„Den Keim der Kritik wecken“

Über studentisches Engagement seit mehr als einem Jahrzehnt

Das Gespräch erfüllte Johanne Bischoff




Mike Niederstraßer und Cindy Salzwedel sind studentische Vertreter, aber auch in der Kommunalpolitik aktiv.
Foto: Katharina Schmidt

Eine ruhige Stimme beantwortet geduldig jede Frage. Die Gedanken sind sortiert. Ein bisschen Weisheit schwingt mit. Man fühlt sich beruhigt. Mike Niederstraßer ist Prüfungsberater beim Stura der Uni Jena und der Hochschule Chemnitz. Der Langzeitstudent setzt sich schon seit mehr als zehn Jahren für studentische Belange ein.
Mit dem Akrützel sprach er über Auszeiten, Scherben in Jena und seine Vorstellungen von einer besseren Hochschule.


Ist Jena eine gute Stadt zum Barfußlaufen?
Schon. Obwohl – es gibt nicht so viele Städte in denen man nicht gut barfuß laufen kann. Es liegt bei Weitem nicht so viel Glas rum, wie alle behaupten. Nur im Winter kann man in Jena nicht so gut barfuß laufen, wenn die Stadt unglaubliche Mengen von Salz auf die Straßen kippt.

Wie bist Du nach Jena gekommen?
Ich hab an der Bergakademie Freiberg zehn Semester Werkstoffwissenschaften studiert. Dann hatte ich mit der Uni einen Streit über die letzte Vordiplomprüfung, bei der wurden ganz andere Methoden angewandt, als in der damaligen Prüfungsordnung angegeben waren. Und weil ich da durchgefallen bin, habe ich Widerspruch eingelegt. Das hat so lange gedauert, dass ich mir die juristische Vertretung nicht mehr leisten konnte. Also habe ich das nach dem zehnten Semester abgebrochen, obwohl ich nur noch die Prüfung hätte machen müssen, um den Abschluss zu bekommen.
Dann wollte ich Germanistik studieren. Ich bin quasi zufällig nach Jena gekommen. Eigentlich auf Zeit, um nach der Magisterzwischenprüfung zu wechseln.

Aber Du bist doch immer noch hier.
Das Zwischenzeugnis habe ich nie bekommen. In der Zwischenzeit bin ich auch in Jena ziemlich festgewachsen.
Jetzt studiere ich wieder Materialwissenschaften, aber aus Vernunftgründen. Ich brauche den Bachelor, um eine Fallback-Lösung zu haben.

Wann hast Du begonnen Dich für studentische Belange einzusetzen?
Ich bin jetzt seit 1999 studentischer Interessenvertreter – über Zwischenstufen: vom Fachschaftsrat bis zur bundesweiten Vertretung. Ich hab also eine gewisse Grundausbildung in studentischer Vertretung.

Würdest du sagen, dass Du in Jena bekannt bist?
Ich glaube schon. Es gibt ein gewisses Milieu, in dem mich viele Menschen zumindest schon mal gesehen haben. Aber ich bezweifle, dass viele wissen, was ich mache, außer da zu sein.

Hast Du das Gefühl, dass Du hier schon etwas verändert hast?
Das ist schwer zu beantworten, denn Veränderungen sind selten auf eine Person zurückzuführen. Das Thema Wohnraum ist im Stura gerade aktuell und auch dazu habe ich viel beigetragen, aber nicht alleine. Ich möchte Dinge immer wieder ansprechen und nach vorne bringen.

Wenn Du hier sitzt, wirkst du entspannt, aber wenn man sieht, was Du machst, kannst Du nie Zeit haben.
Ich glaube, der Eindruck stimmt. Aber ich versuche immer dort präsent zu sein, wo ich gerade bin und nicht schon beim nächsten Gedanken, der nächsten Veranstaltung.
Die Zeit, in der die Menschen heute leben, scheint gar nicht vorzukommen. Wenn ich Menschen beobachte, machen sie eigentlich immer mehrere Sachen gleichzeitig und dabei irgendwie nichts so richtig.

