Die große Kluft

Zwei Studenten wollen Brücken schlagen und besetzen den Eichplatz

Von Mia Häfer




Der starke Gegenwind ist nicht nur wetterbedingt.
Foto: Daniel Hofmann

Es ist noch nicht sehr lange her: Das Bürgerbegehren für mehr Bürgerbeteiligung in der Frage Eichplatz scheiterte im Juni dieses Jahres. Die Studierenden Jean Winkler und Felix Quittek haben das Gefühl, seither habe sich nichts mehr groß getan.
Die Zeit sei reif, meinen sie, für einen Protest, der sich selbst befeuert, von innen heraus, um die große Kluft zwischen Politik und Bürger zu überwinden. Die Rechtsmittel sind erschöpft, der Beteiligungswunsch verebbt und die Frustration wächst mit jedem ungenutzten Tag. Jean und Felix sind der Meinung, dass Probleme nicht allein damit gelöst werden, dass „eine Gruppe Engagierter Kampagnen vorbereitet, Medien punktuelle Aktionen hochjubeln und der Politik damit im gleichen Atemzug die Möglichkeit geben, diese Aktionen schnell wieder zu ignorieren. Jede Form, Meinungen und Lösungen vorzugeben, verstärkt die Bevormundung der Bevölkerung und verschleiert deren Bedürfnisse.“
Die Arbeit Engagierter müsse es natürlich geben, doch um Probleme wie Wohnungsmangel, Klimapolitik und Stadtentwicklung grundsätzlich anzugehen, sei es eben manchmal doch auch notwendig die Empörung nach außen zu tragen, sich auf einfachste Elemente des Widerstandes und der Solidarität zu besinnen und einfach mal den Eichplatz zu besetzen – friedlich, ohne großes politisches Tamtam.

Vorbild sein – anders machen

Worum geht es also? Als Privatpersonen nehmen sich die beiden stadtpolitisch Engagierten den Raum Eichplatz und melden in unregelmäßigen Abständen eine Kundgebung darauf an. Sie bauen ein provisorisches Zelt auf, montieren Pappschilder mit (Auf-)Forderungen und stellen ihre Zeit- und Kraftressourcen zur Verfügung, um in den Dialog zu treten mit den Passanten, Bürgern Jenas – die der Eichplatz eben auch betrifft. „Occupy Jena – Besetzt den Eichplatz“ ist gedacht als Anstoß für Bürger ihre Vorstellungen von Stadtentwicklung, Beteiligung und an Nachhaltigkeit orientierter Politik in den Diskurs zu tragen. Dabei ist Jean und Felix vor allem wichtig, einen Querschnitt der Stadt anzusprechen. Erfolg hatten sie dahingehend auch schon: Am Mittwochnachmittag waren knapp 60 Menschen mit den Stadt-Aktivisten ins Gespräch gekommen. Wie sie sagen, seien Müllmann, Kassierer, Angestellte und Anwältin gleichermaßen gekommen, äußerten sich zur Eichplatzproblematik, ihrem Eindruck von Stadtpolitik und einer gesamtgesellschaftlich beobachtbaren Kluft zwischen Politik und Mensch. Immer wieder sei die folgende Frage aufgekommen: „Sind die Verhältnisse Schicksal oder sind sie doch eher etwas Gemachtes, Künstliches, über das sich empört werden kann?“
Darum geht es Jean und Felix: Sie fordern im Sinne des humanistischen Menschenbildes zur reinen Menschlichkeit, egal auf welcher Ebene auf, barrierefrei. Sie sperren sich gegen die Bagatellisierung stadtökologischer Problemfelder durch die Politik, wie beispielsweise Wohnraummangel, Mobilitätsfragen und demnicht erkennbare Dialog innerhalb der Impuls-Region Jena-Weimar-Erfurt. Man müsse den Bürgern ein grundlegendes Problem bewusst machen: Nämlich, wie weit die Politik vom Menschen entfernt ist. Desweiteren müsse man zeigen, dass es auch anders gehen könne. Jeder einzelne sei angesprochen Solidarität zu üben. Es gelte vorzuleben, dass Widerstand und Empörung eben nicht falsch, unerwünscht oder gar antidemokratisch seien, sondern unter Umständen sogar notwendiges Element nachhaltiger (Bürger-)Politik. Die Kampagne soll sich weitertragen, von ganz allein, soll zum Nach- und Weiterdenken anregen.
Unterstützung, Engagement heißt für Jean und Felix nicht, dass man sich bei Regen und Eiseskälte ihnen anschließt und mit ihnen friert. Vielmehr sei es wichtig, sich in der Mittagspause, zwischen zwei Vorlesungen, auf dem Heimweg die zehn Minuten Zeit zu nehmen, um zu fragen: Was ist denn hier los? Warum stellen sich ein Architektur- und ein Medizinstudent bei Regen und Kälte auf den Eichplatz und hoffen auf Kakao, Suppe und einen Dialog? Warum empört man sich und wie kann es weitergehen? Und noch viel wichtiger: Was denke ich als Bürger dieser Stadt?

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