Linda Stark ist mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete im Thüringer Landtag. Als junge Frau in Zeiten des Rechtsrucks muss sie immer wieder unter Beweis stellen,
was es bedeutet, links zu sein.
Das Büro von Linda Stark hat sich seit September mit Leben gefüllt. Neben dem zurückgelassenen Radio ihres Vorgängers tummeln sich diverse Pflanzen im Zimmer der Abgeordneten, allesamt Geschenke ihrer Kolleg:innen. Die Etage teilt sich die Linke-Fraktion zu Starks Unmut mit dem BSW. Überall im Haus herrschen noch Umbauarbeiten. Im Flur der SPD musste der gesamte Boden rausgerissen und neu gemacht werden, weil er ihnen nicht passte. Die Stimmung unter den Linken Abgeordneten ist aber gelassen. Der Flurteil der Linken ist humorvoll mit Stickern und Sprüchen gestaltet. Es herrscht ein kollegiales, freundschaftliches Verhältnis zwischen den zwölf Abgeordneten der Fraktion. Auch politisch stehe die Fraktion geschlossen zusammen, versichert Stark. „Unsere Stimmen gibt es nur zu zwölft. Wir stimmen gemeinsam und auch nur für die Themen, die zukunftsgerichtet sind.”
Bevor Stark ihr Büro verlässt, um zusammen mit ihren Kolleg:innen nach unten in den Plenarsaal zu gehen, plündert sie noch den Snack-Schrank neben ihrem Schreibtisch. Im Plenarsaal gibt es ein Essverbot. Daran halten sich die Abgeordneten jedoch nur bedingt. Zwar habe sie noch niemanden Klöße mit Soße auspacken sehen, es sei trotzdem üblich, heimlich ein paar Kleinigkeiten zu snacken. Immer wieder beobachte sie, wie jemand abtaucht, um auf der Höhe der Tischkante von einem Keks abzubeißen. In die erste reguläre Landtagssitzung am 13. November geht Stark mit einem entspannten Gefühl. Anders als bei der konstituierenden Sitzung, bei der sie zusammen mit dem CDU-Abgeordneten Lennart Geibert die Namen der Abgeordneten aufrufen und die Beschlussfähigkeit des Landtages feststellen musste, sah die Tagesordnung am Mittwoch keinen Redeanteil für sie vor. Das Verlesen der Namen habe sie damals sehr nervös gemacht. An den beiden Plenarsitzungen dieser Woche übernahm sie den Schriftdienst und führte von einer der Emporen die Redeliste. So konnte sie sich ganz der Rolle der Beobachterin widmen.
Die AfD stresst
Die Stimmung im Plenarsaal beschreibt sie als extrem polarisiert und aufgeheizt.Auf der Tagesordnung des 13. November stehen mehrere wichtige Personalwahlen: Die Wahlausschüsse für Richter:innen und Staatsanwält:innen sollen gewählt werden. Außerdem will die AfD Jörg Prophet zum Landtagsvizepräsidenten wählen lassen. Neben Wiebke Muhsal, welche zuerst von der AfD für das Amt der Vizelandtagspräsidentin und Landtagspräsidentin vorgeschlagen wurde, wird auch Jörg Prophet von den anderen Parteien als Provokation verstanden. Bei den Oberbürgermeisterwahlen in Nordhausen wurde er durch Holocaustverharmlosungen bundesweit bekannt.
Die AfD hat allein nicht genug Stimmen, um Prophet ins Amt zu wählen. Sie macht mit 33 von 88 Sitzen jedoch mehr als ein Drittel im Landtag aus. Das verleiht ihnen auch als Opposition genügend Macht, mit ihrer Sperrminorität die Wahlen der Richter- und Staatsanwalts-Wahlausschüsse zu blockieren und so die anderen Parteien unter Druck zu setzen. Besonders der CDU liegen diese Wahlen am Herzen. Würden diese Wahlen weiter hinausgezögert, befürchten sie einen Zusammenbruch des Thüringer Justizsystems. Denn bei fast zwei Dritteln Richter:innen über fünfzig Jahren, steht dem Land eine Rentenwelle bevor.
