Immer Ungünstig

Die Kulturszene Jenas steht kurz vor dem Herzstillstand.
Die Vereine fordern, dass die Stadtverwaltung mehr Geld pumpt.

Wie viel Wert der Stadt Jena die eigene Soziokultur ist, lässt sich ziemlich genau sagen: 700.000 Euro. So viel Geld teilen sich die unterschiedlich großen Vereine der freien Szene, wie das Kassablanca, das Wagner, der Psychochor oder die freie Bühne. Viel zu wenig sagen sie in einem gemeinsamen Positionspapier, dass sich an den Stadtrat und besonders an den Kulturausschuss und den neuen Kulturdezernenten Johannes Schleußner wendet. Die freie Szene brauche dringend mehr Geld von der Stadt. „Sonst gibt es in einem Jahr nur noch die Hälfte von uns”, sagt Anne Dünger von der freien Bühne Jena.

Am Limit

Man kann von einer waschechten Kulturkrise sprechen. Die prekären Zustände in der Kulturbranche sind seit Jahren nicht von der Hand zu weisen und die Gründe sind bekannt: Die Corona-Pandemie lässt die Veranstalter:innen immer noch schwer atmen. Die Hilfen sind schon lange abgelaufen und die Menschen nehmen erst langsam die gleiche Menge des Angebots wahr wie früher. Das liegt natürlich auch an der hohen Inflation. In diesen Zeiten überlegen sich dann doch die meisten Studierenden, ob sie lieber fünf mal in die Mensa gehen oder einmal ins Kassablanca. Und ob dann das zweite oder dritte Bier drinnen ist, ist eine ganz andere Frage.
Die letzten Jahre haben auch an der Struktur der freien Szene selbst genagt. In den Vereinen gibt es nur sehr wenige Arbeitsstellen, die auch nicht gut bezahlt werden. Dabei sind viele in der Kulturszene vom Techniker bis zum Veranstaltungsmanager sehr hoch qualifiziert. Häufig würden Personen sich eine Vollzeitstelle teilen und trotzdem in vollem Umfang arbeiten. Gleichzeitig würden sich Menschen tendenziell weniger ehrenamtlich engagieren, bei allem was in der Welt so los sei. „Immer weniger machen immer mehr Arbeit. Wir arbeiten am Limit nur um den Status Quo zu erhalten”, sagt Anne Dünger. Und mit jedem Menschen, den es nach Leipzig oder in einen anderen Job zieht, steigt der Verschleiß an den Orten, den Vernetzungsstrukturen und es gehen wertvolle Erfahrungen unwiederbringlich verloren.
Die freie Szene zählt jedes Jahr ungefähr 100.000 Eintritte. Die Philharmonie bis zu 40.000. Klingt unfair. Das Kulturbudgets der Stadt Jena beträgt insgesamt 22 Millionen Euro. Nicht ein Zwanzigstel davon ist für die gesamte Szene reserviert. Das meiste Geld geht an das Theater, die Philharmonie, die Büchereien und Museen. Klingt unfair. „Wir wollen nicht gegen die anderen Institutionen schießen. Wir müssen aber betonen, für wie viel Geld wer was macht.”

Intransparenz

Generell kritisieren die Vereine, dass der Vergabeprozess für das Budget der freien Szene intransparent sei. Ein Vorausschuss verhandelt die Gelder und der Kulturausschuss entscheidet. Niemand weiß, warum wer wie viel Geld bekommt. Auf Anträge bekomme man nämlich kein Feedback, nur am Ende eine Zahl. Anfang des Jahres sei von der Stadt eine Art Inventur gemacht worden. Das Ergebnis: Es gebe bei den Vereinen einen Mehrbedarf von 500.000 Euro. In den nächsten Wochen und Monaten wird das Kulturbudget für die Jahre 25 bis 28 verhandelt. Damit bietet sich eine letzte Gelegenheit die Situation der Vereine zu verbessern.
Von den 500.000 Euro ist gerade aber nicht mehr viel zu hören. Nicht mal in der Verwaltung seien die Zahlen klar. Die Werksleitung von Jenakultur antwortete dem Akrützel auf Anfrage zu diesem Gerücht bis Redaktionsschluss nicht. 200.000 Euro sind wohl zum jetzigen Zeitpunkt das höchste der Gefühle, heißt es von Seiten der Vereine.

Keine Bittsteller

n Zeiten von Inflation und Lindner stellt sich natürlich die Frage: Wer bezahlt den Mehrbedarf? Ralf, der nicht Chef vom Kassablanca genannt werden will, sagt: „Ich bin schon eine ganze Weile dabei und wir sind immer in einem ungünstigen Moment.” Immerhin habe das Positionspapier im Kulturausschuss Betroffenheit ausgelöst.
Die Vereine erhoffen sich vom neuen Posten des Kulturdezernenten, besetzt von Johannes Schleußner, eine Wende in den Verhandlungen. Am Ende müsse er sein Bestes geben. Die Vereine stellen aber klar: „Wir sind keine Bittsteller, wir machen ein Angebot.”

Götz Wagner

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