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Warum der Jenaer Wohnungsmarkt so scheiße ist

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Wohnraum in Jena ist rar und umkämpft. Besonders in den ersten Wochen des Wintersemesters ziehen viele in die Stadt. Für Erstis heißt das: ewig lange Wohnungssuche und prekäre Bedingungen.
von Johannes Vogt

Jena hat zu wenig Platz. Die Berge an seinen Grenzen verhindern, dass es wächst, Wohnflächen sind deshalb rar und der Druck auf den Wohnungsmarkt steigt jährlich, wenn über 1.000 Erstis gleichzeitig in die Altbauwohnung im Damenviertel ziehen wollen. Das ist einfach zu viel für die kleine Stadt. Da sind sich die meisten in Jena einig – von Stadtratsmitgliedern bis hin zu Erstis. Einigkeit ist erst einmal gut. Sie ist notwendig, um zu verändern. Sie reicht aber nicht aus. Am Ende muss auch etwas passieren. In Jena bleibt das bisher noch auf der Strecke.Doch beginnen wir von vorn: Wenn man Erstis sucht, die im Wintersemester eine Wohnung gewollt, aber keine gefunden haben, braucht man sich nicht sonderlich anzustrengen. Pascal ist einer von ihnen. Eigentlich hätte er gerne Philosophie studiert, aber seine Eltern wollten, dass er etwas Vernünftiges macht. Deshalb ist es am Ende Pharmazie geworden. Er wohnt in Gotha, nicht weil er das so wollte, sondern weil er in Jena nichts gefunden hat, erzählt er. „Ich habe über 80 Wohnungen angeschrieben. Bei 36 hatte ich eine Besichtigung. In den ersten drei Wochen des Semesters musste ich aber trotzdem pendeln. Ich habe einfach keine Zusage bekommen.“Wenn er morgens zur Universität fährt, muss er um fünf Uhr aufstehen. Er fährt dann mit seinem Auto los und holt drei weitere Student:innen ab. Das passiere nicht jeden Tag, aber ab und zu fahren sie zu viert. Gemeinsam pendeln sie dann anderthalb Stunden nach Jena. Wenn sie den Campus erreichen, ist es fast acht Uhr und die erste Vorlesung beginnt.

Hohe Mieten und volle Wohnheime

Ganz schön voll hier.
Foto: Pauline Schiller

Pascal ist kein Einzelfall. So wie ihm geht es vielen Erstis, die ihr Studium in Jena anfangen. Es gibt zwar keine Zahlen dazu, wie viele von ihnen keine Wohnung finden, pendeln oder sich von Couch zu Couch arbeiten müssen, aber es gibt Zahlen, die zumindest einen Eindruck der Lage vermitteln:
Die Jenaer Wohnheime des Studierendenwerks haben rund 3.100 Plätze, dieses Semester sind davon über 800 frei geworden. Bewerbungen bekam das Studierendenwerk allerdings viermal so viele. Das sind rund 3.200 mehr, als die Wohnheime in Jena Platz hätten, wenn sie nicht auch den älteren Student:innen eine Unterkunft bieten müssten.


Schaut man sich an, wie viele Menschen jeden Oktober nach Jena ziehen, bekommt man eine grobe Vorstellung vom Druck, der in dieser Zeit auf dem städtischen Wohnungsmarkt liegt. Jeden Oktober kommen rund 1.500 Menschen. Das mag für andere, größere Städte überschaubar sein, vergleicht man die Zahl allerdings mit der Anzahl der Menschen, die in Jena wohnen, verändert sich der Eindruck. Pro Kopf ziehen in dieser Zeit mehr Menschen nach Jena als nach Berlin oder München – Städte, die unter einem enormen Zuzug und explodierenden Mieten leiden. Außerdem ist eine weitere Zahl wichtig, um den Jenaer Wohnungsmarkt zu verstehen. Die durchschnittlichen Mieten. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, sie zu berechnen. Eine davon ist der Mietspiegel. Dabei befragt die Stadt Teile der Bevölkerung, wie viel sie im Monat für ihre Wohnung bezahlen. In Jena sind das 8,45 Euro pro Quadratmeter Kaltmiete (Stand 2021). Das Problem an dieser Zahl: lang existierende Mietverträge. Sie sind oft sehr viel niedriger als die Preise, für die man heute eine Wohnung mieten kann, und lassen den Preis niedriger erscheinen.
Deshalb sammeln verschiedene Immobilienplattformen die Preise auf ihrer Seite. Je nachdem, welche Plattform man befragt, hat Jena hier einen durchschnittlichen Mietpreis von fast 10 Euro pro Quadratmeter. Aber auch diese Zahl hat ein Problem: Große Anbieter laufen nicht über diese Plattformen, werden also nicht mitberücksichtigt und haben oft niedrigere Preise. Das gilt zum Beispiel für die Wohnungsgenossenschaften in Jena oder das Studierendenwerk. Der reale Mietspiegel bewegt sich also irgendwo zwischen diesen Zahlen. Sicher ist: Wer nicht lange in Jena wohnt und bei großen Anbietern keine Wohnung bekommt, bezahlt am meisten: das sind vor allem Student:innen, die nicht im Studierendenwohnheim unterkommen.

