Ein Bekenntnis zur pazifistischen Universität

Die FSU soll eine Zivilklausel erhalten um damit ein Zeichen gegen militärische Forschung zu setzen

Von Marco Fieber und Jan-Henrik Wiebe



Foto: Daniel Hofmann

Nach der Tötung bin Ladens waren die Ereignisse vom 11. September 2001 plötzlich wieder präsent: das einstürzende World Trade Center und die darauf folgenden weltweiten Terrorwarnungen – auch vor biologischen Angriffen. Abseits des medialen Fokus’ stockte Deutschland damals den Bestand an Pockenimpfungen auf. Das Auftreten der Krankheit wurde zum letzten Mal 1977 dokumentiert, die Impfungen hierzulande bereits 1975 ausgesetzt, doch plötzlich schien die Sicherheit bedroht. „Man dachte, dass es wieder gefährlich werden könnte“, sagt Professor Andreas Sauerbrei vom Institut für Virologie und Antivirale Therapie an der FSU. Der Facharzt für Medizinische Mikrobiologie berichtet weiter, dass daraufhin die Bundeswehr auf das angesehene Forschungsinstitut zukam, um dort hunderte neue Substanzen testen zu lassen.

Die Bundeswehr geht um

„Es gab Begehungen von der Bundeswehr, um sich die Situation vor Ort anzuschauen“, so Sauerbrei, und nach der obligatorischen Antragszeit von rund einem Jahr erhielt sein Team den Auftrag, von 2003 bis 2005 zu forschen. Die Fördergelder für das Projekt beliefen sich auf 170.000 Euro. Bei den Forschungsaufträgen der Bundeswehr, genauer des Bundesverteidigungsministeriums (BMVg), „handelt es sich nicht um Drittmittelzuwendungen im Sinne einer Forschungsförderung, sondern um Drittmittelaufträge“, wie aus einer kleinen Anfrage von Abgeordneten der Partei Die Linke im Oktober 2010 an die Bundesregierung hervorgeht. Zwar unterlag Sauerbreis Forschung nicht der Geheimhaltung und ihm seien auch keine Weiterführungen in der wissenschaftlichen Literatur bekannt, doch er gibt zu, dass er nicht weiß, was mit den Ergebnissen der Forschung weiter passiert.
Das ist aber der entscheidende Knackpunkt. Wo endet rein zivile und wo beginnt öffentlich geförderte militärische Forschung? Während der Studentenstreiks der letzten Jahre wurde die Forderung nach einer so genannten Zivilklausel laut, sogar eine Verankerung in den Landeshochschulgesetzen, wie es sie bereits von 1993 bis 2002 in Niedersachsen gegeben hatte, stand zur Debatte. Im Zuge dessen setzten einige Unis die Klausel in das „Grundgesetz“ ihrer Hochschule ein – beispielsweise in Tübingen. Die Grundordnungen anderer Hochschulen beinhalteten solche Formulierungen bereits zuvor, wie beispielsweise die der Uni Konstanz und der TU Berlin jeweils seit 1991. Die Uni Bremen lehnt sogar schon seit 1986 jede Beteiligung an Wissenschaft und Forschung zur militärischen Nutzung sowie Zielsetzung ab. Die Klausel, veröffentlicht in einem Beschluss des Akademischen Senats, fordert zudem die Mitarbeiter der Uni auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können. Mit einer Mehrheit im Uni-Senat, der aus Vertretern von Verwaltung, Professoren und Studenten besteht, kann die Zivilklausel in die Grundordnung eingefügt werden. Mit der Verankerung in diese wird die Klausel rechtskräftig.
In Thüringen hat sich bisher nur die TU Ilmenau gegen militärische Forschung ausgesprochen und eine entsprechende Formulierung in ihr Leitbild aufgenommen. Diese Selbstdarstellung soll „die Grundsätze vermitteln, an denen sich die TU in der wissenschaftlichen Arbeit und im akademischen Leben orientiert“, heißt es auf der Uni-Website. So wurde laut Stura-Mitglied Andreas Weidner bereits ein Forschungsantrag für Raketentechnik abgelehnt. Neben den bisherigen Erfolgen will der TU-Stura nun durchsetzen, dass Spenden von Rüstungsunternehmen für das Deutschlandstipendium abgelehnt werden. Das kommt nicht von ungefähr, denn die deutsche Rüstungsindustrie ist mit mehr als 80.000 Mitarbeitern hierzulande ein bedeutender Wirtschaftszweig. Deutschland nimmt im weltweiten Waffenexport mit elf Prozent den dritten Platz hinter den USA und Russland ein.

