„Ein rein ideologischer Begriff“

Ein Kritiker der Exzellenzinitiative im Gespräch

Philipp Böhm




Nicht alle deutschen Universitäten verfügen über die gleichen Ausgangsbedingungen für die Exzellenzinitiative.

Foto: FLICKR.com/zantHIA

Torsten Bultmann ist Mitglied des „Bunds demokratischer Wissenschaftler“ (BdWi) und langjähriger Kritiker der Exzellenzinitiative. Mit Akrützel sprach er über die Ungleichheit in der deutschen Hochschullandschaft und warum es in Deutschland kein Harvard geben wird.


Auf den ersten Blick wirkt doch das Konzept der Exzellenzinitiavie vielversprechend: Die besten Universitäten werden zusätzlich gefördert, was zu einer Verbesserung der Forschung führt. Was stört Sie daran?

Auffällig ist ja zunächst einmal, dass es die reichsten Universitäten sind, die hier gefördert werden – also nur ein sehr kleiner Teil des universitären Spektrums überhaupt. Ob es darüber hinaus die Besten sind, ist zumindest umstritten. Was man sagen kann: Dass diese Universitäten über die besten materiellen Leistungsbedingungen verfügen und deswegen auch im Sinne eines betriebswirtschaftlich messbaren wissenschaftlichen Outputs mehr „leisten“ können. Das ist aber eher eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und kein Wettbewerb mit gleichen Ausgangsbedingungen.

Also frei nach dem Prinzip „Wer hat, der bekommt noch mehr“?

Das ist der so genannte Matthäuseffekt. Dieser Begriff ist von Kritikern der Exzellenzinitiative häufig verwendet worden. Um es nur mal an einer Zahl zu vedeutlichen: Es gibt gegenwärtig 107 Universitäten und Technische Unis. Davon gibt es eine Spitzengruppe von etwa zwanzig, die in allen Rankinglisten der Forschungsförderung oben stehen, also die meisten Fördermittel auf dem so genannten „Drittmittelmarkt“ einwerben. In dem Maße, wie die Grundfinanzierung aller Hochschulen seit Jahrzehnten eingefroren ist, können materielle Zuwächse nur über diesen befristeten „Markt“ eingeworben werden. Deshalb handelt es sich bei diesen Top 20 auch um die am besten ausgestatteten Universitäten. Und die teilen wiederum nach offiziellen Angaben auch etwa 70 Prozent aller von der Exzellenzinitiative verausgabten Mittel unter sich auf. Und das ist das erste was mir ins Auge fällt, bevor ich mir auch nur im Ansatz eine Debatte über unterschiedliche „Leistungsfähigkeit“ aufnötigen lasse.

Sind die wissenschaftlichen Leistungen an den Universitäten demnach nicht ausschlaggebend?

Ich sage nur, was der gemeinsame Nenner aller positiv von der Exzellenzinitiative begünstigten Hochschuleinrichtungen ist: Dass sie über die besten materiellen Bedingungen für die Erbringung dieser Leistungen verfügen. Die restlichen Hochschulen lässt man dagegen in der Unterfinanzierung verharren. Das Ziel der Exzellenzinitiative ist ja nicht, die Leistungsfähigkeit des gesamten deutschen Hochschulsystems zu steigern, sondern, wie es auch in allen Dokumenten heißt, Unterschiede zwischen den Hochschulen sichtbar zu machen und zu vertiefen, sozusagen eine Hierarchie zwischen den Hochschulen zu bilden. An der Spitze sollen dann Eliteschmieden herausgebildet werden, die auf einer Augenhöhe mit Princeton, Oxford, Harvard konkurrieren können. Das wird natürlich scheitern.

Warum sollte das scheitern?

Die Exzellenzmittel werden nur befristet vergeben. Das sind zwar 1,9 Milliarden Euro in den ersten Runden gewesen, was angesichts der Unterfinanzierung relativ viel ist. Aber es sind auch Mittel, die relativ schnell verbraucht werden, nämlich in einem Rahmen von fünf Jahren. Und in fünf Jahren kann man keine international konkurrenzfähigen Forschungsmonopole schaffen. Wenn man sich daran orientiert, dass die großen US-amerikanischen Universitäten ihr Stiftungskapital über hundert Jahre aufgebaut haben und hier teilweise über 100 Milliarden Euro verfügen, dann ist im Vergleich dazu die Exzellenzinitiative natürlich ein Tropfen auf den heißen Stein – ganz unabhängig von der Frage ob eine solche Kopie des US-amerikanischen Systems überhaupt gesellschaftlich sinnvoll ist.

Wären der oft propagierten „internationalen Konkurrenzfähigkeit“ zuliebe nicht einige wenige Spitzenunis sinnvoller als eine große Anzahl an mittelmäßigen?

Wenn die Kehrseite dessen ist, dass die Leistungsfähigkeit des restlichen Hochschulsystems heruntergefahren wird, dann wird es problematisch. Und das ist momentan definitiv der Fall. Mittel werden schlicht umverteilt. Die Leistungsfähigkeit einer so genannten Spitze wird gesteigert zugunsten der Leistungsschwächung der Breite. Das gesellschaftliche Resultat insgesamt dürfte eine schwächere Leistung des deutschen Hochschulsystems im Ganzen sein. Und dass diese internationale Zwangsläufigkeit besteht, bezweifle ich ganz entschieden. Zumal es ja im internationalen Vergleich sehr unterschiedliche Hochschul-Systeme gibt. Da muss das US-amerikanische nicht unbedingt die Norm vorgeben. Die skandinavischen Länder gehen da beispielsweise einen ganz anderen Weg.

