Investigativ oder illegal?

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Erneute Kontroverse um die interkulturelle Zeitschrift „Unique“

Von Philipp Böhm, Kay Abendroth und Steven Wagner

Berengar Lehr vom Referat gegen Rechtsextremismus während der „Unique“—Debatte. Foto: Christoph Worsch

„Ich als Stura-Vorstand und Redaktionsmitglied fordere Fabian Köhler zum sofortigen Rücktritt auf.“ Dies sagte Christin Penz in der letzten Sturasitzung am 3. November. Der Hörsaal 3 war gut gefüllt, die Stimmung unruhig und gereizt. Zuvor waren lange, aggressive Debatten geführt worden, die trotz des anfänglichen Appells für „Anstand und konstruktives Bestreben“ auf teilweise sehr persönlicher Ebene stattfanden. Es waren Debatten, die ihren Ursprung nicht in diesem Abend hatten.
Eine Woche vorher: Am Montag, den 19. Oktober, geht die Internetseite „nico-packt-aus.tk“ online. Darauf präsentiert die antifaschistische Initiative „Tapferes Schneiderlein – Sieben auf einen Streich“ den gehackten E-Mail-Verkehr des mutmaßlichen Jenaer Neonazis Nico Schneider. Auf der Seite findet sich neben Bildern von rechten Trinkgelagen auch der E-Mail-Austausch mit „Unique“-Chefredakteur Fabian Köhler, der mit Schneider für das „Emil G.“-Interview in der Januarausgabe Kontakt aufnahm.

Das Nazi-Interview erregte schon seinerzeit heftig die Gemüter und gab Anlass zu einer hitzigen Podiumsdiskussion: Es sei zu unkritisch, die Fragen seien diktiert worden, die „Unique“ verbreite Nazipro­paganda, so die Kritiker. Zwar räumte Fabian Köhler damals Fehler ein: „Wenn man uns journalistisches Unvermögen vorwirft, ist das sicherlich eine berechtigte Kritik.“ Dennoch verteidigte er das Interview als solches entschieden.
Die neuen Informationen belegen nun zweierlei: Nico Schneider ist besagter „Emil G.“ aus dem Interview und Fabian Köhler hatte offensichtlich mehr als nur journalistischen Kontakt zu ihm – sie verabredeten sich auf das ein oder andere Bier.
Die Initiative „Sieben auf einen Streich“ resümiert: „Rassismus, Antisemitismus und Sexismus unter dem Deckmantel der Interkulturalität“. Sie bezeichnet Köhler als „Nazisympathisanten“ und wirft ihm eine „gemeinsame Gesinnung“ mit Schneider vor. Aus dem E-Mail-Verkehr gehe hervor, dass Köhler auch Informationen aus linken Studentenkreisen an die Nazis weitergegeben hat. Außerdem habe er seine Artikel Schneider zur Korrektur gegeben.
Der Aufschrei war groß: Die Juso-Hochschulgruppe forderte Fabian Köhler zum sofortigen Rücktritt auf, die Jugend-, Aktions- und Projektwerkstatt (JAPS) schrieb in einer Pressemitteilung: „Dass Nico Schneider, Mitglied des Freien Netzes Jena, ein Nazi ist, ist für uns nicht neu. Dass Fabian Köhler einer ist, haben wir geahnt, jetzt gibt es offensichtlich den Beleg.“ Der Stura-Vorstand strich vorerst die finanzielle Unterstützung der „Unique“ von insgesamt 1.000 Euro pro Ausgabe.
Eine endgültige Entscheidung über die weitere Finanzierung sollte auf der erwähnten Sitzung am Dienstag gefällt werden. Einen Tag, nachdem die Seite online gegangen war, bot Fabian Köhler dem Stura-Vorstand seinen Rücktritt an, zog dieses Angebot jedoch zurück, nachdem ihm die „Unique“-Redaktion auf einer außerordentlichen Sitzung „nachdrücklich das Vertrauen ausgesprochen“ hatte. Kurz darauf, am 1. November, stellte die „Unique“ als Reaktion auf die Vorwürfe die Internetseite „fabik-packt-aus.tk“ online, in der Fabian Köhler zu einigen der Anschuldigungen Stellung bezog und sich verteidigte: Die zitierten Passagen aus seinen Mails seien aus dem Zusammenhang gerissen, wer die „Unique“ regelmäßig lese, würde automatisch feststellen, dass es sich um kein „Naziblatt“ handele.

