Protest gegen Rechts heißt auch Solidarität mit Ausländer:innen. Was sagen sie selbst? Wir haben fünf internationale Studierende nach ihrer Perspektive auf die Demonstrationen gefragt.
Zehntausend Menschen gingen kürzlich gegen die AfD in Jena auf die Straße und Bündnisse wie Weltoffenes Thüringen zeigen sich in der Öffentlichkeit solidarisch – alles zur Sicherung des internationalen und toleranten Klimas. Aber ist das Engagement gegen rechts genug, um Integration und Weltoffenheit zu erreichen, oder gibt es mehr zu tun? Fünf Meinungen von internationalen Studierenden.
Dia, Nolan, Mateo, Tuna und Anh haben unterschiedliche Erfahrungen in der Stadt gesammelt, aber in einem Punkt sind sie sich alle einig: Die Zurückhaltung deutscher Kolleg:innen und Kommiliton:innen ihnen gegenüber ist die größte Barriere für ihre Integration. Sie wollen, dass echtes Interesse an ihnen gezeigt wird und tiefere Freundschaften zwischen Deutschen und Internationalen entstehen.
Nolan aus den USA
Nolan kommt ursprünglich aus den USA, ist aber auf verschiedenen Stützpunkten des US-Millitärs in Deutschland aufgewachsen. Er lebt seit zwei Jahren in Jena und studiert Molekularbiologie.
Die Entscheidung, nach Deutschland zu ziehen, fiel ihm leicht, weil er hier größtenteils aufgewachsen ist und die Bildungskosten niedrig sind. Dennoch war Jena nicht seine erste Wahl. Mittlerweile ist ihm die Stadt aber ans Herz gewachsen und er will nach dem Studium hierbleiben. Da er so häufig umgezogen ist, war es immer schwierig für ihn, Freundschaften zu erhalten, und er macht sich darüber lustig, wie schwierig es ist, mit Deutschen Freundschaften zu knüpfen. In Jena hat er aber seine Clique ,,in der internationalen Szene“ gefunden. ,,Ich fühle mich hier wohler als in den USA.“ Im Vergleich zu seiner Erfahrung in den USA kann er hier seine Meinung frei äußern, ohne Angst davor zu haben, nicht akzeptiert zu werden. Dennoch ist für Nolan nicht klar, ob der Rechtsruck ein kurzfristiges oder langfristiges Problem ist.
Es macht ihn wahnsinnig, wie viele Länder schon populistische Politiker:innen wählen. Er vergleicht den Rechtsruck mit der Situation in seiner Heimat mit Donald Trump. In Bezug auf die Demos am Freitag letzte Woche stellt er ihre Wirksamkeit in Frage. Er hat kleine Sorgen um die Zukunft, aber die sind für ihn eher abstrakt und nicht greifbar.
Dia aus Jordanien
Dia kommt aus Jordanien. Er lebt seit fast fünf Jahren in Jena und studiert Wirtschaft und Spanisch. Er lernte Deutsch in der Schule und besuchte vor seinem Studium einen Sprachkurs in Jena und bemerkte, dass er sich hier sehr wohl fühlt. Jena hat für ihn auch den Vorteil, dass die Lebenskosten hier im Vergleich zu anderen Städten in Deutschland relativ niedrig sind. Vor seinem Umzug hat Dia davon gehört, dass dieser Teil Deutschlands ausländerfeindlich sei. Zum Glück hat er bisher, trotz seiner arabischen Herkunft, niemals rassistische Diskriminierung in Jena erlebt.
Dia gibt jedoch zu, dass es besonders schwer ist, sich mit Deutschen anzufreunden. In Bezug auf den Rechtsruck betont er, dass solche Pläne in der Regel nicht umsetzbar sind und die AfD sowieso keine absolute Mehrheit hat. Solange die Bundesverfassung besteht, fühlt er sich nicht bedroht. In der Regel engagiert er sich nicht in der Politik, nicht aus Desinteresse, sondern weil er in dem Rechtsruck keine große Gefahr sieht.
