Warum wir einen FDP- Bürgermeister haben

Jena ist eine linke Stadt. Grüne und Linke kommen hier gemeinsam auf 40 Prozent. Wieso haben wir dann einen FDP-Bürgermeister?

von Johannes Vogt

Die FDP ist im Moment nicht so beliebt. In aktuellen Umfragen würde sie in Thüringen an der Fünfprozenthürde scheitern und nicht mal mehr in den Landtag einziehen. In Jena sieht das noch anders aus. Hier haben wir sogar einen beliebten FDP-Bürgermeister und das obwohl man die Stadt, ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, als links-grün-versifft bezeichnen könnte: Die AfD liegt hier nur bei zehn Prozent, SPD, CDU und FDP haben jeweils knapp 13 und Linke und Grüne jeweils 20 Prozent. Also wie kam es zu dem Neoliberalen an der Spitze?
Fragt man ihn selbst, wehrt er sich von Anfang an gegen diese Zuschreibung. Nitzsche sieht sich vor allem Bürgermeister für alle und betont, dass er weder Programmatiker ist noch antritt, um in Jena Parteipolitik zu machen. Er sieht sich eher als Verwalter denn als Politiker. In die FDP sei er damals auch eher zufällig gekommen, behauptet er. Er habe sich mit den Leuten gut verstanden und ist dann eben so reingerutscht.
So ganz stimmt das natürlich nicht. Nitzsche hat in Jena in den letzten Jahren eher neoliberale Politik gemacht: Schuldenbremse auf kommunaler Ebene, die Verteidigung des Autos gegen Fahrräder, Stärkung der Wirtschaft, Verdrängung von soziokulturellen Einrichtungen, aber als politischen Hardliner kann man ihn nicht bezeichnen.

Der Antischröter

Ein Bürgermeister aus der FDP ist in Jena kein Novum. Nach der Wende ‘89 stellte die CDU in Jena die größte Fraktion. Um einen Bürgermeister der Christdemokraten zu verhindern, schlossen sich die anderen Fraktionen zusammen und wählten gemeinsam einen Kandidaten der FDP. Peter Röhlinger kam so ins Amt und blieb dort bis 2006. Altersbedingt wurde er danach für zwölf Jahre von dem SPDler Albrecht Schröter abgelöst, der sich, so beschreiben es heute viele Kommunalpolitiker:innen, unbeliebt gemacht habe.
Dabei ging es um die Eichplatzbebauung, die Schröter angestoßen, aber nicht zu Ende brachte. Diejenigen, die eine Neubebauung haben wollten, waren unzufrieden, weil sie nicht kam und die, die keine haben wollten, waren es auch, weil er sie angestoßen hatte.
Außerdem hatte die Kommunalpolitik damals den Ruf, prinzipiell gegen das Auto zu sein. Nitzsche hat das erkannt und konnte sich als Autoverteidiger profilieren. Heute sagt er, es gebe keine autofeindliche Politik mehr, CDU und AfD machen heute trotzdem den Nitzsche und wollen das Auto gegen den links-grünen Mainstream verteidigen.
Zuletzt ist Schröter immer wieder durch israelkritische Reden aufgefallen, die nicht nur in der Stadt, sondern bundesweit für Kritik sorgten. Das war nicht der Hauptgrund für seine Abwahl, hat aber seinem Ansehen in der Stadt nicht gut getan.
Die OB-Wahl 2018 war dementsprechend vor allem eine Abwahl Schröters, die Nitzsche am besten für sich nutzen konnte. Er erreichte in der ersten Runde knapp 27 Prozent. Sechs Jahre zuvor landete er noch auf dem letzten Platz hinter allen anderen Bewerbern mit 2,4 Prozent. In der Stichwahl konnte er den Amtsinhaber nicht nur überholen, sondern sogar ziemlich eindeutig abhängen. Mit 63,3 Prozent wurde er zum Oberbürgermeister gewählt.

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