„Ich möchte maximale Präsenz”

Im großen Akrützel-Herbstinterview mit Walter Rosenthal resümiert der FSU-Präsident, schaut zurück und voraus. Ein Gespräch über Krieg, die Energiekrise und eine Friedensnobelpreisträgerin an der FSU.

Das Interview führten Leonard Fischer und Henriette Lahrmann

Hier lässt es sich gut reden. Foto: Pauline Schiller

Herr Rosenthal, wir starten mit Weltpolitik in Jena. Die russische Menschenrechtsorganisation Memorial hat den Friedensnobelpreis 2022 erhalten, deren Mitbegründerin Irina Scherbakowa Gastprofessorin an der FSU ist. Wieso hat sie diesen Preis verdient? Memorial hat gezeigt, dass man Dinge bewegen kann, auch in Russland. Sie haben die stalinistische Gewaltherrschaft hervorragend aufgearbeitet und bis in die Gegenwart hinein die politische Verfolgung und Einschränkungen kritisiert. Dadurch hat Memorial weltweit eine Öffentlichkeit geschaffen, auch wenn sie letztlich verboten wurden. Mich beeindruckt Irina Scherbakowa als Person, wie sie zur Ukraine spricht. Sie ist überzeugt, dass es nur Frieden geben wird, wenn die Ukraine frei ist. Diese klare Positionierung ist nicht selbstverständlich.

Der Kontext der Preisverleihung ist mit dem Krieg gegen die Ukraine traurig. Die FSU hat sich von Beginn an mit der Ukraine solidarisiert und bietet Hilfsangebote für die Betroffenen an. Wie wird die Unterstützung angenommen? Sehr gut! Dazu gehört das wichtige Sprachangebot, denn die meisten Studiengänge sind bei uns auf Deutsch. Die Studierenden müssen auch eine Wohnung finden, was in Jena nicht einfach ist. Wir haben rund 20 Neuimmatrikulationen zum Wintersemester und rund 100 Studierende insgesamt aus der Ukraine. Auch aus Russland haben wir übrigens ungefähr 100 Studierende und rund 27 Neuimmatrikulationen. Natürlich sind russische Studierende an der FSU genauso willkommen.

Wie ist der Stand bei den wissenschaftlichen Kooperationen mit Russland? „Pausierend” ist der Terminus des DAAD. Die institutionellen Kontakte wurden auf Eis gelegt. Es fließen keine Fördergelder mehr nach Russland, das entspricht der offiziellen Wissenschaftspolitik des
Bundes. Zum Teil ist das derart missverstanden worden, als dürfe man nicht mehr mit russischen Kolleg:innen reden. Das würde ich für falsch halten. Im Moment finde ich es besonders wichtig, persönliche Kontakte zu pflegen, auch wenn es schwierig ist, weil man die Personen in Russland bzw. an ihrer Universität damit eventuell gefährdet. Es gibt von sämtlichen Hochschulleitungen in Russland Ergebenheitsadressen an Putin. Wie die zustande gekommen sind, weiß man nicht.

„Wir stehen vor einer langen Eiszeit.”

Unter welchen Bedingungen werden die institutionellen Kontakte wieder aufgenommen?
Ich glaube, dass wir vor einer langen Eiszeit stehen und dass es lange dauern wird. Ich denke, dass die Forschung in Deutschland auch infrastrukturell darunter leiden wird, dass Russland sich jetzt überall rausgezogen hat. Gemeinsame Projekte werden nicht mehr weitergehen. Das wird nicht in einem oder zwei Jahren vorbei sein. Das wird länger dauern.

Inwiefern liegt das in der Hand der FSU?
Das entscheiden die Ministerien, die klare Richtlinien herausgegeben haben, sowie die Forschungsorganisationen wie etwa die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Die Zusammenarbeit wird auf anderer Ebene organisiert. Da liegt nichts in unserer Hand. Gerade auch durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit Projekten in Milliardenhöhe, für die diese großen Infrastrukturen nötig
sind. Daran war Russland stark beteiligt, sodass man jetzt vor einem Scherbenhaufen steht.

Durch den Ukraine-Krieg steckt auch Deutschland in einer Energiekrise. Wie sieht der FSU-Notfallplan für Gas- und Energiemangel aus?
Wir haben Bereiche identifiziert, die bis zuletzt an der Wärme- oder an der Stromversorgung bleiben müssen. Denn erst seit September wissen wir, dass wir zu den geschützten Bereichen gehören.
Zuerst hatten uns die Jenaer Stadtwerke gesagt, dass wir nicht dazugehören. Jetzt wurde das aber auf Bundesebene geklärt.