Bewegung in Jena

Aber auch in Jena tut sich etwas. Während der Gremiumssitzung des FSU-Stura am 10. Mai wurde mit absoluter Mehrheit für den Finanzantrag des hochschulpolitischen Referats (Hopo) gestimmt. Das Referat kann nun Informationsveranstaltungen zur Zivilklausel durchführen. Ziel sei es, so Thea Jacobs vom Hopo-Referat, diese noch im Sommersemester 2011 in die Grundordnung der FSU aufzunehmen. Damit soll letztendlich militärische Forschung verhindert und „dual-use“-Forschung erheblich erschwert werden.
Unter das Prinzip „dual-use“ würde auch das Forschungsprojekt Sauerbreis fallen. Das Verteidigungsministerium meint damit in seinem Ressortforschungsplan für 2011 „Konzepte und entsprechende Technologien, die sowohl für die Wehrwissenschaftliche Forschung als auch für die zivile Sicherheitsforschung relevant sind“. Diese sollen eine „Schnittstelle“ bilden. Sauerbreis Forschung stand damals ebenfalls unter dem breiten Themenfeld der zivilen Sicherheit. Eine Anfrage der Linkspartei im Bundestag offenbarte 2008, dass bundesweit an Unis mit öffentlichen Mitteln in diesem Bereich geforscht wurde – auch an der FSU. Mehr als eine Milliarde Euro gab das Bundesministerium der Verteidigung im letzten Jahr für die Wehrforschung aus. So nahm die Jenaer Uni im Zeitraum von 2000 bis 2007 allein für wehrmedizinische Forschung rund 1,2 Millionen Euro direkt vom Bundesverteidigungsministerium an. Als universitätsnahe Forschungseinrichtung erhielt das „Institut für physikalische Hochtechnologie e. V.“ (jetzt „Institut für Photonische Technologien e. V.“) im selben Zeitraum 2,4 Millionen Euro Fördermittel für mehrere wehrtechnische Projekte. Aus einer weiteren nur Thüringen betreffenden Anfrage geht zudem hervor, dass am Lehrstuhl für Methodenlehre und Evaluationsforschung von 2000 bis 2001 und von 2007 bis 2008 Verfahren zur wehrpsychologischen Eignungsdiagnostik erforscht wurden. Die Fördermittel beliefen sich auf insgesamt 515.000 Euro.
In den erwähnten Papieren gibt eine weitere Anlage Auskunft über die durchgeführten Projekte im Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ der Bundesregierung. Dieses ist zugleich der Hauptzweig der „Hightech-Strategie für Deutschland“, wie es Annette Schavan im Vorwort der Begleitbroschüre des Programms beschreibt. Betreut wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). In der Liste finden sich unter anderem zwei beendete Forschungsprojekte am Institut für Physikalische Chemie in Jena: PathoSafe (dient dem Aufspüren von Gefahrenstoffen) und ATLAS (ein chipbasierendes Detektionssystem für den Nachweis von Tierseuchen). Neben Forschungen an universitätsnahen Instituten führt die Tabelle auch das seit 2008 laufende Projekt „Organisationsübergreifende Gefahrenabwehr zum Schutz von Menschen und kritischen Infrastrukturen durch optimierte Prävention und Reaktion“ (OrGaMIR) auf. Es soll beurteilen, wie gut ein U-Bahnsystem für den Fall von Kontamination durch Gefahrenstoffe ausgelegt ist. Der Professor für Interkulturelle Kommunikation Stefan Strohschneider ist verantwortlich für das Projekt und Mitglied im Lenkungsausschuss des Fachdialogs Sicherheitsforschung. Strohschneider betont, dass es eine „schlaue Idee des BMBF war, mit Hilfe der gesellschaftswissenschaftlichen Begleitforschung wie hier an der FSU den Technikern auf die Finger zu gucken“. Er stellt zudem klar, dass die Mittel nicht vom Verteidigungsministerium kämen und dass er als Lenkungsausschussmitglied noch nie Bundeswehrangehörige getroffen habe.

