Die wichtigste deutsche Lobbyorganisation gegen Klimaschutz hat ihren Sitz ausgerechnet in Jena. EIKE präsentiert sich als wissenschaftliches Institut. Der Verein unterhält Verbindungen zur AfD und FDP – sein Präsident sogar zum Thüringer Ministerpräsidenten Mario Voigt.
Wer nicht weiß, wo der Arbeitsweg von A. Göhring endet, könnte ihn glatt für einen Klimaaktivisten halten: Göhring fährt mit dem Zug und dem Fahrrad zur Arbeit und trägt eine bunte Bommelmütze auf dem Kopf. Doch der promovierte Biologe ist kein Klimaaktivist, sondern Mitarbeiter beim Europäischen Institut für Klima und Energie (EIKE e. V.). EIKE sitzt auf einem Bürogelände in Jena-Zwätzen. Auf den Briefkästen reiht sich das Institut ein zwischen Biankas Hundetagesstätte, SPA Nirvana und alfatraining. Das Gespräch mit Göhring ist freundlich. Er fühle sich geehrt, dass das Akrützel über EIKE berichtet und verspricht sogleich ein Gespräch mit Dr. Holger Thuß, dem Präsidenten des Instituts.
Holger Thuß, promovierter Historiker, gründete EIKE im Jahr 2007. Die Idee entstand durch ein Diskussionsforum im Internet, bei dem er sich mit anderen Kritiker:innen der These des menschengemachten Klimawandels vernetzte. In den Büros in Jena-Zwätzen arbeiten laut Thuß fünf festangestellte Mitarbeiter:innen. Darüber hinaus werde EIKE hauptsächlich von Freiwilligen unterstützt. Thuß schätzt die Zahl der Ehrenamtlichen auf 200 Personen, die aus Deutschland, Großbritannien, den USA und Kanada für den Verein arbeiten.
EIKE versucht bewusst, den Eindruck einer wissenschaftlichen Organisation zu erwecken. Das Logo des Vereins, zwölf blaue Sterne auf gelbem Hintergrund, suggeriert eine Verbindung zur EU. EIKE hält regelmäßig Internationale Klima- und Energiekonferenzen ab, 2021 in Gera und zuletzt 2024 in Wien. Außerdem versorgt ein täglicher Newsletter seine Abonnent:innen mit scheinbar wissenschaftlichen Publikationen zu Klima- und Energiefragen. Die Artikel stehen alle unter einem Narrativ: Die Regierung nutzt den Klimawandel als vorgeschobenen Grund, um immer mehr Steuern, wie etwa die CO2 -Steuer, von den Bürger:innen einzutreiben und die staatliche Macht auszuweiten. Am Telefon formuliert es Holger Thuß so: „Wir glauben, dass die anderen Wissenschaftler uns anlügen“. Das IPCC, das Intergovernmental Panel on Climate Change, agiert laut Thuß als regierungsübergreifende Behörde, die den Schwindel um den Klimawandel koordiniert. So würde das IPCC Messdaten der Wetterstationen schätzen, um eine globale Erwärmung vorzutäuschen.
Holger Thuß betont, dass es sich bei der Arbeit von EIKE nicht um Verschwörungsideologie, sondern um eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Klimawandel handelt. Die Publikationen auf der Website wirken auf den ersten Blick tatsächlich wissenschaftlich. Man möchte vor den vielen Zahlen und Diagrammen am liebsten kapitulieren, doch ein genauer Blick lohnt sich und legt offen, wie EIKE vorgeht. Laut Roland Zech, Professor am Institut für Geographie der Universität Jena, gibt es Argumentationsstrategien, die von Klimaleugner:innen immer wieder zur gezielten Desinformation eingesetzt würden. Zech machte bereits 2017 Bekanntschaft mit EIKE. Damals titelte der Verein „Die Halbwahrheiten des Professors Roland Zech“ und unterstellte dem Klimawissenschaftler „Panikmache“. Panikmache sei nicht nur die Forschung von Zech, sondern der allgemeine Alarmismus um den Anstieg der CO2-Konzentration. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Konsens hält EIKE die Zunahme des Treibhausgases für eine positive Entwicklung. Denn durch einen CO2-Anstieg würden die Pflanzen besser wachsen. Dass mehr CO2 das Wachstum einiger Pflanzenarten anregt, ist korrekt. Die Rechnung bezieht allerdings nicht mit ein, welche Auswirkungen Klimawandelfolgen, wie Extremwetterereignisse, auf die Pflanzen haben. Deren Auftreten wird durch einen Anstieg von CO2 in der Atmosphäre begünstigt.
