„Wir sind hier, wir sind laut…“

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Ein Rückblick auf die Jenaer Bildungsstreik-Woche

Einen langen Zwischenstopp machten die demonstrierenden Studenten und Schüler auch vorm Uni-Hauptgebäude.                                                           Foto: Matthias Benkenstein

Ernst-Abbe-Platz, Mittwoch letzter Woche, morgens halb zehn: Die hochschulpolitische Referentin des Sturas Mathilde Schäfer hofft, dass wenigstens 500 Menschen an der Demonstration für eine bessere Bildung an Schulen und Universitäten teilnehmen. So viele hatte sie bei der Polizei angemeldet. Doch dann kam alles anders. Rund 4.500 Demonstranten zogen nach Angaben von Polizei und Ordnungsamt durch Jenas Innenstadt, um ihren Protest lautstark zu äußern. „Wir mussten vorm Capitol halten, weil die letzten Demo-Teilnehmer noch nicht durch die Unterführung am Campus waren“, beschreibt Schäfer den Stand der Jenaer Demonstration kurz nach dem Start. Die Studenten- und Schüler-Demo war die bildungspolitisch größte, die Jena seit der Wende erlebte. Noch nie waren seitdem so viele Menschen für eine Verbesserung des Bildungssystems in der Saalestadt auf die Straße gegangen. Die Aktion reihte sich in die bundesweite Bildungsstreikwoche vom 15. bis 19. Juni ein.

Schulamt und ASPA gestürmt

Zwischenzeitlich hielt der Zug an der Stoy-Schule. Über einen Lautsprecherwagen wurden die Schüler aufgefordert, sich an der Demonstration zu beteiligen. Einge fassten sich ein Herz und verließen das Schulgelände. Großen Applaus erhielt ein Schüler, der Berichten zufolge aus dem ersten Stock seiner Schule gesprungen war, da seine Lehrerin das Klassenzimmer abgesperrt hatte. Ein gutes Stück weiter stürmten rund 50 Teilnehmer das Schulamt am Philosophenweg und warfen Papierschnipsel aus den Fenstern, um ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Zwar stellte sich daraufhin ein Mitarbeiter der Diskussion, konnte aber mit seinen vagen Aussagen die Menge nicht beschwichtigen. Diese zog nach einem kurzen Umweg über den Helmholtzweg wieder in die Innenstadt ein: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Bildung klaut!“ und „Bildung tot, Kassen leer, CDU, danke sehr!“ wurde skandiert. Kurz vor Ende der Demoroute rannten 15 Personen in das ASPA und protestierten dort noch einmal gegen starre Zeitpläne und Termindruck im Studium. Gegen die einzelnen Teilnehmer wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt. Die Vorwürfe lauten: umgeworfene Stühle und heruntergerissenes Infomaterial. Nach drei Stunden ging die Demo langsam ihrem Ende entgegen. Trotzdem hatten die Teilnehmer noch Energie, um kurzfristig durch die Goethegalerie zu ziehen und dort noch einmal mit ordentlicher Laustärke ihre Forderungen zu äußern. Auf dem Abbe-Platz fand danach die Abschlusskundgebung statt. Dort hingen bereits seit zwei Tagen rote Fahnen und Transparente der Unibesetzer aus den Fenstern.

Barrikaden gebaut

Studenten hatten drei Räume in der Carl-Zeiss-Straße 3 nach einem Konzert auf dem Campus am Montagabend besetzt. Sie bauten Barrikaden aus Tischen und Stühlen und stellten ein großes Schild mit der Aufschrift „Sie betreten den demokratischen Sektor“ auf. Statt vorgegebenem Rahmenstudienplan, gab es ab sofort selbst organisierte Arbeitskreise, die sich mit Themen wie „freie Bildungszugänge“, „mehr Mitspracherechte an der Uni“ und „selbstbestimmtes Lehren und Lernen“ beschäftigten. Doch nicht nur Studenten und Schüler, sondern auch Dozenten sprachen klar und deutlich Missstände an und motivierten die Studenten, sich aktiv an den Protestaktionen zu beteiligen: „Wer nörgeln kann, der kann auch seinen Hintern zur Demo bewegen – wenn er das nicht tut, gehört er in denselbigen getreten“, meinte Psychologie-Professor Rüdiger Trimpop zu seinen Studenten am Mittwochmorgen.  Die Hälfte seiner Vorlesungszeit stellte er der Diskussion über den Bildungsstreik und die schlecht umgesetzte Umstellung der Studiengänge auf das Bachelor-System zur Verfügung.
Auch Robert Gramsch, Dozent am Historischen Institut, äußerte während der Demo seinen Unmut. Die intellektuelle Kurzatmigkeit  und die stromlinienförmige Bildung, die der Bologna-Prozess gebracht habe, entspräche nicht dem intellektuellen Ziel einer Universität, brachte er die Zustände auf den Punkt. Gramsch kritisierte zudem die starren Abgabetermine für Hausarbeiten. „Wir Dozenten wollen solche in Eile zusammengestümperten Angstprodukte nicht haben. Allein sie zu korrigieren ist uns ein Greuel“, betonte er und verwies darauf, dass das Historische Institut gegen diesen Termindruck jetzt vorgehe. Mit Rektor Klaus Dicke, der sich  bis Mitte der Woche nur gegenüber der Presse zum Bildungsstreik äußerte, fand am Donnerstag eine Diskussion im vollbesetzten Hörsaal 6 statt. Kurz und knapp versuchte er, Fragen nach Studiengebühren, der Unvereinbarkeit von Bachelor-Studium  und Nebenjob oder der schlechten Strukturierung der neuen Studiengänge zu beantworten. Häufig blieb er dabei jedoch unkonkret. Zwar betonte er, dass etwas schief laufe, wenn Magister-Studienpläne in sechs Semester Bachelor-Lernstoff gesteckt werden. Wie man dies aber ändern könne, konnte er nicht beantworten. „Der Rektor stimmt den Forderungen der Studenten zwar zu, sagt aber immer wieder, es liege nicht in seiner Hand etwas zu tun“, kritisierte eine Studentin, nachdem Dicke hektisch den Raum verlassen hatte. „Der Rektor weist bei Fragen hochschulpolitischer Art die Kompetenz regelmäßig von sich und verweist die Studenten darauf, sich doch selbst an den Landtag zu wenden“, sagte Stura-Vorstandsmitglied Stefan Schumann.

Rektorat besetzt

Mit den unkonkreten Aussagen des Rektors gaben sich die Studenten jedoch nicht zufrieden und besetzten nach der Diskussionsrunde am Donnerstag das Büro des Rektors. Sie forderten einen Raum in der Universität, der ausschließlich unter studentischer Selbstverwaltung steht. Die Universitätsleitung lehnte dies zunächst ab und versuchte die Studenten mit einem Antrag hinzuhalten. Schließlich wurde mit gewaltsamer Räumung und Exmatrikulation gedroht. O-Ton Dicke: „Ich lasse mich nicht erpressen!“ Nach sechs Stunden entschlossen sich die 35 Studenten das Büro des Rektors wieder zu verlassen. Einen Tag später lenkte dieser aber dennoch ein und überließ der Besetzergruppe den Seminarraum 124 in der CZS3. Dorthin zogen sie um, nachdem sie am Wochenende die besetzten Räume verlassen hatten. Ihr neuer „Frei(t)raum“ steht ihnen nun vorerst für sechs Wochen zur Verfügung. Dort werden sie in den nächsten Tagen die bildungspoli-
tischen Forderungen und Verbesserungsvorschläge weiter ausarbeiten.

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