„Noch Verliebtheitsphase“

Die neue Theaterleitung im Gespräch über ihre Pläne




Anne Dünger mit Jonas Zipf und Matthias Znidarec (v.l.)

Foto: Maria Hoffmann

Im Jenaer Theaterhaus tut sich wieder einiges. Das Leben kehrt nach der Spielpause zurück. Neue Köpfe machen sich Gedanken über Konzepte, Stücke und Resteverwertung und neue Schauspieler kommen passenderweise mit Bohrmaschine und Wasserwaage bepackt zum Interview. Jonas Zipf und Matthias Znidarec nahmen sich zwischen Proben und Bauarbeiten Zeit, um dem Akrützel im Theatercafé Rede und Antwort zu stehen. Alte Freundschaften und neuer schauspielerischer Tatendrang zogen Matthias nach Jena. Jonas ist jetzt künstlerischer Leiter und will zusammen mit der ganzen Truppe zwischen Faust und Frankenstein die Bestie Mensch das Weinen lehren.
Kaum haben wir uns im Café niedergelassen, beginnt Jonas, noch bevor Matthias auftaucht, das Gespräch über Selbstausbeutung, freies Theater und Sanduhren.

Wie habt Ihr Euch als Leitung zusammengefunden?

Jonas: Ein kompletter Wechsel von Ensemble und Leitung ist überall in deutschen Stadttheatern üblich. Die Verbindungen bei uns sind in erster Linie persönlicher Natur. Wir sind für ein Leitungsteam alle noch relativ jung. Irgendjemand hat mal ausgerechnet, dass wir die Jüngsten seien im deutschsprachigen Raum. Ich glaube, unser Altersdurchschnitt liegt bei 29,7. (lacht)
Moritz Schönecker und ich haben zusammen in München Regie studiert. Wir sind die beiden, die jetzt Positionen bekleiden, die es vorher schon gab. Ich bin künstlerischer Leiter und Moritz künstlerischer Geschäftsführer. Benni, der kleine Bruder von Moritz, ist dann irgendwie dazu gerutscht und hat ihm bei seinen Produktionen geholfen.
Bei Veronika Bleffert ist es ganz anders. Sie ist von Haus aus Kostümbildnerin, macht aber auch Bühne. Veronika und Benni sind ein unzertrennliches Duo. Sie ist sehr sehr gut im Geschäft und arbeitet eigentlich an allen großen deutschsprachigen Häusern als Kostümbildnerin. Hierfür hat sie sich jetzt zurückgenommen. Hier sieht sie eine Chance, Dinge mal ein bisschen anders zu machen. Und sie hat Lust, auch Leitungsverantwortung zu übernehmen.

Habt Ihr einen Masterplan in Bezug auf Eure Zeit hier?

Jonas: Einfach ankommen und anfangen gibt es nicht. Ich finde, es ist auch eine Seuche, gerade im Theater, dass man ständig meint, man müsse alles anders machen. Das Neue hat aber eine unglaublich kurze Halbwertszeit. Oft kommt es genau auf das Gegenteil an: Dass man Dinge gründlicher macht oder qualitativer. Wir haben hier eine Tradition vorgefunden, eine Atmosphäre und Mitarbeiterkultur, die gewachsen ist. Das ist eine Liebesgeschichte zwischen diesem Haus und uns. So wie Beziehungen verlaufen, wird es irgendwann vielleicht mal schwieriger, aber im Moment ist es noch die Verliebtheitsphase.

Bis jetzt also keine gebrochenen Herzen… Was habt Ihr in die Beziehung mitgebracht?

Jonas: Nein, keine gebrochenen Herzen. Ich glaube, wir haben bei unserer Bewerbung nicht damit überzeugt, dass wir den kaufmännischen Masterplan hatten. Wir haben natürlich schon Sachen auf die Beine gestellt, auch größere. Aber wir sind, was einen Betrieb von ungefähr 50 Mitarbeitern anbelangt, vollkommen unbefleckt. Wir haben aber nie einen Hehl daraus gemacht und nie so getan, als ob wir es besser wüssten, sondern haben sehr viel mit den Leuten geredet, sowohl hier im Haus, als auch in der Stadt. Es ist klar, dass wir auf die Erfahrung und Tradition des Hauses im Großen und Ganzen aufbauen werden. Wir haben in der ersten Zeit eine Inventur gemacht. Es sind zwei Grafiker gekommen und haben das ganze Haus abfotografiert. Sie sind durch die Stadt gelaufen, haben Orte fotografiert und aus diesen Bildern eine Bildsprache generiert, die das neue Outfit des Hauses ergibt. Es gab keine Tabula rasa.
Von der Entscheidungsstruktur her, mit der wir das Haus leiten wollen, ist es nicht wie in einer Pyramide, dass jemand von oben Befehle austeilt und dann setzen sie sich nach unten fort. Bei uns ist es eher wie in einer Sanduhr: Von oben her fließt alles rein. Im besten Falle verdichtet sich dann die Sache von allein, weil man einfach zuhört, sammelt, und sich die Probleme dadurch lösen. Dafür braucht man sehr viel Zeit, Energie und Kommunikation. Aber manchmal müssen Entscheidungen natürlich auch schnell gefällt werden. Wir sind keine Basisdemokraten, wir wollen trotzdem leiten.

Matthias kommt nun von der Bar und setzt sich zu uns auf die Couch.

