Im Altenheim nichts Neues

Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ im Deutschen Nationaltheater

Von Johannes Weiß

Der Greis ist heiß. Foto: Anke Neugebauer

Eine Überraschung erlebt der nichtsahnende Besucher des Weimarer „Don Pasquale“ bereits dann, wenn die Titelfigur zum ersten Mal den Mund aufmacht. Man singt deutsch. Zugegebenermaßen lässt sich durch den Verzicht auf die sonst übliche Übersetzung in Untertiteln der mitunter turbulente Handlungsverlauf dieser „opera buffa“ Donizettis leichter verfolgen – zumal die Sänger im Allgemeinen gut zu verstehen sind. Dennoch bleiben gewisse Zweifel übrig, ob Operntexte ähnlich wie Gedichte nicht grundsätzlich unübersetzbar seien und ob daher solch schwerwiegende Eingriffe ins Originalwerk überhaupt Sinn ergeben können. Auch in anderer Hinsicht geht die Inszenierung, die am vergangenen Samstag ihre Premiere am Deutschen Nationaltheater Weimar feierte, durchaus frei mit der Vorlage um. Das Regieteam um Roy Rallo legt einen besonderen Akzent auf die Situation des alten Menschen Don Pasquale (Damon Nestor Ploumis), der es seinem Neffen Ernesto (Uwe Stickert) noch mal richtig zeigen will und heimlich Heiratspläne schmiedet.

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Pariser Allerlei

Neue Ausstellung „Von Manet bis Renoir“ im Stadtmuseum

Von Stephanie Frank

Gustave Caillebotts “Europabrücke” von 1876

Was machen 49 Pariser Maler wie Picasso und Chagall in Jena? Sie sind seit Ende November in der neuen und in dieser Form noch nie gezeigten Ausstellung „Von Manet bis Renoir“ im Stadtmuseum zu sehen. Anhand von 90 Portraits und Landschaften macht der Besucher eine Reise zurück in das ausklingende 19. und das beginnende 20. Jahrhundert. Denn die Ausstellung vereint rund 70 Jahre Kunstproduktion in Paris, wo sich Künstler aus verschiedenen Ländern versammelten, um im Austausch miteinander neue künstlerische Wege zu gehen.
In „Le pont de l’Europe“ von Gustave Caillebotte, einem der weniger bekannten Künstler der Ausstellung, flanieren Menschen in Sonntagskleidung über die Europabrücke in Paris. Andere verweilen auf ihr, um die ruhige Stimmung zu genießen. Der herrenlose Hund im Vordergrund verbindet die beiden Situationen miteinander. Die Stahlkonstruktion der Brücke und der weiße Rauch im Hintergrund verweisen auf die zunehmende Industrialisierung Ende des 19. Jahrhunderts. Durch scheinbar alltägliche Szenen zeichnet Caillebotte ein feines Bild des Lebens jener Zeit.

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Wahn und Wirklichkeit

„Waltz with Bashir“ fasziniert durch seinen Blick für Details

Von Kristin Haug

Ari Folman als junger Soldat in Beirut. Foto:pandora-film

Und er tanzt und tanzt und tanzt. Und er schießt. Auf der Beiruter Front-Straße findet sich der israelische Soldat Shmuel Frenkel zwischen zwei Welten wieder. Israelis kämpfen gegen Palästinenser, Frenkel rennt los und schießt wild um sich. Tänzelnd, traumvergessen, betäubt. Was aussieht wie eine perfekt inszenierte Choreographie des Soldaten ist sein Kampf ums Überleben.
Die visuelle Schlagkraft der Szene aus Ari Folmans Film „Waltz with Bashir“ ist immens, zugleich ist sie so einprägsam, dass sie den Zuschauer direkt in das Geschehen hineinzieht, plötzlich wird er selbst Teil der Handlung. Die Musik scheint Frenkels Schutzschild zu sein – gegen die Kugeln der Feinde und die Realität des Geschehens. Folman bedient sich vieler dieser Kunstgriffe. Die Figuren flüchten in eigene Welten, sehen das Kriegsgeschehen gefiltert – Traum und Wirklichkeit spielen nebeneinander.

