Vollrausch statt Vorlesung

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Vom alltäglichen Alkoholmissbrauch unter Studenten

Von Maximilian Gertler




Die Überreste einer typischen WG-Party.

Foto: Maximilian Gertler

Mittwoch, halb fünf Uhr morgens. Joscha wacht auf. Ein durchdringender Bass umgibt ihn, der Raum ist in ein fahles Rot getaucht. Plötzlich spürt er einen Brechreiz. Joscha kann es nicht mehr halten und übergibt sich direkt an Ort und Stelle. Der Abend im Kassa ist gelaufen. Er holt seine Sachen und torkelt nach Haus.
Am nächsten Tag feiert ein Kumpel von Joscha in seinen Geburtstag rein. Der Kater von gestern ist zwar noch deutlich spürbar, aber gegen zwei bis drei Konterbiere ist offenbar nichts einzuwenden.

Für manche Studenten mag sich das nach Alltag anhören, und für die nächste Party ist es eine lustige Anekdote, wenn man in angeheiterter Runde von seinem letzten Absturz erzählen kann. Alkohol und das Gespräch darüber verbindet. Regelmäßiger Alkoholkonsum scheint unter Studenten eine völlige Akzeptanz zu genießen. Und die Uni macht heiter mit: Rektor Dicke überreicht feierlich die ersten Biere des Unijahres an die Ersties, in der Mensa ist der begehrte Gerstensaft auch erhältlich und Glühweinstände im Foyer am Campus gibt es um die Weihnachtszeit praktisch jeden Tag. Auch die Fachschaften lassen sich nicht lumpen und spendieren zu Semesteranfang und -ende hunderte Liter des süffigen Giftes. Denn nichts anderes ist Alkohol: ein Nervengift. So wurde in einem Drogenranking der Universität Bristol 2010 Alkohol zur gesundheitsschädlichsten Droge gekürt, gerade aufgrund seiner schädlichen Folgen nicht nur für Körper, sondern auch für die Gesellschaft.

Einer geht noch

Samstag: Joscha sitzt mit Freunden in der Küche – vorglühen für eine WG-Party später am Abend. Nach ein paar „Bierchen“ werden Mischgetränke aus dem Kühlschrank gezaubert: Wodka‑O, Wodka-Energy und Wodka-Cola. Diese sind teils für den späteren Verzehr gedacht, damit auf der WG-Party nicht auf dem Trockenen gesessen werden muss.
Ein paar alkohollastige Abende mit Freunden: Lässt sich da schon von Alkoholmissbrauch sprechen? Jörg Wittemann von der Drogenberatungsstelle des Studentenwerks Jena redet von „klaren diagnostischen Kriterien, die leicht voneinander abweichen. Es gibt die ICD10 und das DSM IV“. Hinter diesen kryptischen Abkürzungen verbergen sich Klassifikationsmodelle. Hierbei werden Aussagen formuliert, auf die jeder potenziell Betroffene für sich antworten muss. Wenn mehrere Kriterien zutreffen, lässt sich von einem Alkoholmissbrauch sprechen. Dazu gehört zum Beispiel ein starker Konsumwunsch, eine verminderte Kontrollfähigkeit, das Trinken zu beenden oder dass immer mehr Alkohol zu sich genommen werden muss, um einen bestimmten Pegel zu erreichen.
Wer vermutet, ein Alkoholproblem zu haben, sollte sich an die Suchtberatung des Studentenwerks Thüringen wenden. „Grundsätzlich sind wir eine erste Anlaufstation. Wir bieten Beratung für Studenten im Umgang mit Alkohol“, berichtet Jörg Wittemann. So ist eine problemspezifische Beratung möglich, nicht aber eine Therapie. Hierzu verweist die Suchtberatung auf andere Stellen, wie die Suchthilfe Thüringen, das Gesundheitsamt oder entsprechende Kliniken.

Jeder Dritte gefährdet

Aktuelle Zahlen zum Alkoholmissbrauch unter Studenten zeigen die Wichtigkeit solcher Beratungsstellen. Das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim geht davon aus, dass jeder dritte Student in Deutschland ein Alkoholproblem hat. Speziell für Jena gibt es hierzu keine Erhebungen. Zur Suchtberatung des Studentenwerks kamen im Jahr 2011 nur fünf Menschen mit einem Suchtproblem als Beratungsanlass, wobei aber auch andere Drogen beinhaltet sein können. Das klingt erstmal wenig, aber „in einigen Fällen melden sich Ratsuchende auch mit anderen Problemen und erst im Verlauf kommt das Thema Alkohol zutage“, erzählt Wittemann. Auch wenn von einer tatsächlichen Sucht noch nicht zu sprechen ist: Seinen Konsum sollte jeder hinterfragen.
Dienstag: Eine knappe Woche ist seit Joschas Absturz im Kassa vergangen. Heute Abend ist Glühweintrinken bei Kommilitonen angesagt. Der Freizeitstress scheint ihm keine Pause vom Alkohol zu gewähren. Eine Woche – vier mal voll. Joscha greift nicht, noch nicht, aus purem Verlangen zur Flasche. Seinen Alkoholkonsum glaubt er unter Kontrolle zu haben. Er beruhigt sich damit, dass er noch genug soziale Anlässe findet, um nicht alleine zu trinken.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Alfred

    Alles hat ein Ende,
    nur der Durst hat keins
    😉

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