Die Mitläuferin

Morgen wird im Thüringer Landtag der Ministerpräsident gewählt und die CDU diskutiert noch immer über geeignete Gegenkandidaten zu Bodo Ramelow. Eine hat nun klargestellt, dass sie nicht mehr antreten wird: Christine Lieberknecht, noch amtierende Ministerpräsidentin. Rückzug nach rund 24 Jahren in der Landespolitik – aus diesem Anlass hier noch mal der Artikel über Lieberknechts Biografie, der letztes Semester im Akrützel erschienen ist:

Die Mitläuferin

Erste Lieberknecht-Biografie erschienen

Es ist einer dieser Momente, über den auch die Heute-Show im ZDF spotten könnte, als Christine Lieberknecht am 18. Mai auf dem Schlossparkfest in Hildburghausen spricht.  Die Frau, die von sich sagt, sie wisse, was die Thüringer sorge und was diese Freude strahlen lasse, wirkt ein bisschen unbeholfen und deplatziert. Sie volkstümelt ins Mikrofon: „In Wasungen war ich, in Oepferhausen war ich, und in Schleusingen war ich.“ Natürlich musste sie da auch noch nach Hildburghausen.

Die Ministerpräsidentin ist im Landtagswahlkampf, am 14. Februar wurde sie als Spitzenkandidatin der CDU nominiert. Sie, die seit 1990 die Geschicke des Freistaates von allen möglichen Spitzenposten aus mitbestimmt hat, will als Frontfrau eine Wahl gewinnen – zum ersten Mal in ihrer fast 25-jährigen Karriere. Mitten hinein platzt Martin Debes mit seiner Biographie Christine Lieberknecht – von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin, erschienen im März 2014. Auf 241 Seiten finden sich kaum Lobeshymnen oder Liebeserklärungen. Der Thüringer Allgemeine-Reporter und Akrützel-Chefredakteur der Jahre 1994/95 beleuchtet kritisch den Werdegang der 1958 in Weimar geborenen Christine Determann.

Er schlägt eine Brücke von ihrer mutmaßlichen Abstammung von der Heiligen Elisabeth und Karl dem Großen  über das Theologiestudium in Jena und die frühe Heirat mit dem Kommilitonen Martin Lieberknecht bis hin zu ihrem Einstieg in die Politik 1989.   „Ich bin von der politischen Welle mit erfasst und von ihr in das erste Minis-teramt getragen worden“, beschreibt Lieberknecht gegenüber dem Akrützel die Vorgänge. Sie leitet ab 1990 verschiedene Ministerien, danach wird sie Landtagspräsidentin, Fraktionschefin, schließlich Sozialministerin. Seit 2009 ist sie Ministerpräsidentin. Männliche Opfer pflastern ihren Weg, so sieht  es wenigstens Debes. Schon 1990 drängt sie den damaligen CDU-Vorsitzenden Uwe Ehrich wegen seiner Stasi-Verstrickungen aus dem Amt, zwingt den ersten Ministerpräsidenten Josef Duchač 1992 zum Rücktritt, sieht 2009 den angeschlagenen Regierungschef Dieter Althaus stürzen, um schließlich dem Fraktionsvorsitzenden Mike Mohring den CDU-Parteivorsitz wegzuschnappen. Der Autor zeichnet das Bild einer „kühl kalkulierenden Machtpolitikerin, die blitzschnell umschaltet, wenn ihr Instinkt es befiehlt. Dann opfert sie Inhalte genauso wie Kollegen, denen sie bis dahin mit Empathie begegnete.“ SPD-Vorsitzender und Kultusminister Christoph Matschie bestätigt: „Wenn es darauf ankommt, hat sie sehr konsequent nach der Macht gegriffen. Die Frage ist aber, was sie mit dieser Macht anfängt. Da sehen wir eine Christine Lieberknecht, bei der kaum erkennbar ist, wo sie eigentlich hinwill!“ Dass er selbst, wie im Buch angedeutet, Lieberknecht zur Übernahme der Spitzenämter im Land und in der Union gedrängt haben soll, tut der SPD-Chef ab. Das sei eine CDU-interne Entscheidung gewesen.

Mit dem Untertitel Von der Mitläuferin zur Ministerpräsidentin weckt Martin Debes Erwartungen, die er nicht erfüllen kann. Der Leser wünscht sich,  mehr über die Mitläuferin zu erfahren. Damit ist einerseits Lieberknechts Funktion als FDJ-Sekretärin der Sektion Theologie während ihres Studiums in Jena gemeint, andererseits ihr Eintritt in die DDR-Blockpartei CDU. Die Beweggründe bleibt das Buch  schuldig. Stattdessen ist der Autor an vielen Stellen so eingenommen von  den Ränkespielen und den Verbindungen der Politikerin, dass die Analyse ihres politischen Handelns zu kurz kommt. Bei den Personenkonstellationen verstrickt sich Debes: Weggefährten aus den 90er Jahren verschwinden in der Versenkung, um viele Seiten später ohne Erklärung wieder aufzutauchen. Für den Autor, der seit dem Jahr 2000 zuständiger Redakteur für Landespolitik bei der Thüringer Allgemeinen ist, mag die Kenntnis dieser Personen selbstverständlich sein. Der Laie, der vielleicht kein gebürtiger Thüringer ist, wird überfordert.

Wie ein Krimi liest sich dagegen der Abschnitt vom 1. Januar 2009 bis zur Gegenwart. An diesem Tag verursacht der damalige Regierungschef Dieter Althaus einen Skiunfall, bei dem eine 41-jährige Sportlehrerin stirbt. Althaus, selbst schwer verletzt, erholt sich, vergeigt die Landtagswahl, und zieht sich zurück. Daraufhin folgt ein Ringen um die Macht und die Regierungsbildung, das die ehemalige Pastorin für sich entscheidet. Spätestens ab hier fesselt das Buch, bereitet die Fakten übersichtlich auf und liefert viele spannende Hintergrundinformationen.

Lieberknecht, die an vielen Stellen nicht so gut davonkommt, sieht das möglicherweise etwas anders. Dennoch schreibt sie dem Akrützel ganz salomonisch: „Grundsätzlich zeichnet Herr Debes ein Bild von meiner Person, mit dem ich leben kann.“

Alexander Holzer
Mitarbeit: Hauke Rehr

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