Die Gefahr bestand, dass die CDU Fraktion, die AfD Kandidaten für den Posten des Vizelandtagspräsidenten und des stellvertretenden Verfassungsrichters mit ihren Stimmen unterstützen, wenn die AfD im Gegenzug die Besetzung der Wahlausschüsse nicht blockiert. Die Idee wurde nicht in die Tat umgesetzt. Auf einen Antrag der SPD hin wurden die Wahlen von der Tagesordnung genommen. Die Linke-Fraktion habe das Verschieben der Wahlen mit Spannung verfolgt, sich aber rausgehalten, berichtet Linda Stark. Sie seien froh gewesen, bereits um 17 Uhr in den Feierabend zu dürfen. Sie selbst empfinde den möglichen Tauschhandel zwischen der AfD und der CDU Fraktion als Herumtasten, um herauszufinden, wie weit man gehen könne. Außerdem habe es auf sie gewirkt, als wollten CDU, BSW und SPD das Thema um die Wahl eines möglichen AfD-Vizepräsidenten umgehen, bevor eine feste Koalition steht. Der Regierungsvertrag der Brombeer-Koalition aus CDU, SPD und BSW wurde inzwischen am 22. November vorgestellt.
Bei der nächsten Landtagssitzung im Dezember könnte der Tauschhandel womöglich noch einmal Thema werden. Verlässt man den Flur der Linken, wird die Stimmung eisiger. Insbesondere zwischen der Linken und der AfD herrscht ein angespanntes Verhältnis. Sie ignorieren sich auf den Fluren, begrüßen sich nicht einmal. „Ich möchte mit denen privat nichts zu tun haben, und Hallo zu sagen ist für mich ein privater Umgang. Ein beruflicher, politischer Umgang muss klargehen.”
Linke Politik jetzt als Opposition
Die drei Koalitionsparteien CDU, BSW und SPD warben im Wahlkampf mit stabilen Mehrheiten, doch Überraschung: 44 von 88 Sitzen sind keineswegs stabil. In dieser Situation komme der Linken als einzige demokratische Oppositionsfraktion eine besondere Verantwortung zu. Stark propagiert konstruktive, aber kritische Oppositionspolitik. Von Beginn an setze die Fraktion Inhalte, bringe Anträge ein und kämpfe für die eigenen Ziele, beispielsweise für den 8. Mai als Feiertag oder das dritte beitragsfreie Kindergartenjahr.
Über ein vermeintlich gemeinsames Abstimmungsverhalten mit der AfD äußert sie: „Es wird nicht zu vermeiden sein, dass man mal gemeinsam mit der AfD die Hand hebt. Man muss jedoch immer abgrenzen, warum das passiert. Weil wir aus einer linken Oppositionsperspektive die Hand heben und die aus einer rechten.“ Bisher habe noch kein Koalitionspartner offiziell mit ihnen bezüglich der Mehrheitssuche gesprochen. Ihre eigenen Ideale würden sie für eine solche nie hinten anstellen – nur für Linke und progressive Themen werde abgestimmt. Als einzige linke Kraft im Landtag sehen sie ihre Aufgabe darin, an der Seite der Minderheiten in Thüringen zu stehen und alle vom Rechtsruck Betroffenen zu schützen. Doch nicht nur mit der Zivilbevölkerung würden sie zusammenhalten, auch als Fraktion scheinen sie ein gutes Team zu sein. Linda Stark führt das zum Teil auf die Zusammensetzung der Fraktion zurück. Die Linksfraktion hat eine gute Männerquote: fünf zu sieben. Das würde man sowohl in ihrer Politik, als auch im Zusammenhalt untereinander merken. Es gebe keine patriarchalen Strukturen, kein Mackergehabe – ganz anders als in anderen Fraktionen. Sogar Partei-Ikone Bodo Ramelow nehme Stark mittlerweile als „ganz normalen Partner” wahr. Sie gehört zu Team Bodo, seit sie, noch bevor dieser von ihrer Parteizugehörigkeit wusste, im Rahmen ihres Studiums eine Ausstellung im Landtag organisierte. Bodo, wie sie ihn nennt, lief entspannt zu ihr, zeigte ihr Twitterbeiträge, witzelte und „war mega cool drauf“. Er gehe offen mit Menschen um, ganz unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit.
Aus einer rechten Hochburg
In ihrem Wahlkreis Sonneberg und Hildburghausen falle es Stark schwer, sich durchzusetzen und die Menschen zu erreichen. In Sonneberg ist sie schon seit Jahren im Kreisverband. Den Landkreis Hildburghausen hat sie erst mit dem Abgeordneten-Mandat übernommen. Am 19. November fuhr sie für ihren ersten wichtigen Termin im neu gewonnenen Landkreis, zu einer Hildburghausener Regelschule. Dort hörte sie sich die Probleme von Kindern und Jugendlichen an, um sich ein Bild über die aktuelle Situation zu machen. Zuhören zähle für sie zu ihren wichtigsten Aufgaben. Nur so könne sie herausfinden, wo es gerade brennt. Im zweiten Schritt müsse dann natürlich auch angepackt werden.
