Das neue Ensemble des Theaterhauses Jena lädt mit dem Stück Rhapsody dazu ein,
sich seinen Ängsten zu stellen.
Einmal blond und sorglos sein dürfen. Ein pinkes Spacebaby sein, das lachend über grüne Wiesen rollt und gerade deswegen glücklich ist. Das wünscht sich Mira, eine der Protagonist:innen in Rhapsody. Am 24. Oktober feierte das erste Stück des neuen Ensembles Premiere.
Inspiriert vom Surrealismus, erlebt das Publikum in Rhapsody verschiedene Traumsequenzen. Die Szenen sind nicht durch eine stringente Handlung verbunden, sondern durch Assoziationen. Das Stück befasst sich zum Beispiel mit Machtstrukturen, Religionen und politischer Korrektheit. Man fühlt sich, als wäre man beim Scrollen auf Twitter (hoffentlich bald nicht mehr X genannt) eingeschlafen und in einer Abfolge aus wirren Träumen gefangen. Als läge man schweißgebadet gefangen in einem Albtraum, der sich aus politischen Buzzwords, überstimulierenden Bildern und nagenden Ängsten entfaltet.
Rhapsody soll gar nicht in erster Linie verstanden werden; das Stück will im Kopf weitergesponnen und gefühlt werden – ausgehalten. Es ist nicht das Ziel, Fragen zu beantworten oder Lösungen zu präsentieren. Stattdessen werden die Hilflosigkeit und das Unbehagen eingefangen, die einen einholen, wenn man über persönliche Krisen mit kollektiven Ursachen nachdenkt.
Das Konzept, verschiedene Themen als Traumszenen auf die Bühne zu bringen, gelingt unter anderem deswegen, weil das Bühnenbild und die Kostüme die surrealen Elemente so gekonnt umsetzen; die nach Macht hungernden Könige am Anfang des Stücks wirken durch ihre roten Gewänder, die ihre Gesichter verdecken, besonders unheilvoll. Eine Szene auf einer tropischen Insel wird umso absurder durch ein Kostüm mit Krabbenhänden und silbernen Möwen, die am Himmel schweben.
Verdrängte Konflikte
Rhapsody ist die Konsequenz daraus, dass ausgeklügelte Argumente, Manifeste und intellektuelle Wettstreite darum, wer am aufgeklärtesten ist, gesellschaftliche Krisen nicht aufhalten können. „Ich diskriminiere von allen hier am Tisch am wenigsten. Habe ja schließlich alle Bücher gelesen“, sagt eine namenlose Figur im Pelzmantel. Wenig später geben sich die Figuren auf einer tropischen Insel dem Eskapismus hin. Sie singen den Pina Colada Song und rufen: „Alles für ein bisschen Ablenkung!“ Jedoch ist das Stück keine Aufforderung, sich Problemen zu entziehen. Wie die Urlauber:innen auf der Insel wird auch das Publikum wieder von den verdrängten Konflikten überrollt.
Stücke, die sich anfühlen wie ein Fiebertraum, sind für Jenaer Theatergänger:innen nichts Neues. Dennoch hat sich mit dem neuen Ensemble die Herangehensweise geändert. Bisher gab es tendenziell einen klareren Fokus auf ein Kernthema. Das neue Team hingegen nimmt sich in seinem ersten Stück vielen Themen auf einmal an. Am Ende von Rhapsody fühlt man sich zunächst leicht überreizt und verwirrt. Nach jeder Aufführung des Stücks findet ein Nachgespräch mit dem Publikum statt. Die Zuschauer:innen können dabei Feedback geben und Fragen stellen. Ein wertvoller Ansatz, um Gedanken zu ordnen und aufgewühlte Gefühle zu verarbeiten.
Man kann Rhapsody als unbefriedigend beschreiben. Als anstrengend. Dann sollte man sich allerdings fragen, was man sich von Theater wünscht und welche Rolle man als Zuschauer:in einnimmt, wenn man vor der Bühne Platz nimmt. Rhapsody fordert. Es fordert ein, dass das Publikum aktiv wird, sich einbringt und das Stück zu eigen macht.
Nora Haselmayer