EIKE verwirrt mit Zahlen und komplexen Abbildungen, die nur auf den ersten Blick wissenschaftlich wirken. Die Diagramme der Autor:innen sind in Teilen durchaus richtig, allerdings nehmen sie Daten aus dem Kontext und bringen sie in falsche Zusammenhänge. Dass EIKE keine Wissenschaft macht, sondern Verschwörungsideologie, wird auch an der polarisierenden Sprache der Autor:innen deutlich. Sie schreiben von „Klimahysterie“, „Eliten-Institutionen“ und „Klimatrollen“. Holger Thuß hingegen betont in einer Stellungnahme auf der Website, dass EIKE unabhängig sei und den Anspruch einer „unpolitischen und unideologischen Sachdiskussion“ habe. Thuß sieht die Aufgaben seines Instituts in der Wissenschaft, nicht in der Politik.
Darf sich EIKE Institut nennen?
Aus rechtlicher Sicht darf EIKE den Begriff Institut in seinem Namen führen, da es sich dabei nicht um eine geschützte Bezeichnung handelt. Das ist auch gut so, meint Anika Klafki, Professorin für Öffentliches Recht an der Uni Jena. Ansonsten seien Minderheitsmeinungen in Gesellschaft und Wissenschaft leicht zu unterdrücken. Die Demokratie müsse es daher aushalten, wenn wissenschaftlich unhaltbare Beiträge publiziert würden. Allerdings wurde EIKE 2022 der Status als gemeinnütziger Verein aberkannt. Sie legten daraufhin Widerspruch ein. Thuß ist optimistisch, den Prozess zu gewinnen und unterstellt dem Finanzamt, das Verfahren absichtlich zu verschleppen.
Wir fragen Thuß weiter nach der Expertise der Autor:innen von EIKE. Er reagiert gereizt, denn Thuß sei oft mit dem Vorwurf von Journalist:innen konfrontiert, dass seine Mitarbeiter:innen keine explizit klimawissenschaftliche Ausbildung hätten. Holger Thuß selbst ist Historiker, im Studium habe er sich aber auch mit dem Thema Klima beschäftigt. Klima sei schließlich Geschichte. Auf die Frage, ob das nicht zu wenig für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Klimawandel sei, antwortet Thuß, dass es bis vor einigen Jahren noch keinen ausgewiesenen Klimatologie-Studiengang gab. Laut Thuß hätten sich alle Mitarbeiter:innen von EIKE akademisch mit dem Thema Klima beschäftigt und seien genauso qualifiziert wie andere Expert:innen. Ob selbstständiges Einarbeiten in ein so komplexes Forschungsgebiet wie den Klimawandel eine akademische Ausbildung ersetzt, ist allerdings fraglich.
