Ende Mai wählt Jena Stadtrat und Oberbürgermeister gleichzeitig. Die gesamte Stadtführung wird einmal ausgetauscht. Ein Ereignis, das so nur alle 30 Jahre vorkommt.
von Johannes Vogt und Götz Wagner
Kommunalpolitik bewegt sich zwischen Entscheidungen, die näher an den Menschen dran sind und Entscheidungen, die nicht hier getroffen werden. Oft werden die Weichen von Bund und Land vorgegeben. Ohne deren Zustimmung passiert auch auf kleinerer Ebene nichts. Wenn das Land kein Geld für Straßen oder Wohnungen hergibt, werden keine gebaut.
Politik funktioniert hier deshalb ein bisschen anders. Ideologische Grabenkämpfe werden beiseite gelegt, Konturen verwischen, Politik wird weich gewaschen, aber auch friedlicher. Umso schwerer ist es überhaupt, die Positionen der einzelnen Fraktionen herauszufinden. Alle wollen billigen Wohnraum, einen besser ausgebauten ÖPNV, ohne das Auto zu stark zu verdrängen, bessere Bildung und Kinderbetreuung.
Eine Gruppe Student:innen hat es trotzdem mal probiert und innerhalb einer Lehrforschung den Wahl-O-Mat für die Kommunalwahl erstellt. In 35 Fragen soll man herausfinden können, welche Partei die eigenen Vorstellungen am besten umsetzt. Natürlich seien sich viele der Parteien in den Endzielen einig, sagt Anne Küppers. Sie hat das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin geleitet. In konkreten Entscheidungen finde man aber schon Unterschiede. Zum Beispiel will die AfD als einzige Partei das Theaterhaus nicht weiter finanzieren und nur die Grünen stellen sich gegen den Ausbau der Osttangente.
Seit fünf Jahren gibt es in Jena keine klare Mehrheit. Keine der Fraktionen hat sich in einer Koalition zusammengeschlossen. Für jeden Antrag müssen sich die Fraktionen deshalb neue Mehrheiten finden. Wenn der Oberbürgermeister in einer Koalition wäre, könnte er durchregieren. Die Anträge kommen dann aus der Stadtverwaltung, in der die gesamte Expertise der Kommunalpolitik versammelt ist: wie man Verkehrspläne erstellt, einen Haushalt aufsetzt, Raumnutzungskonzepte erstellt oder Statistiken über die Entwicklungen der Stadt anfertigt. Sie alle sind dem Oberbürgermeister als Chef der kommunalen Verwaltung unterstellt. In Wahlperioden mit einer Koalition kommen deshalb die meisten Anträge von oben und werden im Stadtrat durchgewunken. In den letzten fünf Jahren war das in Jena anders. Viele Anträge kamen von den Fraktionen. Dadurch werden über Parteigrenzen hinweg Anträge diskutiert und ausgearbeitet, aber es dauert auch alles länger. Es fördert den Austausch, verlangsamt aber die Entscheidungen.
Hier ist die Welt noch in Ordnung
Im Vergleich zur Thüringer Landespolitik ist in Jena die Welt noch in Ordnung. Die AfD liegt bei zehn Prozent, CDU, SPD und FDP kommen jeweils auf knapp 13 und Grüne und Linke haben beide über 20 Prozent. Das könnte sich nach der nächsten Wahl verändern. Schon bei der letzten Wahl entwickelte sich die Kommunalwahl entlang bundespolitischer Trends. FDP, SPD und Grüne bekamen Aufwind von der Beliebtheit ihrer Bundeskolleg:innen. Die Ampel-Parteien sind heute aber unbeliebter denn je. Stattdessen erlebt die AfD in den letzten Monaten einen Höhenflug. Ob sich das am Ende auch im Jenaer Stadtrat abbildet, ist schwer zu sagen. Anders als bei Landtags- oder Bundestagswahlen gibt es hier keine Wahlumfragen – unwahrscheinlich ist es aber nicht.
Die demokratischen Fraktionen sind nicht besonders besorgt über diese Gefahr. In der Kommunalpolitik könne man gut über Parteigrenzen hinweg miteinander arbeiten und Mehrheiten organisieren. Außerdem sei die AfD in Jena isoliert.
Wer mit der Jenaer AfD reden will, muss sich nicht nur ideologisch auf eine lange Reise nach rechts begeben, sondern auch räumlich die Stadt verlassen. Erst in Kahla findet man das Wahlkreisbüro der Partei. Auf dem Weg dorthin sieht man Jugendliche mit New-Balance-Schuhen und Fraktur auf dem T-Shirt: Ehre, Freiheit, Vaterland steht darauf. Man bekommt das Gefühl, nicht nach Kahla, sondern in die Baseballschlägerjahre gereist zu sein.
Der Eindruck verfliegt schnell wieder, denn im AfD-Büro steht Denny Jankowski vor einem Stativ und nimmt gerade ein Tiktok auf. Er ist der Oberbürgermeisterkandidat der AfD und eigentlich kein großer Fan von Social Media. Für den Wahlkampf mache er dann aber schon mal sowas.
