„Where the hell is Beutelsbach?“

Eine emeritierte Professorin über ihr Unileben

Für sein erstes Interview bedankt sich Philipp Franz



Foto: Privat

Christel Köhle-Hezinger, Professorin für Volkskunde, ist seit dem letzten Wintersemester offiziell emeritiert. Sie arbeitet trotzdem noch für die FSU und an zahlreichen Projekten. Wer wissen will, was diese Dame mit Dorothy Gale aus Kansas und dem 1. April gemein hat, warum ihr Lieblingswort „Studis“ ist, oder was Porsche und Mercedes mit der deutschen Kultur gemeinsam haben, sollte das Akrützel nun nicht mehr aus der Hand legen.

Seit letztem Wintersemester sind Sie im Ruhestand. Was haben Sie an der Friedrich-Schiller-Universität gelehrt?
Alltagskulturwissenschaft in Geschichte und Gegenwart – das ist ein empirisches Fach. Wir gehen immer von der Gegenwart aus. Selbst wenn man historisch arbeitet, stolpert man über etwas in der Gegenwart, was einen stutzig macht. Bei uns geht es um die Suche nach dem historisch Gewordenen. In Tübingen, wo ich herkomme, nennt man das empirische Kulturwissenschaft. Ich fand es super, dass man das wie einen Mädchennamen mitbringen konnte.
Die Völkerkunde befasst sich mit der Fremdenkultur und wir uns mit der eigenen. Wobei sich das in der Gegenwart immer mehr annähert. Man sagt, man muss das Eigene im Fremden erforschen und das Fremde im Eigenen. Egal, ob in Kreuzberg oder hier im Thüringer Wald: Es geht immer darum, die Kultur zu erforschen, als ob sie fremd wäre. Und das seit 1998 – seitdem es das Fach an der FSU gibt, bin ich hier.

Wann und wie haben Sie ihre Laufbahn als Dozentin begonnen?
In Stanford 1975, in einem Austauschprojekt. Ich selber und die amerikanischen Studenten lebten eine Zeit lang im Ausland und dann in Deutschland. Ich war früher schon einmal als Studentin in den USA, in Kansas, gewesen. Als Professorin dann aber in Palo Alto, Kalifornien. Das war direkt nach meiner Promotion. Die amerikanischen Studis fanden den Austausch nach Beutelsbach am allerbesten, weil die dann mit den „Natives“ in diesem schwäbischen Dorf in der Nähe von Stuttgart zusammengewohnt haben. Sie mussten die schwäbische Kehrwoche machen und solche Dinge. Ich habe mit einem Kulturanthropologen, der in Palo Alto eine feste Professur hatte, zusammengearbeitet. Dieser kam immer wieder nach Schwaben. Wir haben viel mit Kulturvergleichen gearbeitet und es war sehr spannend.

Was haben die Studenten über den Austausch gedacht?
Alle, die den Austausch mitgemacht haben, hatten deutsche „Muttis“. Die „Studis“ haben so einen Kulturschock am eigenen Leib erfahren. Jeder dachte am Anfang, die deutsche und die amerikanische Kultur seien sehr ähnlich. Sie dachten, in Deutschland fährt jeder Porsche, weil in Kalifornien so viele Menschen Mercedes oder Porsche fah­ren. Das haben wir dann in Seminaren verarbeitet.
Dieses Projekt der Kulturanthropologie sollte eigentlich erweitert werden, aber dann kam ein großes Sparprogramm der Stanford University. Die Folge war, dass alles von heute auf morgen um die Hälfte reduziert wurde. Und der Chef der Universität in Standford hat in der Auswertung gefragt: „Where the hell is Beutelsbach?“ Und die Studenten haben gesagt, das war der einzig gute Austauschcampus, weil sie in Paris oder Florenz wie Touristen behandelt wurden und gelebt haben. Ich wurde dann nach den angesprochenen Kürzungen entlassen. Also kam ich in die Freiberuflichkeit rein und dann an die FSU.

Kommen wir zu ihrer letzten Vorlesung. Wie ist das abgelaufen?
Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich eine Abschiedsvorlesung mache oder eine richtige festliche, da ich schon beides erlebt habe. Und ich fand das so trocken und dröge, zu sagen, die letzte thematische Vorlesung ist meine Abschiedsvorlesung. Da habe ich mir gedacht, das muss doch auch ein Fest sein, da muss man feiern und da muss es Essen und Trinken geben, Studis und hunderte von Leuten sollen da sein. Deshalb habe ich mich entschlossen, beides zu machen.
Das Thema der letzten Vorlesung war „Anarchie, Chaos, Narren – verkehrte Welt“. Und das war für mich auch so: Raus aus der Berufswelt und rein in den Ruhestand. Das war am letzten Vorlesungstag des letzten Semesters. Und meine Abschiedsvorlesung war am 1. April 2011. Diese hieß „Am 1. April im 13. Jahr: zum Glück in Jena“ – ein Fest.

Mussten Sie weinen?
Ja, schon ein bisschen. Denn es waren alle Ehemaligen da, und meine „Doktorenkinder“.

Haben Sie sich die musikalische Untermalung selbst ausgesucht?
Ja, „Flow my tear“.

Sie sind nun im Ruhestand, sind aber trotzdem weiterhin für die FSU tätig.
Ich bin Teilprojektleiterin im Sonderforschungsbereich 580, also in dem für Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch – Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung. Das geht noch ein Jahr.

Wissen Sie schon, was dann kommt?
Ich habe noch Magisterkolloquien zu betreuen. Außerdem sind 25 Doktoranden zu unterweisen. Ich war 13 Jahre an der FSU in verschiedensten Gremien und Prüfungsvorständen Vorsitzende und Vertreterin, das ist aber nun vorbei. Jetzt mache ich hier im Institut im Hintergrund die Verwaltung. Die Lehre wird vertreten. Und solange die Nachfolgerin nicht da ist, läuft das ja nicht richtig rund.

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