Esperanza zupft Kadenzen

Nachwuchsjazz auf der Kulturarena

Von Louisa Reichstetter (Text + Fotos)

Es gibt Professoren, die sind um die 50, haben graue Haare und leben an ihrem Schreibtisch. Und es gibt Professorinnen, die sind 24, haben eine wilde Lockenmähne und bringen tausend Leute im Regen dazu, Bossa Nova zu singen. Zugegeben, Letztere sind ziemlich einmalig. Es handelt sich um die US-amerikanische Bassistin Esperanza Spalding. Sie lehrt als bisher jüngste Dozentin am Berklee Music College in Boston und tourt mit ihrer Band um die Welt. Samstagabend bezauberte sie die Kulturarena.

Es ist im Jazz nicht nur selten, dass eine Frau den Bass spielt. Spalding singt auch noch gleichzeitig – ein gänsehauttreibendes Kunststück, da der Bass stets kontrapunktisch gegen die Melodie argumentiert. Bei genauem Hinhören allerdings übernahm der junge Argentinier Leo Genovese an Piano und Hammondorgel oft unterstützend und zurückhaltend die Baseline.

Außerdem begleiteten Spaldings Studienfreund Ricardo Vogt an der Gitarre und der Drummer Otis Brown das Ausnahmetalent. Brown hatte schon einen Grammy gewonnen, als Spalding noch Violine im Schulorchester spielte, und er hielt das Quartett routiniert zusammen: Ihr Stil wechselte ideenreich zwischen Fusion, Soul und Bebop – zusammen mit Vogt im Duett und dem begeisterten Zuschauermeer interpretierte Esperanza Spalding zudem Bossa Nova-Klassiker wie Milton Nascimentos „Ponta de Areia”.

Doch gerade ihre Version von „Body and Soul” offenbarte, was ihr bei allem Können noch fehlt: Demut und Lebenserfahrung. Denn während dereinst Billie Holiday die tragischen Facetten ihrer Biographie in Zeilen wie „My heart is sad and lonely” zu legen wusste, kamen die Nachdenklichkeit und Traurigkeit des Jazz bei Spaldings munterer Gesangsakrobatik zu kurz: Sie scattete und seufzte, traf die höchsten Töne und griff am Bass die tiefsten – leise und unprätentiös aber wurde es erst bei der Zugabe: Cole Porters „Let’s fall in love”, interpretiert nur mit Gesang, sexy Snaredrum – und Kontrabass.

So waren dutzende Zuschauer dann auch bis direkt an die Bühnenkante gekommen, um Spaldings letztem Basssolo zu lauschen. Das schien mutig dissonant zu enden, doch dann zupfte Spalding bereits im Gehen noch frech den Schlusston der Kadenz mit dem kleinen Finger und verschwand nach fast zwei Stunden mit einem breiten Grinsen.


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