten. Es bekommt dafür vom Bund zusätzliche Mittel in Höhe von 14,9 Millionen Euro.
Ein wesentliches Ziel des Koalitionsvertrages ist weiterhin, dass die Hochschulen „möglichst attraktiv“ für Abiturienten sein sollen. Bisher konnten die Studienanfängerzahlen in Thüringen tatsächlich konstant gehalten werden. Auf lange Sicht ist es jedoch unwahrscheinlich, dass der Geburtenknick allein durch die doppelten westdeutschen Abiturjahrgänge aufgefangen werden kann.
Auch die Tatsache, dass in den nächsten vier Jahren keine allgemeinen Studiengebühren in Thüringen eingeführt werden, soll zur Attraktivität der hiesigen Studienstandorte beitragen. Die Gebührenfreiheit bleibt entscheidender Wettbewerbsvorteil der ostdeutschen Hochschulen. Aber auch die Quote der Thüringer Studenten insgesamt soll erhöht werden, damit mehr Schulabgänger – auch aus „bildungsfernen Schichten“ – ein Studium aufnehmen.

Überlastet und unterfinanziert

Mit dem verordneten Ziel, die Studentenzahlen konstant zu halten, versuchen die Hochschulen jedoch einen Zustand aufrechtzuerhalten, in dem sie schon jetzt überlastet und unterfinanziert sind. Die Universität Jena beispielsweise war schon im Jahr 2007 zu 190 Prozent ausgelastet: Auf 9.500 bautechnisch vorhandene Studienplätze kamen 18.000 Studenten. Wurden im Jahr 2000 noch 50 Studenten durch einen Hochschullehrer betreut, waren es im Jahr 2008 bereits 68. Eine bessere personelle Ausstattung ist im Koalitionsvertrag dennoch nicht vorgesehen. Das erschiene aus Sicht des Landes wohl auch wenig sinnvoll, da die Studentenzahlen langfristig sinken werden.

Evaluieren und abwarten

Kaum berücksichtigt wird im Koalitionsvertrag auch die momentane Doppelbelastung der Hochschulen durch die Bachelor/Master-Umstellung. Zwei Studienstrukturen werden parallel angeboten, ohne dass dafür weitere Mittel bereitgestellt wurden – die Umsetzung erfolgte also praktisch kostenfrei und auf dem Rücken der Lehrenden. Die Landesregierung strebt immerhin eine Evaluierung der inhaltlichen Umsetzung der Bologna-Reform an. Und wartet damit erst einmal ab. Ebenfalls evaluieren und abwarten will man bei der Frage der Mitbestimmung an den Hochschulen. Von der im SPD-Wahlkampf aufgestellten Forderung, mehr Demokratie an die Hochschulen zu bringen, ist in der Koalition mit der CDU nicht viel übrig geblieben. Jetzt wolle man lediglich prüfen, „ob es Änderungsbedarf hinsichtlich demokratischer Mitwirkungsrechte gibt.“
Zusammenfassend kann man die Situation der Thüringer Hochschulen wohl so beschreiben: Man konkurriert um einen gleichbleibend mageren Kuchen und ist verpflichtet einen überlasteten Zustand aufrechtzuerhalten. Dabei will man ebenso attraktiv für Studierwillige wie exzellent für Forscher sein und zerreißt sich zwischen den beiden Ansprüchen von Massentauglichkeit und Elite.

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