Geschützte Bereiche bedeutet, dass die Energieversorgung …
Sichergestellt werden muss. Sie wird zuletzt abgeschaltet, wie der private Bereich. Wir haben sehr sensible Bereiche wie das Rechenzentrum, den Botanischen Garten, die Tierhäuser und sensible Geräte. Ansonsten haben wir keinen Stufenplan über die Absenkung der Temperaturen. Das ergibt auch nicht viel Sinn mit 1.000 Heizungsanlagen in unseren 130 Gebäuden. Wir sind keine neu gebaute Uni auf einer grünen Wiese oder so kompakt wie die EAH. Zu den Einschränkungen gehören die verordneten 19 Grad und der Verzicht auf die Heizung der Flure und auf warmes Wasser auf den Toiletten. Zusätzlich gibt es eine Abstufung je nach Grad der körperlichen Tätigkeit bis zu 12 Grad. Daher der Appell an alle, mit dem individuellen Verhalten erheblich zum Sparen beizutragen. Da sind 10 oder 20 Prozent Ersparnis drin. Es ist eine schwierige Zeit und – da kommt meine Medizinerseele durch – es ist nicht gesundheitsschädlich, bei 18 Grad zu arbeiten. Es ist eine Sache der Gewöhnung.

Sie setzen auf das individuelle Verhalten. Beim Klimaschutz sieht man jedoch oft, dass das nicht funktioniert.
Wir haben ein Potenzial bei den Maßnahmen, die wir durchführen oder anordnen: Absenken der Temperaturen, warmes Wasser – es bringt wohl viel da, wo es nicht unbedingt gebraucht wird,
das abzustellen. Wir können nur an das Verhalten der Einzelnen appellieren und hier und da die Raumtemperaturen überprüfen. Mehr geht nicht.

Müssen wir dann bald wieder nach Hause, wenn die Energiekosten der FSU zu hoch werden?
Nein! Ganz deutliches Nein! Außer wir werden durch Vorgaben dazu gezwungen. Ich möchte maximale Präsenz gewährleisten und denke eher an die Ausweitung der Öffnungszeiten. Die Thulb soll nicht früher schließen, sondern im Gegenteil vielleicht länger öffnen, damit dort Studierende hinkommen und länger arbeiten können. Wir wollen auch die Winterpause normal halten, weil es im privaten Bereich mit Wärme- und Stromversorgung schwieriger werden könnte. Da sollte man abends auch in der Uni sitzen können.

Außer es wird von oben beschlossen, dann muss sich die Uni anpassen.
Eher Öffnung als Einschränkung. Was nicht heißt, dass man mal einzelne Gebäude, die energieaufwändig sind, rausnimmt. Aber die Gebäude für die Studis sollen offen bleiben, etwa die Thulb.

Wann wird das kommuniziert, falls sich die Krise weiter zuspitzt?
Ich habe es bei verschiedenen Gelegenheiten gesagt, ich werde es auch im Senat sagen. Im Krisenstab wird es auch wieder Thema sein und dann werden wir es kommunizieren.

Der Primat der Präsenz gilt auch bei möglichen Corona-Einschränkungen, wenn die Inzidenz wieder steigt?
Soweit es irgendwie geht. Ich bin optimistisch. Laut einer kürzlichen Studie haben rund 95 Prozent der Deutschen Antikörper. Wir sind in einer anderen Situation als vor einem Jahr. Fast 80 Prozent sind geimpft, offiziell haben es 35 Millionen gehabt, Dunkelziffer 70 Millionen. Deswegen hoffe ich sehr darauf,
dass der Winter nicht so problematisch wird. Ansonsten können wir dem entgegenwirken wie bisher. Die wirksamste Maßnahme sind die Masken – unbequem, aber in Kombination mit Tests kann man so den Präsenzbetrieb lange erhalten.

Trotz multipler Krisen ist die FSU im Baufieber. Wird der neue Campus Inselplatz 2023 fertiggestellt werden?
Es verzögert sich etwas, aber im Jahr 2024 werden das Rechenzentrum und auch die Fakultät für Mathematik und Informatik bezogen werden. Später kommt die Psychologie in das Hochhaus, das noch nahezu vollständig im Rohbau steckt. Die Bibliothek hängt noch weiter zurück, sie wächst gerade erst aus dem Boden und wird voraussichtlich 2025 fertig.

Und die Cafeteria?
Die ist Teil des Bib-Gebäudes und wird eher später fertig. Es wird eine vollwertige Mensa sein, in der auch warme Mahlzeiten angeboten werden. Ansonsten wird die neue Bibliothek ein zentraler Aufenthaltsplatz für Studierende sein. Wir wollen dort wenige Regale und viele Arbeitsplätze. Ich stelle mir eine Sofa-Landschaft vor, in der man auch Kaffee zapfen kann. Das wird alles ein paar Jahre dauern, aber das ist die Perspektive. Die Uni soll mehr Aufenthaltsraum werden, mit einer attraktiven und angenehmen Umgebung vor Ort.

Herr Rosenthal, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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