Mehr Lobbyarbeit als Wissenschaft
Ebenso zweifelhaft ist die von Holger Thuß immer wieder betonte politische Unabhängigkeit des Instituts. Hinter der wissenschaftlich-tarnenden Fassade von EIKE verbirgt sich ein komplexes Netzwerk, das eng mit internationalen klimaskeptischen Organisationen, wie dem Heartland Institute und CFACT Europe verflochten ist. Durch diese Verbindungen spielt EIKE eine zentrale Rolle in der Desinformationskampagne gegen den Klimaschutz. Das Heartland Institute, mit Sitz in den USA, ist eine der einflussreichsten Anti-Klimaschutz-Lobbyorganisationen weltweit. Es wird maßgeblich von der fossilen Energieindustrie finanziert, darunter Unternehmen wie ExxonMobil. Das Heartland Institute setzt sich dafür ein, Klimaschutzmaßnahmen auf internationaler Ebene zu blockieren. Holger Thuß ist nicht nur politischer Berater des Heartland Institutes, sondern unterhält auch enge persönliche Verbindungen zu den führenden Köpfen der Organisation. Die Zusammenarbeit geht über den Austausch von Strategien hinaus: Es finden regelmäßig gemeinsame Veranstaltungen und Konferenzen statt, unter anderem 2021 in Gera, bei denen die Folgen des Klimawandels heruntergespielt werden.
Besonders bemerkenswert ist die Verbindung zum Committee for a Constructive Tomorrow (CFACT Europe), einer europäischen Schwesterorganisation des Heartland Institute. CFACT Europe war über Jahre hinweg an derselben Adresse wie EIKE in Jena-Zwätzen registriert, bevor das Amtsgericht ihn 2022 aus dem Register löschte, weil seine Eintragung als Verein rechtlich nicht zulässig war. Diese Nähe unterstreicht, wie eng die beiden Organisationen zusammenarbeiten. CFACT Europe ist bekannt dafür, Lobbyarbeit gegen Klimaschutzmaßnahmen zu betreiben, und wird ebenfalls von der fossilen Energieindustrie unterstützt. Die Finanzierung von EIKE selbst bleibt weitgehend intransparent. Eine Anfrage beim Finanzamt Jena ergab keine Antwort. Zwar gibt Thuß an, dass der Verein durch Spenden von rund 3.000 Kleinspender:innen getragen wird. Doch die engen Verbindungen zu internationalen Netzwerken wie dem Heartland Institute werfen Zweifel an dieser Darstellung auf. Es liegt nahe, dass EIKE indirekt von den gleichen fossilen Interessengruppen profitiert und finanziert wird. Diese Vermutung wird durch Berichte von Correctiv und Lobby-Control gestützt, die zeigen, dass EIKE bei Veranstaltungen und Reisen regelmäßig auf die finanzielle Unterstützung dieser Netzwerke zurückgreift. Thuß selbst streitet dies ab: „Wenn ich hingehe und mir das Essen bezahlt wird, kann ich als Privatperson machen, was ich will“. Die Spenden des Heartland Institutes entsprächen nur fünf Prozent des Gesamthaushalts von EIKE. „Meinen Stuhl habe ich schon selbst bezahlt”, sagt Thuß.
Kontakte in die Politik
Die internationale Vernetzung von EIKE ist offensichtlich, aber welchen Einfluss hat EIKE auf deutsche Politik? Die Frage nach Kontakten zur AfD beantwortet Holger Thuß widersprüchlich. Zuerst spricht er von einer „Zusammenarbeit“ mit der Partei. Die AfD habe sich für die Positionen von EIKE „immer offen“ gezeigt. Zu Zeiten der Gründung der Partei sei die Zusammenarbeit allerdings deutlich „enger“ gewesen. Nach weiteren Rückfragen rudert Thuß ertappt zurück. Zusammenarbeit sei übertrieben, man hätte die Partei lediglich mit der eigenen wissenschaftlichen Expertise beraten. Eine Brandmauer sei sowieso nicht sinnvoll.
EIKEs Kontakte in die AfD liegen nicht fern. Der Vizepräsident des Instituts, Michael Limburg, ist Mitglied der rechten Partei und Mitarbeiter des AfD-Bundestagsabgeordneten Carsten Hilse. Limburg wurde 2019 von der AfD als Experte zu einem „Klimadialog“ in den Umweltausschuss des Deutschen Bundestages eingeladen. 2023 und 2024 schenkte man Limburg als Sachverständiger im Klimaausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses erneut Gehör. Dr. Horst-Joachim Lüdecke, Pressesprecher von EIKE und ebenfalls AfD-Mitglied, wurde 2019 als Sachverständiger sogar in den Umweltausschuss des Deutschen Bundestages einbestellt.