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Akrützel deckt auf

Die Irrfahrten eines Fotoautomaten

von Uli Sauer

FOTO:aus dem Fotoautomaten

Bis vor kurzem sah man vom frühen bis zum späten Abend kichernde Mädchen, händchenhaltende Pärchen und Partygänger vor ihm: dem orangefarbenen, großen Kasten mit dem schwarzen Vorhang, der roten Aufschrift „Photoautomat“ und dem Charme längst vergangener Tage. Jeder fragte sich, woher der Automat plötzlich kam und warum er auf dem Abbe-Platz stand. Erst konnte man ihn in der Nähe des „Museums auf Achse“ betrachten, später neben der Mensa. Und so schnell und heimlich, wie er auftauchte, verschwand er auch wieder. Sein vorerst letztes Asyl fand er nun am Café Wagner.

Zum ersten Mal wurde er im Juli aus München abgeschoben, weil er sich dort nicht mehr rentierte. Deshalb holte Therese Koppe den Automat nach Jena und rettete ihn so vor seiner Verbannung nach Berlin. Seitdem kümmert sie sich mit drei Freunden um den Fotoautomaten. Sie selbst ist Soziologie- und Kunstgeschichtestudentin an der Uni und stammt aus Berlin. Aus dieser Stadt kommt auch der Initiator Asger Doenst. Der Kameramann hatte die Idee, Fotoautomaten aus den 50er- und 60er-Jahren aufzustellen. Er kümmerte sich um die Beschaffung der alten Automaten, die vorwiegend aus den USA stammen, und ließ sie restaurieren. Mittlerweile finden sich, ausgehend von Berlin, in fast allen großen Städten Deutschlands solche Fotoautomaten. Sogar bis Paris hat sich dieser Trend durchgesetzt und er erhält immer mehr Anhänger.
In Jena bekam Therese eine zeitlich begrenzte Aufstellgenehmigung von der Universität Jena für den alten Neuling, die Anfang Oktober endete. Die Raumverwaltung verlängerte den Vertrag nicht, obwohl das Kulturreferat des Sturas Teile der Einnahmen aus der Campuszeit des Automaten erhält und er hoch frequentiert wurde, vor allem während des Festivals „Four Days in Paradise“. So musste Therese für den ihr anvertrauten Automaten ein neues Obdach suchen. Die Stadt Jena und JenaKultur lehnten die Aufstellung des Fotoautomaten in öffentlichen Bereichen ab, weil der Automat nicht ins Stadtbild passe.

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Gitarrengeschrubbe mit provinzieller Sehnsucht

 Ein Gespräch mit „The Notwist“ vor ihrem Konzert bei der Jenaer Kulturarena 2008

Das Gespräch führten Louisa Reichstetter und Lutz Thormann 

 Jena, 20. August 2008. In der letzten Woche der Kulturarena spielt die Band aus Weilheim auf dem Theatervorplatz. Vor dem Konzert treffen wir Markus Acher, Gitarrist und Sänger, im Garten des Café Grünowski. Mitten im Interview fallen zwei riesige Hornissen vom sonnigen Himmel auf die Picknickdecke. Sie kämpfen wie wild miteinander. Acher runzelt kurz die Stirn und spricht dann seelenruhig weiter über seine Schulzeit, das europäische Konzertpublikum und das Rauchverbot.

The Notwist

„The Notwist“ ­– was bedeutet euer Bandname?
Das bedeutet gar nichts. Es sollte ein total sinnloser Name sein. Vor fast 20 Jahren haben wir an einem Radiowettbewerb für Nachwuchsbands teilgenommen, „Demokassettentest“ hieß das. Damals haben wir ein Lied abgegeben, das wir eigentlich selbst ganz schrecklich fanden. Und dazu haben wir uns einen ganz schlimmen Bandnamen ausgedacht. Es sollte auf jeden Fall was mit „The“ vorneweg sein. Und „No“ kommt bei Jugendlichen immer gut.

