“Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt.”

Von Sophie Albrecht und Martin Emberger

In einem großzügigen Ausstellungskasten ruht farblos ein kleines Modell der Bismarck, des imposantesten Schlachtschiffs seiner Zeit; in der Vitrine gegenüber steckt in einem Bierglas eine Klobürste, das unansehnlichste Reinigungsgerät unserer Zeit. Menschen stehen und gehen auf der Hauptbühne des Theaterhauses Jena umher und betrachten die Inhalte der weiteren sechs Glaskästen, die den Beginn der Inszenierung Made in Germania – Ein Verbindungsprojekt unter der Regie von Roman Schmitz bilden.

„Humor. Akzeptanz. Anarchie.” Diese drei Schlagworte werden zum gewählten Leitmotiv der an diesem Abend neu gegründeten Verbindung. Darauf schwören wir, danach werden wir uns richten. Dass diese Begriffe nun nicht gänzlich dem allgemeinen Bild einer Studentenverbindung entsprechen, ist symptomatisch für diesen Abend.

Die Produktion ist eine Zusammenarbeit des Staatstheaters Darmstadt mit dem Theaterhaus Jena und dem Theater Marburg und formt aus dem Publikum für die Dauer des Stücks eine Verbindung, mit neuen Werten und ganz eigenen Regeln. Die Zuschauer werden eingeführt in die Welt der Studentenverbindungen. In gehobener, affektierter Intellektualität berichtet ein alter Herr (Samuel Koch), der seine Studienjahre bereits hinter sich hat, von der Ehrwürdigkeit der Burschenschaften und wacht über die Einhaltung der Normen. Die Verbitterung, die ihn umgibt, steht im Kontrast zu der übertriebenen Manie, die die ritualisierten Verbindungstreffen innehaben. Alle werden zackig dazu aufgefordert, die bereitstehenden Biertische und -bänke herbeizubringen und an den entsprechenden Bodenmarkierungen auszurichten. Dicht aneinander reiht sich die Menge, sobald die Erlaubnis dazu erteilt wird.

“Ich persönlich stehe auf Freundschaft. Ich finde, das ist eine gute Sache.”

Die blonde Vorsitzende (Maria Radomski) bewegt sich sicher in ihrem adrett autoritären Erscheinen aus Verbindungsmütze, Blazer und Bleistiftrock, ist damit sogar in der Lage, auf die Tische zu steigen. Schlägt sie mit
dem Florett darauf, um sich Gehör zu verschaffen, zucken nicht wenige Beteiligte erschrocken auf. “Silencium!” . Versucht sie aber, frei abseits der internen Verbindungsnormen locker zu sprechen, so scheint sie nicht zu wissen, was sie sagt und warum.

Doktor Sauf (Mathias Znidarec), ein bärtiger Burschenschafter mit rosa Polopulli um die Schultern gewunden, der noch der Prüfung durch die Älteren unterliegt, erklärt: “Schmerz ist Schwäche, die den Körper verlässt!” Trinken ist Training. So wird das Publikum in die harte Kunst des gesitteten Besäufnisses eingeführt, nach festem Form- und Regelmaß. Ganz so, als sei irgendeine Sinnhaftigkeit dabei. „Dann seid ihr fit für das totale Besäufnis!”

Die Zuschauer werden zu Füchsen, Neulingen in der Burschenschaft, die nun Teil der Verbindung Germania zu Jena sind. Jeder bekommt einen Glashumpen voll Bier. Leert sich dieser, wird sofort von Mitarbeitern vom
Biertresen nachgeschenkt. Es wird ausführlich exerziert: Aufstehen. Setzen. Aufstehen. Singen. Trinken. Setzen. Das Publikum muss immer wieder gemeinsam abstimmen. So auch über die Farbe, der neu gegründeten
Verbindung. Am Ende wird es irgendwie schwarz-weiß-rot. Eine entsprechende Flagge wird feierlich herein getragen und jedem Gast wird ein ähnliches Band überreicht. Nach der genauen Trageanweisung steht es an den
Biertischen – das Bildungsbürgertum beim Freitagabendkulturprogramm, und erhebt die Humpen auf die Verbindung. Ob der sofortigen Bereitwilligkeit diese Farben zu tragen, kommt doch kurz die Frage auf, ob da nicht das Bewusstsein um deren Geschichte und Bedeutung und vielleicht auch ein Teil der eigenen moralischen Einstellungen mit den Mänteln und Jacken zuvor an der Garderobe abgegeben worden ist. Das hier, das ist ja nur ein Spiel, da macht es ja nichts. Dennoch aber bleiben einige Einzelne in Zivil. Diese müssen allerdings prompt mit der entsprechenden Strafe rechnen; müssen Kniebeugen machen oder Liegestütze und darauf einen Schluck Bier nehmen.

“Es wird sich noch nicht gesetzt!”

Erst wenn die Füchse das erlösende “Geschenkt!” der Vorsitzenden erhalten, dürfen sie aufhören. Der Abend gewinnt an Dynamik. Viele Lieder werden unter Klavierbegleitung angestimmt. Zunächst noch etwas
schüchtern, recht zaghaft, dann aber beim zweiten, dritten Mal in Folge sind einige Stimmen gut zu hören. Jeder steht auf, jeder singt oder tut zumindest so, jeder diskutiert bei den Abstimmungen mit. Widerstand wagt keiner. Jeder wird in die Gemeinschaft gedrungen. Möchte man den Raum verlassen, muss dies genehmigt werden.

Hier zeigt sich, dass die Grenzen zwischen Inszenierung und gesellschaftlicher Realität verschwinden. Soziale Settings wie die der Studentenverbindungen sind immer konstruiert und können so auch im Theatersaal auf Intention des Ensembles im Publikum erschaffen werden. Das Publikum kann sich nicht in Dunkelheit verstecken und wird vom Beobachter zum Teilnehmer. Das anfängliche Unbehagen weicht der alkoholunterstützten Heiterkeit.

Wenn dann am Ende alle das feierliche Gelöbnis der Treue zu ihrer neuen Verbindung ablegen, scheint es absurd, dass der einzige ursprüngliche Burschenschafter, der mit seinem eigenen Couleurband der Landsmannschaft
Preußen Berlin zu Gast ist, den ganzen Abend lang Wasser getrunken hat.

Foto: Killa Schuetze

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