Jonas: Was das Theaterhaus außerdem auszeichnet, ist, dass es nicht in öffentlicher Trägerschaft ist und dass es keinen Intendanten gibt, der bestimmt, was passiert. Die künstlerische Leitung ist angestellt bei den Gesellschaftern. Das sind Leute, die im Laufe der zwanzig Jahre Theaterhaus hier gearbeitet haben. Dadurch sind sie Arbeitnehmer und Arbeitgeber in einem. Das ist total ausgeklügelt, aber es bedeutet nicht, dass man jede Entscheidung bis zum Schluss ausdiskutieren muss. Es bedeutet, dass man miteinander redet.
Es gilt, sich auf das zu besinnen, was das Haus in der Vergangenheit auch ausgemacht hat: Freie Szene und Stadttheater unter einem Dach. Deswegen die Zusammenarbeit mit Institutionen und Vereinen aus der Stadt, und sich dabei selbst nicht größer machen, als man ist. Nicht so tun, als würde man hier ein Theater produzieren wie an einem Haus mit Zuschauerraum und vollem Staatstheaterbetrieb, mit einer Technikermannschaft im Drei-Schichten-Betrieb. Wir müssen das ausgleichen durch Flexibilität, Leidenschaft und Energie…

Matthias: … und Selbstausbeutung.

Jonas: Genau. Aber wir können uns auch nur bis zu einer gewissen Grenze ausbeuten. Im Laufe der Zeit wird auch eine der Fragen sein, wie man den Stress ein bisschen runterschrauben kann.

Bei vier Produktionen, die innerhalb von sechs Tagen anlaufen, schraubt Ihr zur Zeit ganz schön hoch. Das ist schon relativ viel für den Anfang.

Jonas: Das hört sich jetzt viel an, in Jena ist es aber so, dass man keine Stücke übernimmt. Bei anderen Theatern gibt es beim Leitungswechsel noch drei, vier Stücke, die bleiben. Wir haben im Repertoire keinen Grundstock. Wir fangen von null an. Man muss aber die Relation sehen: Die letzte Leitung hatte am Anfang fünf Premieren. Wir haben eine große Produktion, den „Faust“ eine mittelgroße im Oberstübchen. „Betaville“ haben wir schon vor dem Sommer gemacht, in Berlin. Das setzen wir jetzt um und nehmen es wieder auf. Und „Die Schneekönigin“ war auch im Sommer schon zur Hälfte fertig. So ganz von null auf hundert vier Produktionen zwischen September und November wäre gar nicht zu schaffen. Aber man muss am Anfang vielleicht auch einen Auftakt setzen.

Die beiden schauen sich an und schweigen einige Sekunden verschwörerisch.

Jonas: Matthias hält mich für einen Wahnsinnigen, ich ihn aber auch, deswegen guckt er mich immer so an.
Matthias: Was heißt halten, es ist ja wohl erwiesen, dass du total verrückt bist.

Du bist gerade erst angekommen und hast schon verschiedene Häuser hinter Dir. Was findest Du in Jena?

Matthias: Verschiedene Häuser nicht. Ich war vorher an einem anderen Theater und davor zum Studium in Wien. Dort habe ich mit vielen Regisseuren zusammengearbeitet, sowohl welchen die von außen kamen, als auch aus der Regieklasse. Und danach kam dann das Berliner Ensemble.
Naturgemäß verfolgt man ja, was gerade in der Theaterlandschaft läuft. Ich sehe es da irgendwie als Auftrag zu schauen: Was können Stadttheater und freie Szene leisten? Wie kann man das vielleicht neu erfinden? Dafür ist so ein Haus total interessant. Weil es aus vielen jungen Leuten besteht, die in einer bestimmten Richtung arbeiten. Da wird schon bei der Auswahl darauf geachtet, dass es einen Pool an Kreativität gibt, der vielleicht dazu führt, dass man eine neue Perspektive aufs Theater findet. In einem Haus, das eben nicht mehr freie Szene ist, wo sich bestimmte Mittel bündeln und das aber noch nicht völlig im großen Stadttheater angekommen ist. Es geht dabei nicht um Riesensummen und es muss nicht alles drei Jahre lang durchgeplant sein, sondern man hat eine größere Flexibilität und kann während des Prozesses schauen, wohin das führt.

Was ist der Hintergrund zu Eurem Leitsatz „Weine, weine, Bestie Mensch“?

Das Motto beschäftigt sich vor allen Dingen mit den Stücken. Es ist aber wichtig zu sagen, dass wir uns nicht ein Motto gewählt haben und dann die Stücke zusammengesucht haben. Wir haben also zuerst die Produktionen ausgewählt und dann hat sich nach und nach so ein Thema ergeben, das bei allen Produktionen eine Rolle spielt.
Das ist der Einzelne gegenüber der Gesellschaft, sowohl bei „Urfaust“, als auch bei „Frankenstein“ zum Beispiel. Das Verhältnis zwischen Kreatur und Schöpfer. Sei es beim Menschen seine Beziehung zu Gott, bei „Frankenstein“ der Wissenschaftler und sein Geschöpf oder bei „Betaville“ die Androiden und der Konstrukteur. Wenn die Schöpfung sich dann wehrt, wird sie bestialisch. Bei vielen Stücken sind Melancholie und Sentimentalität auch ein Thema, ebenso wie Pathetik und Selbstinszenierung.
Es war dann eben auch nicht so, dass wir geguckt haben, was denn in allen Stücken drin steckt. Das ist jetzt auch eher assoziativ zu verstehen. „Weine, weine, Bestie Mensch“ klingt einfach auch. Wenn wir jetzt nichts gefunden hätten, was uns allen gemeinsam gefällt, dann hätten wir auch kein Spielzeitmotto. Es kann auch sein, dass wir nächstes Jahr keins haben.

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