Keine Wahre Liebe

Das Regierungspapier von CDU, SPD und BSW ist da. 29 Mal kommt darin das Wort Frieden vor. Aber wie geht es jetzt weiter und was steht für Hochschulen und Studierende drin?

Die Brombeerkoalition ist kein perfektes Match. Mehrere Male seien die Verhandlungen vor dem Aus gewesen. Die unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen für Thüringen hätten die Beziehung belastet. Eigentlich wünschten sich alle ein anderes Wahlergebnis herbei – die CDU, SPD und das BSW haben eine Situationship.
Die Pressekonferenz zur Vorstellung des Koalitionsvertrages hat dennoch etwas Romantisches. Der Hintergrund leuchtet in Brombeer-Lila. Steffen Schütz vom BSW sagt es in rosa Krawatte und rosa Einstecktuch: „Wir sind nicht füreinander geschaffen, aber füreinander bestimmt.”

Offene Fragen

Der Koalitionsvertrag ist zwar ein großer Schritt, damit die Regierung aber richtig fest wird, müssen auch noch die Parteimitglieder zustimmen. Die SPD macht dafür eine Mitgliederbefragung und die CDU einen kleinen Parteitag. Die CDU als größter Partner dürfte keine Bindungsängste haben. Auch Georg Maier, noch geschäftsführender Innenminister von der SPD, ist sich sicher, dass seine Partei den Vertrag annehmen wird. Thüringer Juso-Landesvorsitzende Melissa Butt stellt sich in einer Mitteilung dagegen. Eine sozialdemokratische Handschrift sei nicht mal zwischen den Zeilen zu erkennen. Das Pro-Koalitionslager verweist darauf, dass der Kurs Thüringens ohne eine progressive Partei in der Regierung noch abwegiger wäre und überhaupt, es sei keine Liebe, sondern Vernunft.
Das echte Sorgenkind der Koalition bleibt aber das BSW. Während der Verhandlungen trugen Sahra Wagenknecht und Katja Wolf einen halböffentlichen Machtkampf aus. Die Formulierungen zur Friedenspolitik sollten für Sahra Wagenknecht konkreter sein, sonst bliebe für den Thüringer Landesverband einzig die Opposition über. Die BSW-Namensgeberin zeigte sich mit dem Regierungsvertrag inzwischen aber deutlich zufriedener als noch vor wenigen Wochen mit dem Sondierungspapier. Ein Grund hierfür muss aber nicht unbedingt eine inhaltliche Übereinstimmung mit dem Papier sein, sondern vielmehr taktisches Kalkül. In einigen bundesweiten Umfragen rutschte das BSW unter die 5%-Hürde und muss um den Einzug in den Bundestag bei den Neuwahlen Ende Februar bangen. Weitere parteiinterne Streitereien wären da keine große Hilfe. Die Schwierigkeiten der Parteien mit der Außenpolitik des Bundes in Bezug auf den Ukrainekrieg werden im Papier zwar direkt angesprochen und man unterstütze jede Friedensbemühung, es bleibt aber ein Bekenntnis zur Nato. Beim BSW-Parteitag am 7. Dezember wird sich zeigen, ob diese Worte im Regierungsvertrag für eine positive Abstimmung ausreicht.
Auch sonst bleiben noch einige Fragen offen: Wer bekommt welches Ministerium? Immerhin ist die Gewichtung klar. Die SPD soll zwei, das BSW drei und die CDU vier bekommen. Vize-Ministerpräsidentin und Finanzministerin wird wohl Katja Wolf. Heiß umkämpft sind Innen- und Wirtschaftsministerium.
Die Wahl von CDU-Mann Mario Voigt zum Ministerpräsidenten findet vermutlich Mitte Dezember statt. Höchstwahrscheinlich fällt die Entscheidung aber erst im dritten Wahlgang. Erst dann reicht die relative statt absoluter Mehrheit.
Da die Brombeere nur die Hälfte der Stimmen hat, ist sie auf die Oppositionsparteien angewiesen, um Gesetze zu verabschieden. Es handele sich aber nicht um eine Minderheitsregierung im klassischen Sinne, es gebe nur eine Pattsituation im Parlament, wie Georg Meier auf der Pressekonferenz klarzustellen versucht.
Um in dieser Pattsituation dennoch bestmöglich zu arbeiten, soll jetzt ein Prälegislatives Konsultationsverfahren eingeführt werden – ein Wortungetüm, dessen Aussprache selbst den Parteivorsitzenden schwerfiel. Aber eigentlich bedeutet es ganz einfach, dass Gesetze mit der Opposition besprochen werden, bevor sie in den Landtag eingebracht werden. Die Opposition kann Kritik und Änderungsvorschläge äußern, an einem Kompromiss arbeiten und die Regierung bekommt eher ihre Mehrheit. Das könnte auch generell die Rolle des Parlaments gegenüber der Exekutive stärken. Jede Stimme wird gebraucht, die Gesetze lassen sich nicht einfach durchwinken. Zusammenarbeit mit der Opposition soll für die Brombeere nur mit der Linken stattfinden. Die AfD will man nur zu notwendigen parlamentarischen Entscheidungen, wie den Wahlen der Richter des Thüringer Verfassungsgerichts, miteinbeziehen. So steht es zumindest im Koalitionsvertrag. Dafür reicht der Brombeere ein einzelner Satz auf 126 Seiten Vertrag. Wie die Arbeit im Parlament schlussendlich aussieht, wird sich erst mit der Geschäftsordnung der Landesregierung zeigen.

