„Soll ich oder soll ich nicht“

Ein Entwicklungspsychologe über das Dilemma des Entscheidens

Das Gespräch führte Maria Hoffmann



Foto: FSU-Fotozentrum

 

 

Martin Pinquart ist Professor für Entwicklungspsychologie an der Uni Marburg. Zusammen mit Prof. Rainer Silbereisen von der FSU hat er sich in einem Forschungsprojekt mit den Entscheidungsschwierigkeiten in Bezug auf Familiengründung und Partnerschaft auseinandergesetzt.

 

Was konnten Sie während Ihrer Forschungen herausfinden?

Zum einen hat uns interessiert, wie verbreitet Ambivalenz ist, also das Hin- und Herschwanken zwischen verschiedenen Entscheidungsmöglichkeiten. Wir haben herausgefunden, dass bei rund 20 bis 25 Prozent der jungen Menschen deutliche Hinweise auf Ambivalenz zu finden waren. Beispielsweise war unsicher zu sein in Bezug auf Elternschaft für junge Frauen ein viel verbreiteteres Phänomen als bei jungen Männern. Weil oft die Frauen diejenigen sind, die im Beruf kürzer treten müssen. Hier ist der Aufwand der Elternschaft für Männer geringer. Trotz des Ausbaus vom Kinderbetreuungssystem bedeutet ein Kind zu bekommen für Frauen, dass sie in der Regel für ein Jahr und länger aus dem Beruf aussteigen. Oftmals haben sie dann auch Schwierigkeiten, wieder in ihren Job zurückzukommen. Sie müssen deshalb bewusster abwägen, ob sie Kinder möchten und bereit sind deutliche Abstriche im Beruf in Kauf zu nehmen. Sich für Kinder zu entscheiden ist natürlich auch mit der Frage verbunden, ob eine Partnerschaft stabil genug ist, um gemeinsam Kinder zu erziehen und eine möglichst glückliche Familie zu bilden. Diese Frage ist auch für Frauen oft wichtiger und drängender als für Männer.

Die Beschreibung Ihres Projektes klingt, als ginge es um eine Alltagsfrage, die nun in einen wissenschaftlichen Rahmen gefasst werden soll.

Ja, natürlich. Vor 50 Jahren war es noch relativ üblich, dass geheiratet wurde und man auch Kinder bekam. Aber heute sind die Lebensläufe viel heterogener geworden. Viele junge Menschen leben ohne Trauschein zusammen. Partnerschaften, auch Ehen, gehen häufiger in die Brüche. Und es gibt auch viele Paare, die kinderlos bleiben. Weil beispielsweise durch die Möglichkeit zu verhüten der Kinderwunsch, eine stärker bewusste Entscheidung geworden ist. Heute stehen tatsächlich viele Menschen vor der Frage: Soll ich oder soll ich nicht? Von Akademikerinnen bleiben in Deutschland beispielsweise etwa 40 Prozent kinderlos. Das hängt mit Konflikten der beruflichen Entwicklung und Elternschaft zusammen. Für Männer mit akademischem Hintergrund bedeuten eigene Kinder wenig Barrieren in Bezug auf ihre berufliche Entwicklung. Im Zweifelsfall wird meist die Frau diejenige sein, die kürzer tritt.

Würden Sie sagen, dass sich durch die Emanzipation mehr Frauen trauen, Beruf und Familie zu tragen?

Wenn man die alten Bundesländer ansieht, erlebt man natürlich diese Positiveffekte von Emanzipation, dass viele Frauen tatsächlich auch anstreben, sowohl beruflich erfolgreich zu sein, als auch Familie zu haben. Wenn Sie sich dagegen im Osten Deutschlands umschauen, hatten wir vor der Wende weitestgehende Vollbeschäftigung. Es war üblich, dass Frauen berufstätig sind und es war beispielsweise auch kein Problem, relativ früh auch außerhäusliche Kinderbetreuung zu bekommen. Damit ließen Familie und Berufstätigkeit sich leicht vereinbaren.Man könnte sagen, mit der Wende gab es erstmal gewisse Rückschritte und es geht jetzt erst wieder darum, dass Frauen auch ihren Wunsch nach Familie plus Berufstätigkeit möglichst optimal verwirklichen können.

Könnte man das Universitätsumfeld eher als eines bezeichnen, in dem man nach Selbstverwirklichung strebt oder ist es eine rein praktische Frage, sich gegen Kinder zu entscheiden?