Sicherheitsrisiken in Deutschland

Strohschneider sieht allerdings das „Add-on-Prinzip“ des BMVg, also das Weiternutzen ziviler Forschungen, „als entscheidenden Ansatzpunkt der öffentlichen Kritik, aber als kaum verhinderbar“. Trotzdem lege das BMBF Wert darauf, verteidigt Strohschneider, nicht nach marktspezifischen Gesichtspunkten zu forschen – seiner Meinung nach ist „Forschung für die zivile Sicherheit ein positives Beispiel, wie man sich im Bereich fachspezifisch bewegen sollte“. Denn alle Projekte werden von Sozialwissenschaftlern begleitet und der „Background beleuchtet“, erläutert er das Prinzip. Das Programm wurde im Januar 2007 von der Bundesregierung beschlossen. Als Gründe nannte man einerseits ein erhöhtes Sicherheitsrisiko in Deutschland – vor allem durch Terrorismus – und andererseits eine noch unzureichende Vernetzung von Wissenschaft und Industrie in diesem Bereich. Bis 2013 werden insgesamt Mittel in Höhe von 1,4 Milliarden Euro bereitgestellt.
Dorothea Forch vom Hopo-Referat meint, „dass es sich bei der Sicherheitsforschung um eine Grauzone handelt“. Auch Strohschneider fände eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema interessant, diese fand aber noch nicht statt. Im Falle einer Eintragung der Zivilklausel sei diese zu schwierig umsetzbar, besser wäre seiner Meinung nach „ein Verbot geheimer oder unter Verschluss zu haltender Forschung“.
Eindeutig gegen einen Eintrag der Zivilklausel in die Grundordnung der FSU positioniert sich der Ring Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) Thüringen. Laut dessen Landesvorsitzenden Sebastian Dewaldt stellt die Klausel „ein vollkommen unnötiges Instrument dar, das einem Denkverbot nahe kommt“. Weiter heißt es in der Stellungnahme, dass zwar kein Wissenschaftler zu militärischer Forschung verpflichtet werden dürfe, aber es seinem Gewissen obliege, ob er militärische Forschung betreibe, oder nicht.
Stephanie Borck kritisiert im Namen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (Die Linke SDS), „dass man damit den Rüstungskonzernen und der Bundeswehr Einzug in breite Teile der Gesellschaft ermöglicht und an den Universitäten Forschung und Lehre zum Kriegstreiben etabliert“. Stattdessen wünscht sich der SDS die Entwicklung von alternativen Konfliktlösungen. Die Uni solle sich zu friedlicher und ziviler Forschung und Lehre verpflichten sowie gesellschaftliche Verantwortung übernehmen.

Militärforschung trotz Klausel

Trotz aller Bemühungen bleibt Skepsis gegenüber der praktischen Umsetzung der Zivilklausel. Denn Wissenschaftler der Uni Bremen und der TU Berlin ließen sich vom jahrzehntealten Passus nicht beirren und forschten im militärrelevanten Bereich weiter. So nahm die TU nachweislich Drittmittel vom BMVg für den technischen und medizinischen Bereich an.
Die Untersuchungen von Oberarzt Sauerbrei sind mittlerweile sechs Jahre alt, die Forschung mit neuen Substanzen gegen gefährliche Erreger sei nach wie vor interessant. Die Frage nach der Eintragung der Klausel an der FSU beantwortet er heute mit einem klaren „Ja!“

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