„Woyzeck“-Inszenierung des Deutschen Nationaltheaters Weimar
Von Susanne Veil
Ein erschütternder Einblick in die menschliche Psyche und alles, was bleibt, ist Sprachlosigkeit. Foto: Deutsches Nationaltheater Weimar |
Schreie hallen durch das stillgelegte InÂdustriegebäude – was sich nach einem Krimi anhört, ist vielmehr der Anfang eines wenig beschaulichen Theaterabends. Denn wo seit 1897 Strom für die WeimaÂrer Bewohner produziert wurde, entsteht heute ein anderes, nicht weniger elektriÂsierendes Erzeugnis. Im e-Werk, das vor 15 Jahren mit seinen Heizkesseln zum letzten Mal Strom produzierte, wird seit der SpielÂzeit 2000/2001 Theater gespielt. Vor allem moderne, unkonventionelle Stücke finden dort eine passende Bühne.
So auch Georg Büchners letztes, Fragment gebliebenes Stück „Woyzeck“. Dass in der Inszenierung von Nora Schlocker die ZuÂschauer hier nicht nur Publikum, sondern auch Mitwirkende sind, wird gleich zu Beginn deutlich. Der Besucher wird durch die Kulissen geführt und lernt die trostlose Welt der Titelfigur kennen. In dieser Welt werden Opfer- und Täterrollen pervertiert. Woyzeck ist das Opfer von Armut und UnÂterdrückung, die ihn dazu zwingen, sich für wissenschaftliche Menschenversuche herzugeben, sodass er durch ein ErbsenÂexperiment seinen Verstand verliert. Man schaut nun dem geschäftig Stöcke schneiÂdenden Woyzeck und seinem MilitärkameÂraden Andres bei der Arbeit zu. Bekommt von einem linkischen Händler Messer für ein paar Groschen angeboten und kreuzt den Weg einer entrückt ihren Kinderwagen schiebenden Marie, Woyzecks LebensgeÂfährtin. Dann beginnt die Demonstration des Doktors. Der macht die Besucher zu Medizinstudenten, die sich mit fachlich interessiertem Blick am Experiment des Doktors weiden. Dieser macht zwischen einer Katze als hilflosem AnschauungsobÂjekt seines Forscherdranges und dem geÂschundenen Woyzeck keinen Unterschied. Mensch und Tier werden zum wissenÂschaftlichen Objekt degradiert. Dann geht die Vorführung weiter und der MarktschreiÂer bittet das Publikum, nun Platz zu nehÂmen. Hier ist es Marie, die vor den Augen der unterhaltungshungrigen Menge nun den Unterschied vom Menschen zum Tier vorführen soll und scheitert. Ebenso wie Woyzeck verkörpert sie das Tierische im Menschen, die bloße Natur.
Das schuldige Publikum
Die Zuschauer sind Teil des Stückes, nehÂmen verschiedene Rollen ein und machen sich immer mit schuldig. Denn eben weil sie Anteil nehmen an Woyzecks GeschichÂte, muss er zur Unterhaltung der Menge zugrunde gehen. Auch als die Besucher ihre Plätze eingenommen haben, entsteht keine Trennung zwischen Bühne und PuÂblikum, beides geht ineinander über. Die Zuschauer bleiben Teil der prekären VorÂgänge und das ist hier so schlüssig, dass es sich Büchner nicht anders hätte wünschen können, um dem geneigten Besucher eiÂnen entspannten, unaufdringlichen Abend zu ersparen.
Immer weiter verstricken sich Woyzeck und Marie im Geflecht von HoffnungsloÂsigkeit und menschenunwürdigem Dasein. Nur ihre Liebe und das gemeinsame Kind geben ihnen noch Würde. Marie, bedrüÂckend überzeugend gespielt von Stefanie Rösner, will ausbrechen und betrügt WoyÂzeck mit dem vor Kraft und Erfolg strotÂzenden Tambourmajor.
Ekstase und Verzweiflung
Dabei wirkt die Marie durch ihr KostümÂbild fast überzeichnet, sie wird in ihrer stiÂlisierten Darstellung zu einem knallbunten Objekt männlicher Begierde. Woyzeck selbst ist leise, wortkarg, fast unsichtbar, in zusammengesunkener Haltung, verkörpert von Christian Ehrich. Er erträgt das entwürÂdigende Erbsenexperiment des Doktors, die Verachtung seines Hauptmannes, sein eigenes materielles und körperliches Elend, nur seine Eifersucht und Maries Untreue, die erträgt er nicht.
Die Entwicklung findet ihren Höhepunkt in der Wirtshausszene, die zu einem unÂgezügelten Gelage wird. Die Sinnlosigkeit ihres Daseins trifft die Figuren nach dem Rausch. Der melancholische Hauptmann kippt vom Stuhl, der selbstverliebte TamÂbourmajor ertränkt seine Reden in BranntÂwein, die sündige Marie ist in fieberhaftem Tanz versunken. Der Doktor, durch seine wissenschaftliche Geltungssucht inzwiÂschen einem Menschen vollkommen unÂähnlich geworden, wird eins mit der desÂillusionierten Großmutter. Die treibt die Handlung auf die Spitze und verkündet prophetengleich ein Antimärchen, in dem alles zugrunde geht.
Zum Finale versammeln sich alle Figuren auf der Bühne und werden endgültig zu Voyeuren, genauso wie das Publikum. DaÂzwischen Woyzeck mit Marie, der seine Liebe im Wahn ersticht und sich so noch das Letzte nimmt. Als der eine gefühlte Ewigkeit dauernde Mord endlich vorbei ist, verlassen die anderen Figuren ihren provoÂkant eingenommenen Rang und gehen von der Bühne. Es gibt nichts mehr zu sehen. Auch nicht für das Publikum, doch man verharrt und für einen Moment herrscht atemlose Stille. Fast widerwillig bricht Applaus aus, als auch die Darsteller des Woyzeck und der Marie von der Bühne geÂgangen sind. Was bleibt, ist ein schlechtes Gewissen, weil man zusah. Und was gibt es da zu klatschen?