,,Die Leute sollten dem keine Aufmerksamkeit schenken“, behauptet er. Im Großen und Ganzen hat Dia keine Sorgen über seine Zukunft in Deutschland. Er ist zufrieden mit seinen Kolleg:innen in Jena und hält seine ökonomischen Chancen in Deutschland für gut. Obwohl er eines Tages in eine größere Stadt umziehen will, ist Jena jetzt ein Zuhause für ihn: ,,,Ich vermisse Jena, wenn ich weg bin“, sagt er.
Mateo* aus Chile
Mateo kommt aus Chile und hat Deutsch in der Schule gelernt. Vor seinem Umzug ist er mehrmals zu Besuch in Deutschland gewesen. Seit über zwei Jahren ist er jetzt in Jena und studiert BWL. Niedrige Bildungskosten und Jenas ausgezeichneter Ruf haben Mateo nach Jena gezogen. ,,Ich gehöre zu Jena … aber im Sinne davon, dass ich zu meinen Freundschaften hier gehöre.“ Die Menschen in Deutschland behandeln ihn respektvoll, obwohl er wahrnimmt, dass sie wenig Interesse an ihm haben, und er sich deswegen nicht ganz von ihnen akzeptiert fühlt. Er empfindet den Rechtsruck als ,,lächerlich“ und engagiert sich momentan nicht politisch, weil er noch neu in Deutschland ist. Sorgen über seine Zukunft in Deutschland hat Mateo nicht.
Anh* aus Vietnam
Anh kommt aus Vietnam und lebt bereits seit sechs Jahren in Jena. Da sie Deutsch schon in der Schule gelernt hat und die Bildungskosten hier relativ niedrig sind, war Deutschland eine offensichtliche Wahl für sie. ,,Jena ist eigentlich schon mein Zuhause, also habe ich das Gefühl, dass ich hierher gehöre.“
Anh besuchte vor ihrem Studium einen guten Freund aus Jena schon und die Stadt gefiel ihr besonders, auch weil sie für ihren Studiengang Deutsch als Fremdsprache bekannt ist. Einmal während der Corona-Zeit wurde sie von Fremden für eine Chinesin gehalten. Sie versuchten, ihr ins Gesicht zu husten, und machten sich über Chinesen lustig, und sie hat danach hinterfragt, ob sie in Deutschland wirklich akzeptiert wird. Solche Ereignisse gehören jedoch nicht zu ihrem Alltag. An der Uni und an der Arbeit fühlt sie sich akzeptiert, aber die Deutschen sind aus ihrer Sicht zurückhaltend und wollen meistens nur untereinander reden.
Daher fällt es ihr schwer, tiefe Freundschaften mit Deutschen zu knüpfen. Anh engagiert sich nicht politisch. Sie findet es schön, dass Deutschland viele Flüchtlinge aufgenommen hat, und stimmt der radikalen Politik der AfD nicht zu. Massenmigration hat aber ihrer Ansicht nach zu verschiedenen Herausforderungen geführt, die besprochen werden müssen.
Tuna aus der Türkei
Tuna stammt aus Istanbul in der Türkei. Er lebt schon seit über vier Jahren in Deutschland und studiert Politikwissenschaft und Soziologie. Die hohe Bildungsqualität und niedrige Kosten sowie die historischen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei waren allesamt Anziehungsfaktoren für ihn. Über Jena sagt Tuna: ,,Die Stadt ist wunderschön und die Menschen sind sehr nett. Das habe ich nicht erwartet.“ Er will nicht langfristig in Jena blieben. Er fühlt sich aber stark mit der Stadt verbunden: ,,Jena ist mir ans Herz gewachsen, und eines Tages werde ich die Stadt vermissen.“ Er bemerkt, dass Deutsche eher schüchtern sind und die meisten seiner Freunde andere internationale Studierende sind. An der Uni wird er akzeptiert, aber er hat ,,keine Ahnung“, ob das auch gesamtgesellschaftlich gilt.
Er sieht in dem Rechtsruck eine große Gefahr für Deutschland und wäre letzten Freitag auch bei der Demonstration gewesen, wenn er an der Uni nicht so viel Arbeit gehabt hätte. Trotzdem hat Tuna wenig Angst vor seiner Zukunft in Deutschland, weil immer mehr qualifizierte Menschen angesichts des demografischen Wandels gebraucht werden und die AfD sich mit ihrer Radikalisierung ,,ihr eigenes Grab geschaufelt“ hat.
*Namen von der Redaktion geändert