Der Krawatten-Philosoph

Günther Kaletsch: ein Modeberater der alten Schule

Von Peter Neumann

There’s no Business like Krawatten-Business. Foto: Matthias Benkenstein

C’est la cravate qui fait l’homme“, steht auf einem kleinen unscheinbaren Schild in dem Krawatten-Laden von Günther Kaletsch. Tatsächlich steckt hinter diesem Satz eine ganze Philosophie, die sich der 64-jährige Ladeninhaber zu eigen gemacht hat: „Dass man eine Krawatte nicht einfach nur trägt, sondern sie leben muss“. Sein Geschäftserfolg gibt ihm Recht: Seit nun schon sechs Jahren betreibt der gebürtige Rudolstädter seinen schnuckelig kleinen Krawatten-Laden zwischen „Göhre“ und Marktmühle, immer bereit, ein Pläuschchen zu halten oder einfach nur vorbeiziehende Passanten aufs Freundlichste zu grüßen. Die große Fensterfront ist nahezu prädestiniert dafür. Ohne sie würden wahrscheinlich nur halb so viele Kunden den Weg durch Kaletschs Tür finden. Dabei verrät ein flüchtiger Fensterblick längst noch nicht das ganze Ausmaß Kaletscher Krawatten-Manie. Im Laden findet sich ein ganzes Universum gestreifter und gepunkteter, schlichter und mit den Köpfen der Beatles bedruckter Krawatten. „Was immer das Herz begehrt“, schwört Kaletsch. An der Wand hängt sogar eine Krawatte, von der ein Yorkshireterrier mit hechelnder Zunge herabblickt. Auch dieser werde früher oder später sein Herrchen finden, meint der 64-Jährige.

Ein Mann: Ein Wort

Von Berufs wegen ist Günther Kaletsch eigentlich Kraftfahrer. Ins Krawatten-Business hat es den Wahl-Jenaer erst verschlagen, nachdem er eine Zeit lang in einer Krawattenfabrik gearbeitet hatte. Wie es nicht anders zu erwarten war, ist Kaletsch seitdem selbst zu einem Krawattenliebhaber erster Güte geworden. Eine Lieblingskrawatte? – Nein, die habe er leider nicht, dazu gebe es einfach zu viele, zu viele in zu unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten, bedenkt man erst die Hemdenwahl dabei.
Er selbst trägt an diesem verregneten Herbsttag eine dezente Krawatte: Ins angenehme Gelb mischen sich blaue und graue Streifen, über seinem blauen Hemd trägt er eine graue Strickjacke. Seine wachen aufgeschlossenen Augen begutachten jedes Modell mit der nötigen kritischen Distanz; Kaletsch ist alles andere als ein konventioneller Modeberater. „Ich möchte meinen Kunden nicht irgendein Zeug verkaufen“, gibt er ehrlich zu bedenken. Für ihn gebe es immer die Krawatte, wie es die Fliege und den Schal gebe. Und weil für Kaletsch immer alles punktgenau passen muss, werden viele seiner Sortimentstücke einfach sonderangefertigt. „Krawatten mit unterschiedlicher Streifenrichtung? Kein Problem!“, sagt Kaletsch. Es gebe Kenner, die auf so etwas Wert legen. „Beileibe! Das sind keine Spinner.“ Manch einer hätte eben auch eine Vorliebe für Krawatten mit Paisley-Mustern, einem ursprünglich indischen Motiv, wie Kaletsch auszuführen weiß. „Das Muster erinnert ein wenig an Tannenzapfen, ein Fruchtbarkeitssymbol gewissermaßen.“ Wie gesagt: Krawatten haben ihre ganz eigene Philosophie.

Im Zweifelsfall: Gegen die Fliege

Als Waltraut Brand in den Laden kommt, folgt ihr die Entschuldigung auf dem Fuß: Sie suche eine Krawatte für ihren Schwiegersohn. „Eine schlechte Angewohnheit“, muss sie zugeben. Dass sie einen Fauxpas begeht, ist der älteren Dame durchaus bewusst. Mit einem Gutschein aber glaubt sie, der großen Enttäuschung ihres Schwiegersohnes am Weihnachtsabend und ihrem damit verbundenen schlechten Gewissen vorbeugen zu können. Günther Kaletsch ahnt zu diesem Zeitpunkt schon, was ihm Anfang Januar ins Haus stehen wird: Die meisten werden kommen, um die von ihren Müttern, Schwiegermüttern, Tanten und sonstigen Verwandten geschenkt bekommenen Krawatten umzutauschen. „Nichts aber wäre schlimmer, als wenn sie es nicht täten“, räumt Kaletsch ein. Auch hier wird der 64-jährige Überzeugungstäter nicht müde zu betonen, dass es ihm gar nicht so sehr darum gehe, auf Teufel komm raus seine Krawatten, Fliegen, Hemden und Taschentücher loszuwerden und die Werbetrommel zu rühren, am Ende gar Discounter zu sein. Nein, wer bei ihm eine Krawatte oder ein Hemd kaufe, der müsse auch das dazugehörende Beratungsgespräch gewissermaßen in Kauf nehmen: ein – seien wir ehrlich – geringer Preis. „Natürlich kann man auch einfach nur ein weißes Hemd bei mir kaufen“, hält Kaletsch dagegen; trotzdem sei es ihm ein besonderes Bedürfnis, den speziellen Verwendungszweck eines Bekleidungsstückes – sei es zur Hochzeit oder zur Beerdigung – zu erfahren. Es gebe gewisse Fauxpas, vor denen er seine Kunden beschützen wolle: „Wer meint, zu einem Hemd mit festgeknöpfter Kragenspitze eine Fliege tragen zu wollen“, sagt er, „ja was bitte könnte ich in diesem Fall anderes tun, als ihm die Fliege schlichtweg nicht zu verkaufen? Darin besteht ja meine Unternehmensphilosophie: eine gute Beratung.“

Für alle Fälle:Taschentücher

Dass sein kleiner Krawattenladen schon unter Studenten zum Jenaer Stadtgespräch geworden ist und bei Passanten für Aufsehen sorgt, ist Günther Kaletsch durchaus bewusst. Einmal, so erzählt er, habe er hören können, wie drei ältere Damen vor seinem Schaufenster gehässig darüber debattiert hatten, wie lange er sich denn noch halten könne. Ein Ton und eine Denkweise, die ihn zur Weißglut getrieben haben, empört sich Kaletsch noch immer. „Ich bin hinaus und habe prompt der einen von ihnen ein blütenweißes Taschentuch geschenkt.“ Die hochrot gewordene Frau samt Anhang sei auf einmal ganz still geworden. „Sie hat sich seitdem nie wieder hierher getraut“, sagt Kaletsch nicht ohne eine gewisse Schadenfreude. Es bleibt zu hoffen, dass mehr Leute, anstatt verwurzelt und verwundert vor der großen Schaufensterscheibe stehen zu bleiben, den Weg in den Krawatten-Kaletsch finden. Für alle anderen Fälle gibt es: Taschentücher.

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