Schöner und Besser

uf der Pressekonferenz werden die drei Hauptthemen der Koalition in folgender Reihenfolge aufgezählt: Wirtschaft, Migration und als letztes Bildung. Für die Koalition hängen diese Begriffe wohl eng zusammen. Die Wirtschaft schrumpft und es gibt massiven Fachkräfte- und Lehrermangel. Thüringen sieht sich in den nächsten Jahren vor ordentlichen Finanzproblemen. Das liegt vor allem an Gehaltssteigerungen und höheren Energiekosten.Und das schlägt sich auch auf die FSU nieder, die zusätzlich mit den gleichen Problemen zu tun hat. Deshalb musste die Uni schon 100 Vollzeitstellen einsparen. Die Brombeere verfolge zumindest das Ziel, die höheren Versorgungsausgaben durch das Land zu übernehmen. Die Forschungseinrichtungen, das Studierendenwerk, das Universitätsklinikum, ja alles, soll schöner, besser und einfach toller werden. Dafür kommt ein systematisches Sanierungsprogramm bis 2027, bei dem genauso notwendige Neubauten errichtet werden – am neuen FSU-Campus auf dem Inselplatz wird man sich freuen. Im Budget sollen auch feste Steigerungsraten eingeplant werden, um auf Preissteigerungen reagieren zu können. Ob die mit den tatsächlichen Kosten übereinstimmen, ist jedoch eine andere Frage. Weitere Kürzungen stehen laut dem Struktur-und Entwicklungsplan der Universität so oder so schon an. Erst in einem Jahr, wenn das neue Hochschulbudget verhandelt wird, weiß man wie viel schlimmer es noch wird.

Multiplizierung der Landesmittel

Ansonsten spielt die Brombeere die Uno-Reverse-Karte: Die Gelder sollen ermöglichen, Drittmittel und weitere Exzellenzcluster einzuwerben. Die Hochschulen müssen sich selbst und Thüringen aus dem Dreck ziehen. „Die Thüringer Wissenschaftseinrichtungen sorgen durch die Multiplizierung der eingesetzten Landesmittel für Wertschöpfung in Thüringen und ermöglichen dem Freistaat, zukünftige Herausforderungen und Transformationen zu meistern”, heißt es im Vertrag. Ganz besonders wichtig: Das Programm Löwe, durch das Spitzeninnovationen in Quantenphotonik oder Wasserstofftechnologien gefördert werden. Versteht die Brombeere Wissenschaft primär nur als eine naturwissenschaftliche Erfindungsmaschine?
Die exzellenten Produkte werden natürlich von Menschen erfunden. Nun geht die Studierendenzahl an der Friedrich-Schiller-Universität Jena seit Jahren zurück. Deshalb sollen jetzt nicht nur aus anderen Bundesländern, sondern weltweit junge Menschen in den beschaulichen Freistaat gelockt werden. Dazu gehören gezielte Werbekampagnen, um internationale Talente anzuwerben. Diese sollen dann frühzeitig über regionale Beschäftigungsmöglichkeiten informiert und nach dem Studium in den Arbeitsmarkt integriert werden.

Endlich Bafög

Aus Exzellenz wird allerdings nichts, wenn man sich das Studium nicht leisten kann. Wenigstens Studierende, die seit Monaten, vielleicht auch seit Jahren, auf ihren BAföG-Bescheid warten, können aufhorchen. Die Brombeere möchte das Studierendenwerk Thüringen bei der Bearbeitung von Anträgen unterstützen und so den Antragsstau abbauen. Außerdem setze man sich dafür ein, dass Wohnraum für Studierende bezahlbar ist und die Stundenpläne flexibler werden.
Es soll auch mehr dauerhafte Beschäftigungen und Vollzeitstellen geben und die Arbeitszeiten für alle attraktiver werden. Genaueres über die Fragen, wer oder wie man diese hehren Ziele umsetzt, steht natürlich nicht drin – also ein typischer Koalitionsvertrag. Georg Maier sagt, dass das Papier geeignet sei, damit die Menschen den Unterschied spüren. Er versichert auch, dass im Vertrag noch andere Buzzwörter als Frieden stehen. Hoffentlich ist das keine Redflag.

Mirko Schöbel
und Götz Wagner

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