In der Diskussion rund um die Exzellenzinitiative fallen vermehrt Begriffe wie „Wettbewerb“ und „Konkurrenz“. Was bedeutet die Initiative langfristig für die Hochschulen? Müssen sie unternehmensförmiger werden?

Das sind sie zum Teil ja schon geworden, unabhängig von der Exzellenzinitiative. Das ist der Trend der Hochschulgesetzgebung etwa der letzten zehn Jahre: Dass etwa die akademische Selbstverwaltung entmachtet wird, dass sich das Rektorat einer Hochschule als exekutives Top-Down-Management konstituiert, unabhängig von den Gremien der akademischen Selbstverwaltung, dass der Rektor nicht mehr von der Hochschule gewählt wird sondern von außen durch einen Hochschulrat.

Fördert die Exzellenzinitiative denn solche Entwicklungen hin zu einer unternehmerischen, spezialisierten Hochschule?

Das ist insofern spekulativ, als dass manifeste Ergebnisse noch nicht vorliegen. Man muss das natürlich alles evaluieren. Aber die Entwicklung in Richtung unternehmerische Hochschule ist ja ausdrücklich als Förderkriterium in der Ausschreibung der Exzellenzinitiative vorgesehen.

Allein schon die Teilnahme an der Initiative kostet die Universitäten ja schon einiges an Ressourcen. Da müssen Konzepte erarbeitet und Skizzen eingereicht werden …

Und das sind Ressourcen, die dann an anderer Stelle fehlen. In dem Moment in dem Hochschulen immer größere Teile ihres Budgets über wettbewerbliche Vergabeverfahren und über Drittmittel erhalten und stärker institutionell wettbewerblich ausgerichtet sind, werden immer mehr Arbeitsressourcen auch des wissenschaftlichen Personals in Antragsstellungen, Leistungsdokumentation und Marketing absorbiert. Das schadet dann wiederum den Kernbereichen, beispielsweise in der Lehre, wo ja teilweise katastrophale Bedingungen herrschen.

Könnte es sich denn eine Universität leisten, nicht teilzunehmen?

Einige nehmen ja bewusst nicht teil. Das sind aber vor allen Dingen diejenigen, die für sich ohnehin keine Chance auf Erfolg sahen. Wer aber beispielsweise in einer „Topliga“ spielt, also zu den 20 oder 30 bestplatzierten Universitäten in den einschlägigen Rankinglisten zählt, kann es sich nicht leisten, an der Initiative nicht teilzunehmen – auch wenn er die ganze Inszenierung für Quatsch hält. Und ich weiß aus persönlichen Gesprächen, dass es viele Rektoren gibt, die so denken. Aber nicht teilzunehmen hieße in diesem Fall, den eigenen Konkurrenten einen materiellen Vorteil zu verschaffen, den man unter Umständen nicht mehr ausgleichen kann. Also wer in dieser Liga spielt, muss auch bei der Exzellenzinitiative mitspielen. Da gibt es in diesem Sinne einen strukturellen Zwang.

Manche Befürworter argumentieren ja so, dass gerade dieser Zwang zu einer verbesserten Leistung führe.

Das halte ich für großen Blödsinn. Allein ein formaler Wettbewerbsdruck wird keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse fördern. Er ist im Gegenteil sogar wissenschaftsfeindlich, weil die Arbeitsleistung, die nötig ist, um bei der Exzellenzinitiative zu punkten, mit der eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit nichts zu tun hat. Dem würde ich nicht auf die Leimrute gehen.

Was heißt dann überhaupt „Exzellenz“?

Das ist ein rein ideologischer Begriff, der die Legitimationskulisse dafür liefert, ausdrücklich knapp gehaltene Hochschulfinanzierungsmittel zunehmend ungleich zu verteilen: Also finanzielle Zuwächse nur noch an ganz wenigen Standorten über die Prädikate „Exzellenz“ und „Elite“ zu konzentrieren.

Also keine „gute Forschung“?

Nein, nicht unbedingt. Ich würde aber umgekehrt nicht sagen, dass die Forschung, die in den Exzellenzeinrichtungen gemacht wird, per se schlecht sei. Das steht mir überhaupt nicht zu, gerade wenn es sich um Wissenschaftszweige handelt, von denen ich selbst keine Ahnung habe. Mein Hinweis ist nur, wie diese Einrichtungen „leistungsfähig“ gemacht werden, nämlich durch massive Geldzuteilung. Das ist die entscheidende Differenz, wohingegen die Befürworter der Exzellenzinitiative das Ganze gerne naturalisieren, indem sie sagen: Es gibt nun mal unterschiedliche Leistungsfähigkeit und Intelligenz und wir fördern jetzt ein bisschen mehr die Ungleichheit.

Aber es gibt doch schon Unterschiede zwischen den Universitäten.

Ich denke aber nicht, dass das primär an intelligenteren oder leistungsfähigeren Forschern an einem Institut liegt. Der zentrale Wettbewerbsvorteil ist eine relativ bessere materielle Ausstattung. Und da wird jetzt durch die Mittel der Initiative noch einmal einer draufgegeben.

Welches alternative Modell würden Sie denn vorschlagen?

Wenn wir davon ausgehen, dass die Exzellenzinitiative problematisch ist, weil sie die Leistungsfähigkeit des Hochschul-Systems zugunsten der Stärkung einzelner Spitzenbereiche insgesamt schwächt, dann kann die Alternative kein isoliertes Programm sein. Die Alternative kann nur sein, das deutsche Hochschul-System in seiner Breite zu stärken, nämlich durch eine Erhöhung der Grundfinanzierung. Da müssten wir im OECD-Vergleich überhaupt erst einmal Mittelmaß erreichen.

Allgemein

Eine Antwort auf „Ein rein ideologischer Begriff“

Schreibe einen Kommentar

*