„Nazi-Selbsterfahrungstripp“

Dennoch finden sich durchaus brisante Textstellen in den gehackten Mails: Rückblickend auf die Podiumsdiskussion im Januar schreibt Köhler von „Linksfaschismus“, eine andere Mail liest sich so, als plane er, einen Problembericht über Nazis zu schreiben, die an der Uni diskriminiert würden. Bestimmte Zitate legen auch den Schluss nahe, Köhler habe sich bei den geschriebenen Artikeln intensiv mit Nico Schneider abgesprochen: „Ein bisschen muss ich die Illusion für mich ja noch aufrecht erhalten, ich würde freien und unabhängigen Journalismus betreiben“, gesteht Köhler dort. Ein weiteres Zitat bezieht sich direkt auf einen Artikel in der „Unique“. Unter dem Titel „Büttenreden, Bier und braune Linke“ wurde ein Abend bei der rechtsradikalen Burschenschaft Normannia beschrieben, zur der auch Nico Schneider gehört: „Letztendlich hielt ich es auch für euch besser, die Normannia als geschichtsverliebte, besoffene Klamauk-Truppe und damit als harmlos darzustellen, als sie in die rechtsextreme Bewegung einzubetten“, schrieb Köhler in seiner Mail. Anderswo ist von einem „Nazi-Selbsterfahrungstripp“ die Rede, den er sich nicht verbauen will, oder von einem Ralf, der „auch mal was mit Nazis machen will“.
Dass sich die „Unique“ ihre Artikel diktieren oder gegenlesen lies, wies Köhler im Gespräch mit „Akrützel“ jedoch entschieden zurück. Natürlich habe er Zugeständnisse machen müssen, um an Kontakte und Gesprächspartner zu kommen. Trotzdem habe Schneider nie einen relevanten Einfluss auf seine Arbeit gehabt: „Unser Verhältnis war niemals geprägt von irgendwelchen Überschneidungen in unserer Weltanschauung oder politischen Meinung.“
Obwohl er auch persönlichen Kontakt zu Nico Schneider pflegte, will er von einer Beeinflussung nichts wissen. In seine Arbeit habe er sich nie hineinreden lassen. Ausdrücke wie „Linksfaschismus“ und „Nazi-Selbsterfahrungstripp“ seien „einfach unprofessionell“ gewählt, das wolle er nicht abstreiten. Trotzdem müsse man auch hier den Kontext betrachten: Die Zeit rund um die Podiumsdiskussion über das Nazi-Interview sei „eine sehr schwierige Zeit“ für ihn gewesen.
Bei dem „Nazi-Selbsterfahrungstripp“ sei es ihm nicht darum gegangen, in die rechte Szene einzusteigen. Stattdessen rechtfertigt er sich mit dem Argument des „investigativen Journalismus“: „Ich möchte das, worüber ich schreibe, auch selbst erleben und so zu neuen Erkenntnissen kommen.“ Andere Zitate seien ebenfalls missverständlich, meint Köhler. Der Kommentar über die „Illusion des unabhängigen Journalismus“ sei zum Beispiel ironisch gemeint. Auch wehrte er sich im Interview gegen den Vorwurf, er habe Informationen an Nazis weitergegeben oder Personen weitervermittelt.

