Im Fleischbusiness

In dieser Serie widmen wir vermeintlichen und echten Meisterwerken Liebeserklärungen und Hasstiraden. Diesmal: The Texas Chainsaw Massacre. Natürlich das Original.

Von Lennardt Loß

Als Tobe Hooper im Sommer 1974 ein totes Gürteltier auf einem Highway platzierte und fünf Jugendliche in einem Van daran vorbeifahren ließ, konnte er nicht ahnen, dass er damit ein ganzes Filmgenre revolutionieren würde. Mit diesem Gürteltier beginnt The Texas Chainsaw Massacre, ein Film, der heute zu den einflussreichsten Horrorfilmen aller Zeiten gerechnet wird, obwohl damals die amerikanische Presse urteilte, er sei „ein wertloses Stück
kranker Scheißdreck.“
Dass The Texas Chainsaw Massacre ein Klassiker des Horror Genres ist, beweist schon der Plot: Fünf Teenager
fahren in einem Ford-Hippie-Van ins texanische Hinterland, dann geht ihnen das Benzin aus. Zwischendurch treffen sie auf Rednecks, die ihnen kryptische Warnung erteilen, wie: „Hier geschehen Dinge, über die nicht geredet wird!“ Schließlich geraten sie, einer nach dem anderen, in die Fänge einer Kannibalen-Familie. Einer davon, ein geistig zurückgebliebener Hüne, wird von den anderen nur Leatherface gerufen. Er wird die Kettensäge in die Hand nehmen.
Viel Fleisch, kaum Blut
Horror, dass bedeutet in The Texas Chainsaw Massacre allerdings nicht Blut und Gedärme. Tatsächlich ist der Film, der im deutschen Fernsehen erstmals im Oktober 2015 ausgestrahlt wurde, auffallend unblutig. Es wird zwar viel Fleisch ausgestellt, aber wenig Blut: Sally, die als Einzige überleben wird, trägt ein rückenfreies Kleidchen. Alle Figuren schwitzen, die Haut der Rednecks ist vernarbt und sonnenverbrannt. Im Kannibalen-Haus verwesen hunderte Tierkadaver, doch kurz bevor die Kettensäge die Körper der Teenager zerfleischt, schneidet die Kamera auf die Maske von Leatherface oder in die Totale, sodass nur Silhouetten zu erkennen sind.
Dass sich Kritiker und Zuschauer damals zu erinnern meinten, der Film zeige explizit, wie Teenagerkörper verstümmelt würden, liegt auch am Sound. Wenn die Kamera Kadaver filmt, klappert es, als ob hohle Knochen aufeinander schlagen. Geschieht ein Mord, dann kracht die Kettensäge, heulen die Opfer und weit hinten rauscht und schmatzt es.
Das Wissen um den Horror
Horror, das ist in The Texas Chainsaw Massacre auch eine Frage des Wissens. Warum – kreischten wohl schon Millionen von Zuschauern – betreten diese Schwachköpfe die Kannibalen-Farm? Weil sie, anders als das Publikum, nicht wissen, dass sie Figuren eines Horrorfilms sind. Sie erwarten nicht, dass ihnen ein Psychopath mit Benzin-Kettensäge öffnet. In einer anderen Szene, die Sonne ist mittlerweile untergegangen, läuft Sally durch ein Wäldchen nahe der Kannibalen-Farm. Sie glaubt noch, dass ihre Freunde sich bloß verirrt haben, schreit deren Namen in die Nacht.
Leatherface ist längst zu einer Ikone geworden, wie vielleicht noch der Hockeymaske tragende Jason aus Freitag der 13. und Freddy Krueger mit seinen Messerhandschuhen aus A Nightmare on Elm Street. Das liegt auch an der Mordwaffe. Es ist eben etwas anderes, ob ein Horrorfilm-Killer seine Opfer mit einem Messer ersticht oder mit einer Kettensäge zerfleischt. Und es ist etwas anderes, ob die Mordwaffe im Titel des Films genannt wird oder nicht. Wer 1974 eine Karte kaufte, um The Texas Chainsaw Massacre zu sehen, der kaufte auch eine Erwartung: Hier wird nicht gemordet, hier wird gemetzelt.
Der eigentliche Wahnsinn aber ist nicht die Kettensäge, sondern der Ort des Massakers. Eine Farm in Texas mit Veranda und Hollywoodschaukel. Gleich daneben eine Tankstelle, auf zwei Werbetafeln steht dort uramerikanisch: „Barbecue“ und „Coca-Cola“. In einer Landschaft, die sich auch für ein Melodrama geeignet hätte mit Großgrundbesitzern, verbotener Liebe und Öl, da findet man jetzt eine Kannibalen-Familie, die Teenager am helllichten Tag mit einer Kettensäge zerstückelt und deren Treppenhaus schweinchenrosa gestrichen ist.

Collage: Bernadette Mittermeier
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