Tatsächlich spielt das Thema bei Akademikern eine größere Rolle. Wer studiert, hat viel mehr Zeit sich zu überlegen, was er aus seinem Leben machen möchte. Er kann sich vergleichsweise mehr ausprobieren, als würde er nach einer Lehre mit 18 in den Beruf einsteigen. Man sieht ja auch, dass Akademiker im Mittel später den Schritt in die Elternschaft oder auch wirtschaftliche Selbstständigkeit vollziehen.

Wie kann man dem Entscheidungsdilemma begegnen?

Wir haben natürlich untersucht, wie junge Menschen mit diesem Entscheidungsschwierigkeiten umgehen und konnten dort drei Reaktionsweisen feststellen. Das eine war, dass man versuchte mit rationalem Problemlösen zum Ziel zu kommen. Sprich, mehr Informationen zu sammeln, das Für und Wider aufzulisten und zu vergleichen. Die zweite Reaktionsweise war, den Rat von anderen Menschen zu suchen, von Eltern beispielsweise. Eine dritte Reaktionsweise war, dass sich die Leute sagten, wenn ich mich jetzt noch nicht entscheiden kann, bin ich offenbar dafür noch nicht reif, also sollte ich meine Entscheidung erstmal auf später verschieben. Bei Studenten zum Beispiel tickt die biologische Uhr in den meisten Fällen ja noch nicht.

Oft stellt sich dennoch die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt.

Wenn man sich hier „Fahrpläne“ anschaut, die vor zwei, drei Jahrzehnten untersucht worden sind, fand man tatsächlich, dass viele Menschen so eine ideale Abfolge von biografischen Übergängen hatten. Erstmal die Ausbildung abschließen, danach eigenes Geld verdienen, dann heiraten und dann Kinder bekommen. Also erst, wenn man wirtschaftlich selbstständig ist und sie sich auch leisten kann.In der Zwischenzeit wurde diese Reihung ziemlich durcheinandergeschüttelt und es gibt nicht mehr die Normbiografie, sondern viele, die Kinder tatsächlich zu einem Zeitpunkt bekommen, wo sie sich noch in der Ausbildung befinden. Manch andere sehen erst ein Kind als Anlass, auch zu heiraten.

Da kommen dann auch wieder die vielfältigen Möglichkeiten zum Tragen.

Das Studium bietet natürlich gewisse Vorteile, weil es relativ flexibel gestaltet werden kann. Ein Kind zu bekommen, stellt nicht das Studium selbst in Frage. Auch wenn es dann natürlich schwieriger ist das Studium durchzuziehen. Vor allem, wenn man aus dem Umfeld nicht viel Unterstützung erfährt. Das ist im Berufsleben natürlich etwas anderes, wo man nicht einfach mal sein Engagement ein halbes Jahr etwas zurückfahren kann. Da haben Studierende tatsächlich etwas mehr Freiräume.

Welche Gründe gibt es, sich heute für ein Kind zu entscheiden?

Viele junge Menschen sagen, dass Kinder zu bekommen einfach zu ihrem Leben und zu ihrer Familie dazugehört. Manche Frauen entscheiden sich dann für ein Kind, wenn sie merken, dass ein alternativer Entwicklungsweg im Beruf bei ihnen gerade blockiert ist. Das ist schon eine sehr praktische Entscheidung, hat aber zur Folge, dass die Chancen auf dem Arbeitsmarkt später wieder Fuß zu fassen, schlechter sind, wenn man entsprechend lange raus war.

Welche Werte werden heute mit einem Kind verbunden?

Früher oder in heute noch traditionellen Gesellschaften bedeutete Kinder zu haben auch immer ein gewisses Maß an Altersabsicherung. Wie in diesem Werbespot, wo der Papa einiges positives über seinen Säugling sagt, einschließlich „Meine Alterssicherung!“ und das Kind ihm die Zunge rausstreckt. Diese ökonomischen Aspekte des Kindes spielen heute in der westlichen Welt keine Rolle mehr. Heute sind andere Werte wichtiger. Dass man sagt, es ist schön, Kinder aufwachsen zu sehen und Generativität zu zeigen. Es sind vor allem die „lustbetonten“ Motive, als das genannt werden, was Elternschaft ausmacht.

Allgemein

Schreibe einen Kommentar

*