Zimmersuche statt Rosenkeller

Die Suche nach einer Unterkunft ist für Pascal deswegen fast ein Vollzeitjob geworden. Während seiner Erstitage hatte er fast jeden Tag eine Besichtigung. Zwischendrin musste er mit den anderen Wohnungen Kontakt halten und zu seinen Veranstaltungen gehen. Viel Zeit für ein Bier in der Kneipe oder einen Kaffee im Rossi habe er deswegen nicht gehabt – Dinge, die eigentlich das Leben in einer Unistadt erst ausmachen.

Pascal hat ewig gesucht.
Foto: Johannes Vogt


Was Pascal erzählt, deckt sich auch mit Erzählungen von anderen. Die Wohnungssuche fühle sich an, als sei man den ganzen Tag damit beschäftigt, in einen leeren Raum hineinzureden, erzählt zum Beispiel Lukas, der seinen echten Namen nicht in der Zeitung lesen will. Von 26 Anfragen habe er nur drei Rückmeldungen bekommen. Neben der schwierigen Wohnungssuche decken sich die Erzählungen aber auch noch in einem anderen Punkt: Beide haben mittlerweile eine Unterkunft gefunden.
Die meisten, die in Jena Einfluss auf den Wohnungsmarkt nehmen können, sehen zwar das Problem, betonen aber, dass sie gegen den Druck kaum etwas tun können: Die Stadt verweist auf das Land, die Uni auf das Studierendenwerk und die Mitglieder des Stadtrats beklagen die kleinen Handlungsmöglichkeiten der Stadtpolitik. Vieles sei Landes- und Bundessache. Außerdem seien die Flächen in Jena schließlich begrenzt. Da könne man nichts machen. Ideen gibt es trotzdem: Einige fordern, dass leerstehende Gebäude der Uni frei gemacht werden sollen. Andere wollen, dass vorhandener Wohnraum besser verteilt wird, anstatt neuen zu bauen. Wieder andere betonen, dass Bauen prinzipiell gut ist, solange es Druck vom Wohnungsmarkt nimmt. Die einzigen konkreten Pläne findet man allerdings im Flächennutzungsplan der Stadt. Hier sammelt sie alle Bauvorhaben, die in Zukunft umgesetzt werden. Die meisten davon befinden sich außerhalb der Stadt, wo Einfamilienhäuser entstehen sollen. In naher Zukunft ist dort aber kaum bezahlbare Wohnraum für Student:innen geplant. Die Stadt Jena sieht sich sowieso nicht in der Verantwortung, diesen Wohnraum zu schaffen, für Studierende seien laut Pressestelle der Stadt das Land und das Studierendenwerk verantwortlich.

Oder gibt es gar kein Problem?

Fragt man dort nach, bekommt man ein ganz anderes Bild. Während die Stadt für das Problem keine Lösung findet, sehen Freistaat und Studierendenwerk gar keins. Sebastian Hollnack ist beim Thüringer Studierendenwerk der Referent des Geschäftsführers. Er kenne sich zwar mit dem Jenaer Wohnungsmarkt nicht aus, aber mit dem Studierendenwerk, und das sei eines der besten in Deutschland. Er habe nicht den Eindruck, dass irgendjemand keine Wohnung findet. Natürlich müssten einige pendeln, aber mit dem Semesterticket sei das ein zumutbares Übel. „Es braucht immer einige Zeit zu Beginn des Semesters, bis sich alles einrüttelt. Am Ende kommen aber alle unter.“ 17 Prozent der Student:innen in Jena haben eine Wohnung beim Thüringer Studierendenwerk. Das ist die höchste Unterbringungsquote aller deutschen Studierendenwerke. Hollnack sieht deshalb keinen dringenden Bedarf, weitere Wohnheime zu bauen. Das letzte wurde 2019 fertiggestellt. Das nächste sei noch nicht konkret geplant, soll aber auf dem Bachstraßenareal entstehen, wenn die Uni dort den Platz dafür frei macht. Bisher sei das Studierendenwerk vor allem damit beschäftigt, die bestehenden Wohnheime zu sanieren, so Hollnack.Die Bundesregierung hat in diesem Jahr ein Förderprogramm für den Bau von Wohnheimen ins Leben gerufen: 500 Millionen Euro pro Jahr will sie dafür zur Verfügung stellen, das sind 7,6 Millionen Euro für Thüringen. In Jena soll das Geld laut Pressestelle des Landes für die Sanierung verschiedener Wohnheime genutzt werden. Neuer Wohnraum entsteht dabei kaum.Jena hat überdurchschnittlich hohe Mieten, einmal im Jahr einen enormen Zuzug, es entstehen aber kaum neue Wohnungen.Die Verantwortlichen in der Stadt sind sich zwar darüber einig, dass es ein Problem gibt, sehen sich aber nicht in der Verantwortung es zu lösen. Im Land sieht man hingegen gar kein Problem. Der Schritt von der Einigkeit zum Handeln wurde bisher noch nicht gegangen. In Zukunft muss sich die Jenaer Studierendenschaft also vermutlich daran gewöhnen, aus dem Umland zu pendeln.

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