Eine anarchische Augenweide

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Das Shibusa Shirazu Orchester überzeugte nicht nur durch seine Musik

Von Norbert Krause



Foto: Flämig/Kulturarena

Die Fotografen waren überfordert. Überall auf dem Theatervorplatz waren Bläser und Pantomimen verstreut. Sie spielten durch die Menschenmassen tanzend Trompeten und Saxofone. Die ganz weiß geschminkten Körper der Pantomimen bewegten sich dazu in einem langsamen, fast echsenähnlichen Stil. Überall war etwas anderes zu sehen, eine Mischung aus Chaos und Choreographie.
Das gesamte Shibusa Shirazu Orchester tanzte über den Vorplatz und fand sich dann – zur sichtlichen Erleichterung der Fotografen – langsam auf der Bühne zusammen. Dabei passte es allerdings nur gerade so auf die Bühne vor dem Theaterhaus – kleiner hätte diese auf keinen Fall sein dürfen. Etwa 20 Mitglieder umfasst das Ensemble, von denen allerdings nur etwa die Hälfte Instrumente spielt. Der Sänger trug nur ein offenes Hemd und darunter einen roten – man kann es nicht anders bezeichnen – Schlüpfer. Ein weißes Stirnband krönte seine Erscheinung. Der Dirigent rauchte ohne Pause und trank während des Auftritts eine ganze Flasche Weißwein leer. Er saß mit dem Rücken zum Publikum auf einem Klappstuhl und konzentrierte sich zumeist auf die vor ihm sitzende Bläsergruppe. Ab und zu gab er im Stil eines Fußballtrainers weitschweifige Anweisungen, was als Nächstes zu passieren habe. Neben dem Sänger und dem Dirigenten spielte noch ein Gitarrist im eher zurückhaltenden blauen Arbeiteroverall im Vordergrund. Zwei flippige Gogo-Tänzerinnen stolzierten und wirbelten außerdem über die Bühne. Im Hintergrund schwenkte eine Tänzerin, auf einer Leiter stehend, zwei übergroße Bananen durch die Luft – ein bisschen an eine Zirkusshow, aber auch an das Einweisen eines Fluglotsen erinnernd. Kaum beachtet von den anderen wurden die vier Butoh-Tänzer, die abwechselnd auf einer kleinen Bühne vor der Bühne oder immer noch sichtbar im Hintergrund tanzten. Butoh ist eine japanische Kunstform, die eine Mischung aus Pantomime und Tanz darstellt. Die Künstler in Jena bewegten sich mal gollumartig auf allen vieren, mal wie Marionetten, mal rhythmisch passend zur Musik des Orchesters. Sie blickten dabei immer starr gerade aus auf einen Punkt in irgendeiner anderen Welt. Während des gesamten Auftritts malte zudem im Hintergrund ein bestrohhuteter Maler ein japanisches Gemälde auf eine hängende Schriftrolle.
Musik wurde übrigens auch gespielt. Das Shibusa Shirazu Orchester spielte eine absurde Mischung aus Balkanrhythmus, Freejazz und Ska. Es hatte im Wesentlichen nur ein Lied, eine Art Hymne. Sie wurde am Anfang, in der Mitte und am Ende gespielt und bis auf die letzte Note ausgereizt und ausimprovisiert. Alle anderen Lieder wirkten fast nur wie Varianten dieser einen Hymne. Die Bläser hatten allerdings auch verschiedentliche spontane Soloauftritte. Einer gab eine ausschweifende Mundharmonika-Einlage, ein anderer spielte mit enormer Perfektion auf einem Theremin, einem elektronischen Musikinstrument, bei dem man nur durch Bewegungen der Hände über dem Instrument elektrische Schwingungen erzeugt, die in Töne umgewandelt werden. Später spielte ein Musiker zwei Saxofone, bis sich ein zweiter mit zwei Trompeten dazu gesellte. Ein Dritter fotografierte das Ganze auch gleich spontan mit seiner Handykamera. Das ganze Orchester hatte Spaß auf der Bühne – genau wie das Publikum davor. Die ganze Bühnenshow war eine Mischung aus Anarcho-Zirkus und fast orchestral-angeordneter Blaskapelle – eine an Skurrilität kaum zu übertreffende anarchische Augenweide.
Am Ende des Konzerts wurde es dann sogar noch etwas magisch: Ein etwa zwanzig Meter langer, mit Helium gefüllter japanischer Drachen wurde auf dem Theaterplatz freigelassen. Dort tanzte das riesige silbern-glänzende Tier zur Musik des Orchesters. Die Musiker hielt es da auch nicht mehr auf der Bühne, sie tanzten ebenfalls mit ihren Trompeten und Saxofonen durch die Menge und gaben dem Tier einen treibenden Rhythmus. Nach seinem Flug ruhte der riesenhafte Drache direkt hinter dem Orchester, das zum Abschluss noch einmal seine Hymne spielte – diesmal allerdings unterstützt durch den lautstarken Gesang der über 1300 Zuschauer.
Eine Zugabe wollte das Publikum dann übrigens nicht mehr. Das gesamte Konzert war eine einzige überschäumende Zugabe.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Villa

    Klasse Konzertbericht!
    Musiker und Bühnenshow haben mich auch schwer beeindruckt.

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