Wilhelm Tell in Hotpants

Theaterspektakel zur Eröffnung der Kulturarena

Von Louisa Reichstetter

Foto: Joachim Dette

Was ist Mut, was Freiheit und was macht einen Helden aus? Keine geringeren Fragen beschäftigten Friedrich Schiller bei der Verarbeitung des Schweizer Nationalepos „Wilhelm Tell“ für sein gleichnamiges Bühnenstück 1804.

Mut bewies das Team um Regisseur Markus Heinzelmann weniger mit der Auswahl des Stücks – schließlich feiert Schiller derzeit 250. Geburtstag – als mit der Inszenierung: Sie entfernt sich, nur wenige Schritte vom Schillerhaus, sehr weit von ihrem Ausgangsmaterial.

Für das massentaugliche Freiluftspektakel wurde die Bühne mit viel grüner Almwiese, grauen Kletterwänden und Plastikböcken ausgestattet. Ferner wirken ein Posaunenchor, eine Rockband, eine Soulsängerin, Motorräder und ferngesteuerte Hubschrauber mit, sowie nicht zu vergessen Dutzende Statisten, die als Murmeltiere, Kapitalistenschweine, Hochzeitsgesellschaft oder überdimensionierte Tobleroneschachteln umherlaufen. Und doch bietet diese Aufzählung nur eine Auswahl der eher flachen Klischees über die Schweiz, die die schlichten Fragen nach Mut, Freiheit und Heldentum begleiten. Das gleiche Problem – unreflektierte Überfrachtung – ergibt sich auch für die inhaltliche Gestaltung des Jenaer „Wilhelm Tell“. Es wirkt, als hätte jeder, der im Theaterhaus irgendetwas tut, eine Idee beisteuern dürfen.

So kann man auch die fünfte Freiluftinszenierung Heinzelmanns unter dem Stichwort „effekthascherische Brüllerei“ subsumieren. Moderner Schiller kann Poesie und Pathos sein, die auf politische Satire treffen. Im Jenaer Theaterhaus aber geht das nicht:

In Heinzelmanns „Tell“ wurden die Schillerschen Verse einerseits durch moderne Umgangssprache gebrochen und somit ständig Sätze wie „Boah, scheiße, ich krieg´ die Krise, Schatz!“ eingestreut, wenn sich die Helden in bedrohlicher Lage befanden. Andererseits ließ der Regisseur gerade die klassischen Dialoge immer wieder in verschiedenen Dialekten sprechen – auch Sächsisch, was keinen inhaltlichen, sondern höchstens lokalen Unterhaltungswert hatte. Das machte Schillers Worte unverständlich, denn die Schauspieler sagten die Verse ohnehin so unmotiviert und jambenlastig auf, wie Schüler die „Glocke“ lernen und auf Geheiß wieder ausspucken.

Foto: Joachim Dette

Freiheit nahm sich Heinzelmann schließlich bei der Besetzung: Wilhelm Tell und seine wichtigsten Eidgenossen bis hin zum Sohn wurden von Frauen verkörpert, jedoch nach wie vor als Männer angeredet. Ein witziger Einfall, der etwa die Permeabilität von Geschlechter- und Heldenrollen heutzutage hätte verdeutlichen können. Hätte.

Doch Wilhelm Tell (Vera von Gunten) mit Zopf und Hotpants büßte Souveränität ein und wurde zur hektischen, ja fast lächerlichen Figur: So hackte sie sich beispielsweise fast in den Finger, verlor im Gegensatz zur männlichen Dramavorlage auch schon mal Nerven und Übersicht, wenn sie sich entscheiden musste, dem eigenen Kind einen Pfeil in den Apfel über dem Kopf zu schießen oder in den Kerker zu wandern.

Was den Zuschauern, die bei durchweg eisigen Temperaturen und teilweise Dauerregen kamen, somit am Ende blieb, war Unterhaltung auf Fernsehniveau; eine statistenlastige Mischung aus ZDF-Fernsehgarten, Takeshi´s Castle und Burgauer Kirmes mit Blockhüttenverlosung. Aus lauter Angst vor Schillers nationslastigem Freiheitsbegriff schickte Heinzelmann schließlich auch noch Che Guevara als Matterhorntourist zum Rütlischwur, den Moderatoren offstage wie die Olympia-Eröffnungsfeier witzelnd kommentierten.

Was die Künstler damit aber eigentlich sagen wollten, blieb in der Luft hängen, denn Imitation allein ist noch keine gelungene, zeitkritische Satire. Zumindest bei der Premiere verließen zahlreiche Zuschauer die Inszenierung bereits vor dem Schlussapplaus. Das sollten die Verantwortlichen als Zeichen nehmen: Es wäre an der Zeit, die künstlerische Leitung des Theaters auszutauschen. Die Jenaer haben fünf Jahre nach dem Abschied von Claudia Bauer, René Marik und Rainald Grebe endlich wieder ein Theater mit feinsinnigen und witzigen Fähigkeiten verdient.

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