Was war das damals für ein Lied?
Das hatte nix mit dem jetzigen Notwistsound zu tun. Es war ein schlechtes Punklied [fängt an zu singen]: „Freitagmittag, die Schule ist aus! Wir gehen nach Haus!“

Heute seid ihr berühmt und geltet doch als scheu, wie ward ihr als Schüler?
Eher Außenseiter. Alle aus der Band. Wir sind auch oft durchgefallen.
Für mich war das Abitur ziemlich schwer und mein Bruder hat gar keinen nennbaren Schulabschluss. Wir waren einfach zu still.

Jetzt liest man in den Feuilletons, The Notwist sei „Deutschlands bedeutendste Indieband“. Was verstehst du unter „Indie“?

Diese Kritiken finde ich total schlimm. Und doch: „Indie“ bedeutet uns immer noch viel, denn es steht für „independent“. Wir versuchen, so unabhängig wie möglich von Plattenfirmen und Geldgebern zu sein. Die alte Hardcore-Bewegung und ihre ganzen Ideen haben uns sehr beeindruckt. Außerdem ist „Indie“ etwas Musikalisches, also Gitarrengeschrubbe, und damit identifiziere ich mich gerne. Mit dem Label „bedeutendste Indieband“ kann ich hingegen wirklich wenig anfangen.

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„Der Pianist ist tot“

 Frankenstein eröffnet die neue Spielzeit des Theaterhauses

von Johannes Weiß

Huhauahahha. Ich habe Leben erschaffen.FOTO:Joachim Dette

Kühle Abendluft weht über den verlassenen Theatervorplatz auf die Zuschauerränge; Autos, Ampeln, Häuser, sogar der Turm in seiner ganzen Hässlichkeit sind zu erkennen. Die Lichter der Kleinstadt scheinen auf die Bühne, wo sich ein Mensch und ein Monster in eine Decke gehüllt haben und ihre letzten Minuten mit einem leisen Abschiedslied füllen.
Fast könnte so etwas wie Wehmut aufkommen, hätte man sich in den vergangenen zwei Stunden solche ernsthaften Gefühle nicht schon längst abgewöhnt.
„Schmutzige Schöpfung – Making of Frankenstein“ lautet der Titel des obskuren Theaterstücks, mit dessen Uraufführung das Theaterhaus Jena am 16. Oktober die neue Spielzeit mit dem vielsagenden Motto „Freikörperkulturen“ eingeläutet hat. Der Autor Thomas Melle versetzt die Frankenstein-Handlung ins 21. Jahrhundert und lockert sie ironisch auf – eine Richtung, die auch die Inszenierung des Teams um die junge Regisseurin Alice Buddeberg einschlägt.

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Volle Pleite

Warum das 4-dip-Festival gescheitert ist.

Das Gespräch führte Conrad Ziesch

Anlässlich der 450-Jahr-Feier der FSU hatte das Kulturreferat des Stura im August das internationale Fest Four Days in Paradise (4dip) organisiert. Es sollte die größte studentische Initiative im Jubiläumsjahr werden. Der Titel der Veranstaltung versprach viel. Vielleicht zu viel, wie Mitorganisator Christian Triebel rückblickend meint.

“Es hätte besser laufen können”, sagt Christian Triebel.
FOTO:Conrad Ziesch

In den vier Veranstaltungstagen sind 3.000 Besucher zu eurem Festival gekommen. Wären außerhalb der Semesterferien nicht mehr zu erwarten gewesen?
Der Termin war sicher nicht der günstigste, das war uns von Anfang an bewusst. Wir befanden uns jedoch in einer Zwickmühle: Vorher fand die Kulturarena statt. Hätten wir den Termin später angesetzt, wäre der Sommer schon vorbei gewesen. Außerdem wollten wir den Studenten aus Europa die Möglichkeit geben, in ihren Semesterferien nach Jena zu kommen.

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