Was ist das für 1 Boy?

Oder: Er revolutionierte das Game, Boy!

In dieser Serie widmen wir vermeintlichen und echten Meisterwerken Liebeserklärungen und Hasstiraden. Diesmal: Der Nintendo Gameboy.

Von Paul Schäfer

Ich erinnere mich an lange Autofahrten bei Nacht auf dem Rücksitz. Jede Straßenlaterne spendete meinem neunjährigen Ich unregelmäßig vorbeirauschende Momente der Erleuchtung auf dem grün-grauen Bildschirm meines klobigen Nintendo Gameboys. Man sah was, man sah nichts, man sah wieder was, man sah wieder nichts. Das machte insbesondere Jump’n’Run Spiele zu einer, sagen wir mal, Königsdisziplin. Wenn dazu noch die nervenaufreibenden 8-Bit Sounds aus dem eingebauten 4-Kanal-Stereo-Soundsystem ertönten und die Eltern zur Weißglut brachten, dann war das 4-AA-Batterie-gespeiste Super Mario Land Revolte.

Ich hatte die transparente Special Edition, mit der man sich auf dem Schulhof seinerzeit gewiss zu den coolen Kids zählen durfte. Die Nintendo Handhelds waren Mitte / Ende der Neunzigerjahre ein absoluter Gamechanger. Man hatte das Gefühl, jeder hatte so einen Kasten und jeder hat Tag wie Nacht auf die Bildschirme gestarrt und Pokémon gefangen. Also prinzipiell alles wie heute mit den Smartphones. Nur durfte jeder mit auf die 2,6“ Mattscheibe schauen, was heutzutage vielleicht etwas seltsam oder peinlich wäre. Damals haben sich noch Trauben von Kindern um einen Gameboy gebildet, um endlich Klärung für die wirklich wichtigen Fragen erhalten zu können:

1. Wie oft muss ich Arktos‘ Eisstrahl einsetzen, um Mewtu einfrieren zu können?
2. Wann kommt „der Lange“ bei Tetris?
3. Wie schalte ich König Dedede in Kirby’s Dreamland aus?

Damals musste man sich noch nicht seine (Gameboy-) Frontkamera abkleben oder Datenvolumen nachbuchen. Blaue WhatsApp-Häkchen, Instafood, Tinder Pro und Snapchat-Filter wurden glücklicherweise erst zu Problemfeldern der nächsten oder übernächsten Jugendgenerationen. Mein Jugendproblem war die Entscheidung zwischen Nockchan und Kicklee. Alle anderen Probleme ließen sich lösen, indem man einfach kurz in die Unterseite der Gameboy-Spielekasette reingepustet hat – und schon lief es wieder. Man verfällt schon in eine Art Melancholie beim Aufklingen des Pieptons, kurz nachdem man den Gameboy angeschmissen hat. Ein einsekündiger Zweiton-Sound, der besser als alle Andreas-Bourani-Alben zusammen ist. „Ba-Ding“ – Musik in meinen Ohren. Jetzt fängt es an zu menscheln.

Der Gameboy Classic kam im September 1990 in Europa auf den Markt. Mit den Nachfolgemodellen Gameboy Pocket, Gameboy Color und Gameboy Advance hat sich Nintendos Handheldflaggschiff kontinuierlich weiterentwickelt und immer bessere, grafisch hochwertigere Spiele entwickelt. Doch kein anderer Handheld verkaufte sich so gut wie das Originalmodell: satte 118 Millionen Mal. Zum Vergleich: Andreas Bourani hat gerade Mal 730.000 verkaufte Alben. Where is your God now!?

Über ein Andreas-Bourani-Album kann man mit dem Auto fahren und es geht zu Bruch – ein Gameboy überlebt es. Auch nach Stürzen in den Swimming-Pool verrichtet der Gameboy noch immer klaglos seinen Dienst. Im Nintendo World Store in New York ist außerdem ein Gameboy ausgestellt, der einen Bombenangriff im ersten Golfkrieg überstand und auf dem seitdem unentwegt Tetris läuft.

Außerdem hat der kleine Racker schon einen Spitzensportler ausgeschaltet. Der NBA-Spieler Lionel Simmons verpasste zwei Partien zu Anfang seiner Basketball-Karriere: Der Grund waren Beschwerden in Hand und Unterarm aufgrund übermäßigen Gameboy-Spielens. Heutzutage sind Profisportler eher damit beschäftigt, auf Instagram den Swag aufzudrehen. Für Unterarmprobleme aufgrund erhöhter Selfieproduktion liegen aktuell allerdings keine Zahlen vor. Also: Gameboy Eins, Smartphone Null!

Man kann sich glücklich schätzen, wenn man in der „Gameboyzeit“ groß geworden ist. Man muss zwar sagen, dass der Handheld das Leben damals nicht wesentlich erleichtert oder verbessert hat, aber irgendwie steht er stellvertretend für ein einfacheres, beschwerdefreieres Leben, in welchem man sich im Sommer nach Schulschluss auf das Fahrrad geschwungen hat und zum nächsten Bolzplatz oder See gefahren ist, wo Themen wie Nine-to-Five Jobs, private Altersvorsorge oder Krankheiten noch weit weg waren und nicht jede zweite Klassenkameradin als Punkt-Punkt-Punkt-Photography auf Instagram angemeldet war.

Ich stelle es mir unglaublich anstrengend vor, heutzutage nochmal 13 Jahre alt zu sein. Genau deshalb hat der Nintendo Gameboy als Stellvertreter und Wegbegleiter einer ganzen Jugendgeneration die Wahl zum Klassiker mehr als verdient. Ob das technisch um Längen bessere Samsung Galaxy S8 in 20 Jahren auch einen Klassiker im Akrützel verdient hat, bleibt hingegen zu bezweifeln – Originalität ist und bleibt eben auch eine Frage des Charmes.

Der Nintendo-Kult zieht sich bis in die heutige Zeit und hält ein in Mode, Musik und Film. Die Geschichte zur Idee für den Nintendo Gameboy ist außerdem eine sehr pikante. Ein gewisser Gunpei Yokoi aus Kyoto fing 1965 an, bei Nintendo zu arbeiten. Allerdings war er nicht als genialer Tüftler und Erfinder, sondern als Hausmeister und Mechaniker angestellt. Er gilt als geistiger Vater des Gameboys, da er die ersten wesentlichen Denkanstöße zur Entwicklung eines portablen Videospiels lieferte.

Und, hat Andreas Bourani jemals eine Spielkonsole entwickelt? I doubt it.

Foto: Public Domain

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