Bisher unbekannte Informationen

In keiner Weise habe er die rechtsextreme Bewegung verharmlosen oder verklären wollen, wie ihm vorgeworfen wird. Ganz im Gegenteil: Durch ihre journalistische Arbeit habe die „Unique“ bisher unbekannte Informationen über Neonazi-Strukturen geliefert. Auf die Frage, welche bisher unbekannten Informationen das seien, welchen journalistischen Mehrwert die „Unique“ damit erzeugt habe, verweist Köhler lediglich auf die neuen Erkenntnisse, die durch den „Normannia“-Artikel gewonnen wurden: der Geschichtsrevi­sionismus der Burschenschaft, der sich in der Verharmlosung von SS-Kriegsverbrechen zeige. Dieses Argument kann Berengar Lehr, Leiter des Stura-Referats gegen Rechtsextremismus, nicht verstehen. An alle Informationen aus den „Unique“-Artikeln hätte man auch ohne intensiveren Kontakt zu Rechtsextremen kommen können. Auf der Sturasitzung vom 3. November kritisierte er die journalistische Arbeit der „Unique“ aufs Schärfste: „Fabian Köhler beschreibt seine Arbeit als investigativ. Investigativ sein aber heißt aufdecken, nicht verdecken!“
Während andere die Weiterfinanzierung der „Unique“ mit der Bedingung verknüpften, dass Fabian Köhler als Chefredakteur zurücktrete, forderte Berengar Lehr die komplette Mittelstreichung, unabhängig von der Personalie Köhler. Er begründete dies damit, dass der Chefredakteur sich seine Artikel von Nazis „gegenzeichnen ließ“ und bewusst rechtsextreme Positionen verharmlose. Die gesamte Redaktion habe sich zudem immer mit ihm solidarisiert.

„Stasi-Methoden“

Der Stura-Vorstand verurteilte aber auch das Hacken des Mail-Accounts: „Das sind Stasi-Methoden und damit abzulehnen!“, sagte David Schinkel. Dem entgegnete Berengar Lehr, dass er die Offenlegung von privaten Mails selbstverständlich für „bedenklich“ halte, aber: „Diese Inhalte existieren nun mal, wir können sie nicht leugnen und müssen uns damit auseinandersetzen.“
Auch Stura-Mitglied Marcel Eilenstein lehnt eine „Unique“ mit Fabian Köhler als Chefredakteur ab: „Die ganzen Vorwürfe sind doch nicht neu! Ein Magazin kann sich das nicht immer wieder erlauben, wo es doch angeblich aufdecken und aufklären will.“ Kontaktpflege hin oder her: Es sei eine „Gratwanderung“ gewesen, bei der Köhler „als Journalist versagt“ habe. Das Referat für Inneres hatte sich davor intensiv mit den letzten „Unique“-Ausgaben und ihren Inhalten beschäftigt. Enrico Schurmann fasste die Ergebnisse der Untersuchung zusammen und gab an, keine rassistischen oder antisemitischen Positionen entdeckt zu haben. Lediglich eine „teilweise unkritische Berichterstattung“ monierte er.
Lutz Thormann, der zweite Chefredakteur der „Unique“, hatte bereits vor der Sitzung mit einem wütenden offenen Brief auf die Rücktrittsforderungen reagiert, in dem er sämtliche Vorwürfe zurückwies und Berengar Lehr als „Linksextremisten“ bezeichnete, der „einen blindwütigen Privatkrieg“ gegen die „Unique“ führe.
Fabian Köhler jedenfalls möchte selbst dann nicht zurücktreten, wenn die „Unique“ kein Geld mehr vom Stura erhält. Doch nach dieser erneuten Kontroverse versprach Köhler einen „klaren Schlussstrich“ unter die Sache zu ziehen und den Kontakt zu Nico Schneider aufgeben. Sein größter Fehler sei es nämlich gewesen, die Redaktion nicht über seine Beziehungen zu Schneider informiert zu haben. Dass er dadurch seine Objektivität in der Recherche verloren haben könnte, glaubt er nicht.
Eine Entscheidung konnte die Stura-Sitzung letztendlich nicht treffen: Die Fronten hatten sich zu sehr verhärtet, bis Mitternacht wurde hitzig diskutiert. Entscheiden sollen nun sämtliche Studenten in einer Vollversammlung. Sie findet an diesem Donnerstag, den 12. November um 19.30 Uhr in den Hörsälen 1 und 3 statt.
Die eigentlich wesentliche Frage, wie man journalistisch mit Neonazis umgehen sollte und wie weit der oft genannte investigative Journalismus gehen dürfe, ist darüber leider völlig in den Hintergrund getreten – überschattet von der Kontroverse um die Person Fabian Köhler und eine Summe von 1.000 Euro.