Wie kommst Du da raus?
Seit zwei oder drei Jahren probiere ich mir im Sommer einen Monat frei zu nehmen und nur zu wandern, dieses Jahr den Rhein entlang. Dann bin ich alleine unterwegs und habe die Freiheit für Gedanken und Zeit, um wieder Schwerpunkte zu setzen. Man steckt immer so in Details und kann den Zusammenhang gar nicht mehr erkennen.

Wenn Du drei Sachen ändern könntest, welche wären das?
Wichtig wäre mir, den Keim der Kritik und das Hinterfragen in den Menschen hier zu wecken. Daran hängt einfach alles.

Würdest du Uni-Rektor werden, wenn du könntest?
Nein! Lacht. Die Rektoren sorgen für die Hierarchie. Das wäre mit meinen Prinzipien absolut nicht vereinbar. Für mich müsste man dann die Hochschulen total demokratisieren.

Bist Du manchmal froh, dass der Dicke ist, wie er ist?
Im Sinne einer politischen Strategie bringt dieses Feindbild vielleicht etwas, den Studierenden an sich aber am Ende nicht.
An dieser Hochschule herrscht einfach keine Diskussionskultur. Es herrscht gewissermaßen eine „Dickussionskultur“: „Das machen wir jetzt so.“ Sie müssten Leute fragen. Dann könnte man Kompromisse schließen, die nicht nur so genannt werden. Strukturell sind die Studierenden benachteiligt. Wie es werden würde, falls Dicke Präsident der Hochschulrektorenkonferenz wird, weiß man nicht. Er passt irgendwie in dieses Land.

Fühlst Du dich manchmal wie der ewige Meckerer?
Schon, dazu fällt mir sogar eine Episode ein: Mit Frau Hoffmann, der Leiterin der Verpflegungsbetriebe des Studentenwerks. Sie meinte: „Wir haben in den letzten 10 Jahren schon so viel für euch gemacht. Irgendwann muss es doch auch mal gut sein.“ Aber ich glaube, dass Dinge immer noch verbessert werden können. Ein gewisser kreativer Widerstand wird also immer notwendig bleiben.

Gab es Menschen an der Hochschule, die ein Lichtblick für Dich waren – Menschen, die Deine Ideale geteilt haben? Studierenden wird oft fehlendes politisches Interesse unterstellt.
Ich finde es schwierig, sie so zu verallgemeinern, sie sind heterogen. Das ist das Perfide am System. Man hat immer gute Gründe, dies oder das nicht zu machen. Die Hochschulen, gerade die deutschen, sind in ihrer Geschichte nicht unbedingt Horte des kritischen Geistes – ganz im Gegenteil – schon von ihrer Gründungsgeschichte nicht.

Und unter den Lehrenden oder Uni-Angestellten?
Manche Äußerungen der Soziologie halte ich schon für in die richtige Richtung gehend. Aber wenn ich dann höre: „Das ganze System von Exzellenzuni und dem Drittmittelwettbewerb ist eigentlich abzulehnen, aber wir schreiben trotzdem fleißig weiter. Anwesenheitspflicht gibt es zwar nicht, wir überprüfen sie aber trotzdem.“ Natürlich stehen wir für die Gleichheit verschiedener Lebensentwürfe von Menschen verschiedener Identität. Aber gleichzeitig hören wir auch, dass es gerade in der Soziologie ein enormes Diskriminierungsproblem gibt. Das ist so widersprüchlich. Die Menschen sind eben immer im System gefangen.

Hast Du trotzdem Hoffnung?
Alle haben beim Bachelor den Untergang des Abendlandes prophezeit: Es gab auch eine ziemliche Delle. Seit anderthalb Jahren merke ich, dass die Politisierung aber sogar wieder zunimmt. Das kam völlig unerwartet. Ich habe da Hoffnung.


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