Was sie sich für Sonneberg wünscht? Mehr aktive linke Jugendarbeit. „Die ersten 16 Jahre meines Lebens habe ich politisch gar nichts wahrgenommen“, sagt sie. Ihre Oma brachte sie linker Politik näher. Mit ihr sah sie sich gemeinsam Bundestagsdebatten an und lernte einen kritischen Blick auf das System. Die Migrationsbewegung 2015 habe dann ihren Blick für soziale Ungerechtigkeiten und politische Strukturen zusätzlich geschärft und zu einer „Blitz-Politisierung” geführt. Damals gab es weder eine aktive Linksjugend, noch eine linke Organisation, in der sie sich hätte engagieren wollen. Stattdessen trat sie 2019 online in die Partei Die Linke ein. Damit erhoffte sie sich, möglichst direkt auf politische Prozesse einwirken zu können.
Linkssein bedeutet für Stark, sich für Minderheiten und Schwache einzusetzen. Sie betont: „Es ist wichtig, immer an der Seite von Menschen zu stehen und nicht an der Seite von Geld, Macht oder Kapital.“ Auf die Frage, ob sie woke sei, lacht sie. Während ihres Studiums zu Corona-Zeiten fand sie kaum Anschluss in der Studierenden-Bubble, weshalb wokeness nie ein Begriff für sie war.
Sie treibt der Wunsch an, die Ansprechperson für Kinder und Jugendliche zu sein, die sie selbst früher nicht hatte. Die Jugend sei ihre größte Priorität in den nächsten fünf Jahren. Stark möchte dabei weniger über, dafür aber besonders mit Kinder und Jugendlichen reden und ihnen damit den Glauben an die Politik zurückgeben. Konkret bedeutet das für sie, ein Auszubildendenwerk in Thüringen zu errichten und die Mitbestimmung auf kommunaler Ebene durch Jugendausschüsse mit wirklichen Veto-Rechten zu stärken. Besonders die Schulsozialarbeit und die emotionale und psychische Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen solle gefördert werden. Ideen für die konkrete Umsetzung letzteres gibt es keine. Stark sieht dies eher als Baustelle auf der Bundesebene.
Ihre eigene psychische Gesundheit schütze Stark vor allem durch ein dickes Fell und den Austausch mit Kolleg:innen. Als öffentliche Person und linke Politikerin in einem rechts geprägten Umfeld, erlebe auch Stark zahlreiche Anfeindungen. Sei es im Internet oder auf der Straße, Hass und negative Kommentare blende sie aus. Nur wenige Sachen könnten sie noch schockieren. Das sei schon immer so gewesen. „Man kriegt schon mal die ein oder andere Morddrohung nach Hause”, meint Stark gelassen, denn auch da fühlt sie sich nicht allein. Alle in der Fraktion seien mit solchen Drohungen konfrontiert, da hilft man sich gegenseitig. Starks Sorge gilt vielmehr den jungen Menschen, die gerade anfangen, sich politisch zu äußern und mit Hass und Gewalt konfrontiert sind.
Zuhause in Thüringen
Stark jongliert zwar ein Geschichts- und Politikwissenschafts Studium in Jena und ein Landtagsmandat in Erfurt, ihr Hauptwohnsitz bleibe aber Sonneberg. Sie ist fest mit ihrem Bundesland verbunden und bezeichnet sich selbst als „richtiges Thüringen-Ei“. Die Menschen in ihrem politischen und privaten Umfeld seien für ihr Heimatgefühl ausschlaggebend.
Auch das zusätzliche Gehalt als Landtagsabgeordnete ändere nichts an ihrer Bodenständigkeit. „Es ist ein schönes Gefühl, dass wir als linke Abgeordnete so viel spenden und unsere automatischen Diätenerhöhungen immer abgeben. Da denkst du dir nicht: Ich hab hier das schönste Leben in Saus und Braus.” Mit den Spenden unterstützen die Linken-Abgeordneten beispielsweise Theater- oder Heimatvereine und fördern ländliche Strukturen. Besonders der Kontakt zu den Leuten im Dorf begeistere sie. Außerdem entlaste sie mit ihrem Einkommen ihre Familie und beteiligt sich an Pflegekosten ihrer Oma. Abzugeben fällt ihr leicht, da sie sich ohnehin nie an viel Geld gewöhnt habe.
Die letzte Hoffnung
Selbstbewusst blickt sie in die Kamera ihrer FSJlerin. Während die Fraktionsmitglieder durch das Foyer auf den Eingang des Plenarsaals zulaufen, filmt diese für neuen Fraktions-Content auf Social Media. Starks Lebensmittelpunkt dreht sich jetzt um ihr Abgeordnetenmandat. Einen Wunsch an ihre Studi-Stadt hat sie aber noch: „Ich hoffe, Jena bleibt immer stabil.”
Catalin Dörmann,
Elisabeth Golde und Isabell Horst