Reaktion der „Unique“ auf die Vorwürfe. Foto: Katharina Schmidt

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Jens Bender

    Bin ich eigentlich der Einzige, der die Tatsache, dass im Vorfeld der Vollversammlung Flyer ausgeteilt worden sind die ohne jedweden glaubwürdigen Kontext Leute als Rechtsradikale hinstellen und dass sich auf illegal beschaffte E-Mails berufen wird viel bedenklicher findet als die ganzen Anschuldigungen gegen den Chefredakteur der UNIQUE?

    Unabhängig davon ob Fabian jetzt ein “echter” Nazi ist oder nur zu viel verdächtigen Kontakt zur rechten Szene hatte oder sonstwas; eine Aktivistengruppe die nicht davor zurückschreckt Mailaccounts von Leuten zu hacken die ihrer Vermutung nach Neonazis sind und dann diese Person auch noch öffentlich zu denunzieren erscheint mir als wesentlich bedrohlicher als jede mittelmäßige Zeitung mit vermeintlich rechtsgerichtetem Inhalt.

    Ich habe genug persönliche Erfahrung um zu wissen, dass unter solchen Umständen JEDER der nächste “Nazi” sein könnte. Ekelhaft.

  2. Florian Girwert

    Bedauerlicherweise konnte ich die öffentliche Diskussion im Hörsaal nicht verfolgen, aber was mir darüber zu Ohren kommt und was ich lese, macht mir doch Sorgen. In einem ordentlichen Gerichtsverfahren wäre wohl herausgekommen, dass die Inhalte der Unique teilweise zweifelhaft waren, aber es hätte einen Freispruch gegeben, weil das entscheidende Beweismittel, nämlich der private E-Mail-Verkehr des Beklagten, nicht zugelassen wäre. Dass dieser gehackt wurde, ist absolut unverzeihlich. Nicht umsonst sind solche Aktionen seitens der Polizei in Deutschland von Richtern zu genehmigen, wobei besonders Journalisten unter besonderm Schutz stehen. Auch das nicht ohne Grund. Wer will sich denn anmaßen, wo die Grenze zwischen einer Meinung, die uns nicht genehm ist und Nazi-Propaganda zu ziehen ist? Einer Gruppe, die mittels öffentlicher Diffamierung dafür sorgt, dass sich ein Student (und das ist der Chefredakteur der Unique, kein Journalist mit jahrelanger Erfahrung), kaum noch öffentlich sehen lassen kann? Und dass der Stura aufgrund von Informationen, die es in der Öffentlichkeit gar nicht geben dürfte, seine Entscheidungen trifft, halte ich für bedenklich. Das Interview mit dem Neonazi war wirklich eine miese journalistische Leistung, aber ehrlich gesagt, die Methoden, mit denen Teile der Antifa offensichtlich arbeiten, sind keinesfalls besser. Das Briefgeheimnis gilt auch für E-Mails und dieser Bruch ist unverzeihlich. Gegen die Texte Fabian Köhlers zu sein, ist bei so kontroversen Inhalten nur recht und billig, aber gestern noch gegen Schäuble und Stasi 2.0 zu protestieren und heute den Mail-Account eines Menschen zu hacken, der die gleichen Rechte hat, wie alle anderen auch, das ist blanke Heuchelei.
    Ja, es wäre Zeit für Fabian, sich von dem Posten des Chefredakteurs zurückzuziehen, auch um Schaden von der Unique abzuwenden, die doch über die Jahre immer wieder interessante Themen aufgegriffen hat, die regelmäßig des Rechtsextremismus völlig unverdächtig waren. Es wäre bedauerlich, wenn die kleine Medienvielfalt, die es an der Uni gibt, wegen dieser von beiden Seiten verbissen ausgetragenen Vendetta noch kleiner würde.

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