Wenn er redet, vergisst man schnell, dass er Teil einer Landespartei ist, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird. Er ist Mitglied des Thüringer Landtags und arbeitet täglich mit Björn Höcke zusammen. Der Rechtsextremismus in seiner Partei stört ihn nicht. Er könne ja nicht beeinflussen, wer sich privat mit wem trifft. Jankowski gibt sich gerne als letzter Verteidiger des Normalen in der Stadt. Der Stadtrat sei eine Spielwiese für links-grüne Utopien. Er will diese Symbolpolitik der Stadt beenden. Debatten über die Unterstützung eines Schiffs, das Geflüchtete aus dem Mittelmeer rettet, oder den Klimaaktionsplan bringen nichts. Er will zurück zu den wichtigen Themen: Verkehr, Wohnen, Sicherheit.
Im Stadtrat hat die AfD in der letzten Wahlperiode trotzdem fast nichts gemacht. Bei erwartbaren Themen hält die Fraktion Reden. In den letzten zwölf Monaten kam kein einziger Antrag von der AfD. Sie inszeniert sich zwar als kämpferische Opposition, macht aber eigentlich nichts als stören.
Nie wieder Nitzsche
In Jena gibt es noch ein zweites Schreckgespenst: Thomas Nitzsche, die Inkarnation des Neoliberalismus in Gestalt eines Otto-Normalverbrauchers, so wird er zumindest von vielen wahrgenommen. Wenn man Nitzsche mal persönlich trifft, kann man ihn fast nicht nicht mögen. Dafür muss man nur ins Haus der Stadtverwaltung am Anger gehen. Nitzsche öffnet dann in Socken die Tür und begrüßt einen nett. Er ist gut darin, sympathisch zu wirken. Die fehlenden Schuhe machen es aber schwer, ihn auch seriös zu finden.
Wenn er an seinem Schreibtisch sitzt und die angefallenen Papierstapel bearbeitet, wirkt er eher wie ein kleiner Junge, der im Büro seiner Mutter Erwachsensein spielt. Er sei kein Programmatiker und wolle als Oberbürgermeister keine FDP-Politik machen, sagt Nitzsche. Das Programm seiner Partei ist trotzdem neoliberal: Schuldenbremse auf kommunaler Ebene, Stärkung der Wirtschaft, keine Steuererhöhung und das Auto darf nicht zu kurz kommen.
Nitzsche hat sich 2018 überraschend gegen den Kandidaten der SPD durchgesetzt. Das hat er vor allem seiner Beliebtheit in den Randgebieten zu verdanken. In den letzten Jahren hat er dort an Rückhalt verloren. In einem Ortsteil ganz besonders: Jena Nord. Damit bei einem Ausbau der Straßenbahn nicht der ganze Verkehr durch das Wohngebiet fließt, soll erst die B88 ausgebaut werden. Dafür fehlt aber das Geld vom Land und außerdem muss die Straße der Saale genug Platz lassen, wegen Hochwasserschutz. Nitzsches Versprechen, den ÖPNV in Nord zu stärken, liegt deshalb seit seiner Wahl auf Eis. Die Nordjenaer sind dementsprechend sauer.
Aus dieser Unzufriedenheit hat sich ein Gegenkandidat zu Nitzsche aufstellen lassen. Ulf Weißleder ist in keiner Partwei und setzt sich seit Jahren für den Ausbau des ÖPNV in Jena Nord ein. Jetzt will er auch Oberbürgermeister werden. Seine Ideen klingen wie von einem Grünen, der nicht viel mit Kulturkampf anfangen kann: besser ausgebauter ÖPNV, mehr Grünanlagen, billiges Wohnen. Aber Weißleder sieht sich selbst vor allem als jemand, der anpackt. Für einige Themen hat er noch keinen klaren Plan, das sagt er selbst. Aber er ist davon überzeugt, dass man viel erreichen kann, wenn man dran bleibt und nervt. So hat er den Bus in Jena Nord erhalten und so will er auch die Stadt in Zukunft leiten. Er könne sich nicht vorstellen, in eine Partei einzutreten, sagt er.
Verwaltung statt Politik
Die Kommunalpolitiker:innen in Jena wollen alles haben: mehr Fahrradwege; noch mehr ÖPNV, sozialer Wohnraum sowieso, aber nicht weniger Straße und vor allem nicht noch weniger Parkplätze. Aber eigentlich müsste klar sein: Man muss sich entscheiden, was man will. Auto und Fahrrad, Parkplätze und günstiger Wohnraum können schwer gleichberechtigt nebeneinander existieren. Das gilt vor allem für eine Stadt wie Jena, die im Tal eingeengt ist. Der chronische Platzmangel verschärft einen Interessenkonflikt: Gehört die Stadt den kaufkräftigen Menschen aus der Vorstadt, die Geld in die Kassen der Stadt bringen oder den Menschen, die dort leben, wo die Ersteren parken. Die Kommunalpolitiker:innen gehen dieser politischen Frage oft aus dem Weg. Jankowski interessiert sich nicht für Rechtsextreme, Nitzsche will kein neoliberaler sein und Weißleder hat kein Programm außer Machen. Ihnen reicht es aus, Anpassungen am System vorzunehmen; also eine Straßenbahn hier, eine Straße da, eine Wohnung dort. Das ist aber nur eins: Verwaltung und keine Politik.
Wie kann man der rechtsextremen AfD und Jankowski nur so eine Bühne bieten?! Und Jankowski dann noch eine Stunde unkritisch (!) reden lassen https://www.akruetzel.de/ob-interviews/
Gabs wenigstens Diskussionen in der Redaktion, obs demokratisch ist, Antidemokraten so prominent zu feauturen?
Mehr Normalisierung geht nicht. Danke für nichts.