Die Zusammenarbeit einzelner Mitglieder von EIKE mit der AfD habe sich laut Thuß stets auf der Ebene wissenschaftlicher Beratung bewegt und sei rein auf die Themen Klima- und Energiepolitik bezogen gewesen. Doch dass ein anderer langjähriger Mitarbeiter von EIKE auch außerhalb wissenschaftlicher Beratung mit rechten Bewegungen zusammenarbeitet, dürfte Holger Thuß nicht entgangen sein. Die Rede ist von A. Göhring, der regelmäßig Artikel im Newsletter von EIKE schreibt. In seiner Freizeit kandidierte der promovierte Biologe bei der Stadtratswahl 2024 in Jena für die rechtsoffene Partei dieBasis, die sich 2020 im Zuge der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen gründete. Laut dem Rechercheportal Jena-SHK war Göhring maßgeblich an der Organisation der Montagsproteste in Jena beteiligt, die während der Corona-Pandemie AfD-Anhänger:innen, Reichsbürger:innen und bekannte Rechtsextremist:innen zusammenführte. In der Vergangenheit publizierte Göhring außerdem in zahlreichen konservativ-libertären bis rechtsextremen Onlinemagazinen, wie Compact, eigentümlich frei, Achse des Guten oder Die Weltwoche.
EIKE hat es geschafft, auch weit über die AfD hinaus Kontakte in die Politik zu knüpfen. Unter anderem hat die FDP über einzelne Mitglieder, wie den Klimareferenten Steffen Hentrich, Berührungspunkte mit dem Verein. Thuß gibt im Interview außerdem an, Kontakte zum Thüringer Ministerpräsidenten Mario Voigt zu haben: „Wir haben Kontakte in alle Parteien. Beispielsweise ist der Ministerpräsident von Thüringen ein enger Freund von mir”. Die beiden veröffentlichten im Jahr 2001 sogar eine gemeinsame Publikation über die Studierendenorganisation RCDS. Seine Aussage wirft Fragen über die mögliche Beeinflussung der CDU-Politik auf. Die CDU selbst äußerte sich zu den Behauptungen von Thuß nicht.
Die Wahl der Stadt Wien als Ort einiger EIKE-Veranstaltungen scheint auch kein Zufall zu sein. Die FPÖ wird unter anderem von der Hayek-Gesellschaft Österreich beraten, die enge personelle, strukturelle und finanzielle Überschneidungen mit EIKE aufweist. Mit der kommenden Koalition aus FPÖ und ÖVP könnte diesen Organisationen also auch in Österreich eine Bühne geboten werden.
Gefährliche Narrative
EIKE ist mehr als nur ein Verein mit klimaskeptischer Agenda. Es ist eine gut vernetzte Lobbyorganisation, die gezielt politische Kontakte nutzt und Desinformation verbreitet, um Klimaschutzmaßnahmen zu untergraben. Und das in einer Zeit, in der die Klimakrise dringender denn je Lösungen erfordert. Unter dem Deckmantel der Wissenschaft verbreitet EIKE gefährliche Verschwörungsideologien. Der Klimawandel ist ein hochkomplexes und emotionalisiertes Thema, das Angst macht. Wer sich nicht tiefergehend mit der Forschung beschäftigt, findet bei EIKE entlastende Gegendarstellungen zu einem Bedrohungsszenario, das ansonsten unkontrollierbar wirkt. ,,Nicht das Klima ist bedroht, sondern unsere Freiheit“, ist EIKEs Motto. Aber ist es nicht die Klimakrise selbst, die unsere Freiheit zukünftig bedrohen wird?
Isabel Draeger
und Lucy Tusche