„Nicht so’n Scheiß“

Oliver Jahn über Musik, Jena und die Welt

Das Frühstück genoss Johanne Bischof



Foto: Katharina Schmidt

Er hat schon viele Berufe gehabt. Doch im Herzen war er schon immer Musiker. Oliver Jahn, Sänger und Gitarrist der Band Los Banditos, über das Komponieren von Musicals, sich fressende Plattenfirmen und den Blick über Jena.

Du wohnst mit Rebekka Kricheldorf zusammen, wie ist das so?
Wirklich gut. Wir haben uns in den zwei Jahren, die wir zusammenwohnen nicht ein einziges Mal gestritten. Aber sie geht ja jetzt weg.

Scheint ja ganz gut zu laufen, wenn man so von deiner Dachterrasse auf die Stadt guckt …
Die hab ich mir nicht mit der Musik erspielt, die hatte ich schon vorher. Ich hab ja auch mal richtig gearbeitet. Ganz früher war ich Gas-Wärme-Netzmonteur, das habe ich auch gelernt.

Wie lange warst du Gas-Wärme-Netzmonteur?
Ich habe das im Energiekombinat Gera gelernt. Gleichzeitig hab ich eine Band gehabt. Darum wurde ich entlassen. Nach ein paar Konzerten wurden wir wieder verboten. Dadurch sind wir berühmt geworden. Die Hälfte von uns ist später in den Knast gegangen. Ich musste dann in den Westen. Irgendwann hat es an der Tür geklingelt: Die sind gekommen und ich musste sofort packen. Ich konnte meiner Mutter nur schnell noch einen Zettel schreiben: „Mutter, bin im Westen.“

Bist du nach der Wende direkt zurückgekehrt?
1994 bin ich nach Jena zurückgekommen und hab dann hier Sozialpädagogik studiert.

Hast Du dann auch im sozialen Bereich gearbeitet?
Ich war der Drogenberater der Stadt Jena. Von ’94 bis ’96 hatte Jena ein richtiges Heroinproblem.
Damit hast du dann auch aufgehört.
Ich hatte einfach eine andere Sicht, was Teamarbeit bedeutet.
Dann ging es aber auch gleich weiter. Ich hatte die Band, habe bei der Kulturarena angefangen und gleichzeitig als Industriekletterer.

Was geht aktuell bei dir?
Viel! Weil ich überall mal reinschaue und das dann alles funktioniert und die ganzen Wünsche in Erfüllung gehen. Gerade gibt es Olmar und Katerfrühstück, zwei Bands.
Und natürlich Los Banditos. Wir haben über zehn Jahre lang um die 100 Konzerte pro Jahr gegeben und waren nur unterwegs.
Das haben wir jetzt reduziert. Wir spielen einfach, wo wir Lust haben. Wir müssen ja auch nicht mehr berühmt werden.

Meinst du, dass das sowieso nicht mehr klappt?!
Nein, wir hatten sogar mal die Gelegenheit. Wir haben uns damit beschäftigt: Sony Music, BMG. Aber die haben sich dann immer gegenseitig gefressen. Außerdem hatte ich irre Erlebnisse. Ich war in Istanbul und saß dort an der Bar und der DJ hat Los Banditos aufgelegt. Es gibt auch eine kanadische Eishockeymannschaft, die spielen uns bei jedem Tor. Das ist alles Underground, aber so macht es noch viel mehr Spaß.

Gibt es mit Los Banditos gerade auch ein paar neue Songs?
Wir sind momentan irgendwie zu faul. Ich glaube, wir haben sechs richtige Platten rausgebracht. Das sind wahnsinnige Investitionen. Heute verkauft man CDs nur noch auf Tour, weil es keine richtigen Vertriebsstrukturen mehr gibt. Gerade habe ich die Musik zu Gotham City III geschrieben. Daran hab ich ein halbes Jahr lang gearbeitet.
Bist Du zufrieden?
Zufrieden? Eigentlich schon. Wir mussten immer 300 Leute organisieren, das hat seinen Charme, ist aber viel Gerenne. Für das kleine Theaterhaus Jena ist das gewaltig.

Die Texte hat Rebekka geschrieben. Habt ihr dann auch viel in der WG gearbeitet?
Ja, ein bisschen WG-productionmäßig war es schon. Rebekka hat mir den Text gegeben. Ich hab mich dann nachts hier hingesetzt und rumkomponiert. Zum Frühstück hat sie den Song mit der Klampfe vorgespielt bekommen. Mit Filip Hiemann von Schleck^Stecker habe ich viel zusammengearbeitet. Wir kommen aus total unterschiedlichen Welten. Für mich ist elektronische Musik einerseits total geil und spannend, andererseits sieht man eben individualisierte Menschen in ihrem Glück rumtanzen und es fehlen mir die Momente in denen alle mal „Yeah, Yeah“ zusammen singen. Dann kommen mir diese Technopartys total spießig vor.

Erklär mal, wie Theatermusik ensteht.
Am Anfang trifft man sich mit dem Regisseur und dem Stab, unterhält sich, spinnt ein bisschen rum und nach und nach kommt das Material.

Weißt du vorher, was für Musiker mit Dir zusammenarbeiten?
Nein, das gehört zu meinen Aufgaben. Man muss sich schon früh überlegen, ob man nur einen Soundtrack macht oder eine Mariachiband auf die Bühne stellt. Im letzten Jahr führten wir die Nibelungen auf und gründeten das Rheingoldexpressorchester. Da wurden Ian Simmonds und Friedemann Ziepert von Feindrehstar dazugeholt. Wir haben uns dann im Studio getroffen und zwei Tage lang nur Session gemacht. Dann hatten wir das Hauptmaterial schon fertig. Das lag an der Qualität der Musikern.
In diesem Jahr spielen eben Los Banditos und die Philharmonie. Mit so einem großen Klangkörper muss man umgehen können.

Hattest du Hilfe?
Jaja. Clemens Rynkowski, der ist ein Jenaer Multisupertalent. Hier ist es möglich zu spinnen. Das geht von WG-Spinnereien aus und zieht sich durch die ganze Stadt. Wer da alles mitmacht! Ständig treffe ich Leute, „Ach du bist hier auch dabei?“ Das liebe ich so an dieser Stadt. In dem Chaos, das da entsteht, schiebt sich am Ende alles zusammen und es entsteht etwas sehr Professionelles. Und nicht so‘n langweiliger Scheiß: zum hunderdsten Mal Cats oder Grease, sondern Gotham City.


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