Eine kleine Mitmach-Revolte

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Theaterhaus Jena inszeniert den „Dritten Weg“

Von Isabel Schlegel

89er-Retro-Demo auf dem Weg zum Theaterhaus. Foto: Theaterhaus

„Jetzt wird hier 20 Jahre Revolution gefeiert, dabei hat die nie stattgefunden. Die DDR-Bürger haben sie für 100 Mark an Kohl verkauft“, mokiert sich „Bär“, Theaterbesucher und massiger Hüne mit grauem Zottelhaar und Vollbart. Die Utopie des in die Jahre gekommenen Revolutionärs vom freiheitlichen Sozialismus, einem Mix aus Anarchie und Jesus, wurde nie verwirklicht.
Das Theaterhaus Jena will diesen „Dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus nun doch noch wahr werden lassen, der Geist von 1989 soll für einen Abend wiederauferstehen. Dafür wurden 50 Jenaer Oppositionelle interviewt und ihre ganz persönlichen Erinnerungen an den Widerstand gegen das DDR-Regime wortgetreu festgehalten. Aus einigen dieser Einzelschicksale hat das Theaterhaus ein bewegendes Stationentheater gebastelt, das sich über die gesamte Innenstadt erstreckt. Mal ruhig, mal punkig und mal schrill werden darin Menschen vorgestellt, die der Drang nach Veränderung und der Mut, zumindest im Kleinen dafür einzustehen, verbindet.

Menschen wie Heidemarie Vollmann (Stefanie Dietrich), der als Kind immer gesagt wurde, sie solle ja brav sein: „Anpassung, Anpassung noch und nöcher, das wurde von mir verlangt“. Und die trotzig beschließt, ihre beiden Söhne so zu erziehen, dass sie sich ruhig was trauen sollen. Bis das Volkspolizeikreisamt anruft, der jüngste Sohn sei verhaftet, sie solle zur Vernehmung kommen. In schönstem Jenaer Dialekt, und dadurch umso eindringlicher und authentischer, schildert sie ihre Straßenbahnfahrt, auf der sie ausnahmsweise betet: „Lieber Gott, mach, dass es was Politisches ist, dass der Junge sich nicht schämen muss.“ Die Gebete werden erhört, der Junge muss sich nicht schämen: Er ist auf Masten geklettert, um die Fahnen für den Jahrestag der DDR abzuhängen, nichts moralisch Verwerfliches also, nur was Politisches.
Als ihrem Sohn der Prozess gemacht wird, muss auch Heidemarie Vollmann aussagen. Sie hält die mutigste Rede ihres Lebens, über „ne Jugend in der DDR“, das Eingesperrtsein, die Ungerechtigkeiten. Es ist ihre persönliche Abrechnung mit einem System, das einen nicht so sein lassen will, wie man ist. Ihr Mut zahlt sich aus: Statt des für solch ein Vergehen üblichen Strafmaßes von einem Jahr Gefängnis muss ihr Sohn nur einen Monat in U-Haft.

Der Westen ist
„nicht so lustig“

Nicht alle hatten so viel Glück: Den meisten Halbstarken, die hier vorgestellt werden, wurden Berufsmöglichkeiten vermasselt, viele direkt in die BRD abgeschoben. Ausweisung war die Höchststrafe für aufbegehrende Jugendliche, der kapitalistische Westen war als „nicht so lustig und total oberflächlich“ verschrieen. Die DDR sollte besser werden, als Teil der BRD zu enden wünschte sich keiner der Oppositionellen. Das wird auch beim anschließenden Gespräch mit „echten“ Zeitzeugen in der JG deutlich: Bei einer Tasse Tee plaudert man im kleinen Kreis über Träume von einem selbstbestimmten Leben und das eigene Scheitern.
Dabei will der „Dritte Weg“ aber nicht im Wiederkäuen alter Geschichten verharren, sondern die Brücke ins Heute schlagen, um von dort aus die Zukunft zu verändern. Das ist ein ganz schön ambitioniertes Ziel für ein Theaterprojekt. Vielleicht zu ambitioniert: Denn ob beim Workshop für Zivilcourage, bei einer drollig inszenierten Besetzung des Theaterhauses oder auf dem riesigen „Jetzt!“-Banner, das als Hommage an das „Keine Gewalt!“-Original von ´89 vom Johannistor entrollt wird – fast schon verzweifelt wird an das revolutionäre Potential der Besucher appelliert, doch bitte selbst mal irgendetwas zu verändern.

Ein aufmüpfiger Haufen

Aber wer sich auf das Spiel einlässt, wird nicht nur eine Menge Spaß haben, sondern auch feststellen, dass die Grenzen zwischen Inszenierung und Wirklichkeit mehr und mehr verschwimmen: „Der Dritte Weg“ wird zur eigenen, fixen Idee. Am Anfang der Zeitreise tapsen die Theaterbesucher noch unsicher, versorgt mit leeren Plakaten und weißen Laken, als Geisterzug zu den wichtigsten Orten der einstigen Oppositionsbewegung. Wenige Stunden später formiert sich daraus ein aufmüpfiger Haufen: Die Plakate werden mit Ideen für den eigenen „Dritten Weg“ besprüht, auf der Demonstration zum Theaterhaus ruft man erstaunten Passanten lachend Parolen zu.
Es ist düster geworden in Jena, so düster, dass man den Aldi in der Neuen Mitte und die modernen Bürogebäude glatt vergessen könnte und das Gefühl bekommt, gerade wäre ein historischer Moment, ein Abend, an dem alles möglich ist.

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