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Nazis den Prozess machen

Eisenacher Neonazis stehen in Jena vor Gericht. Über rechte Gewalt im Kiez und im Gerichtssaal.

von Gustav Suliak

Während Deutschland nach rechts blinkt und Thüringen nicht nur mitmacht, sondern augenscheinlich ganz vorne mit dabei sein möchte, wird vor Gericht die Gefahr rechter Gewalt einmal mehr für alle sichtbar. Die rechtsextreme Kampfsportgruppe Knockout 51 (KO51) arbeitete seit Jahren auf die Schaffung eines ‚Nazikiezes‘ in Eisenach hin. Seit Ende August müssen sich vier mutmaßliche Mitglieder der Neonazi-Gruppe vor Gericht verantworten.

Von Sticker zu Kinnhaken
zu Schusswaffen

Wer daran glaubt, die Alltäglichkeit von rechtsextremer Gewalt hätte man hierzulande in den 90ern, den „Baseballschlägerjahren“, gelassen, den wird der Prozess mindestens stutzig machen müssen. Die Anklageschrift der Generalbundesanwaltschaft umfasst vierzehn Gewaltdelikte, die sich vor allem gegen Linke, Polizeibeamt:innen, aber auch gegen von ihnen als „Assis“ abgestempelte richteten. Vermummt, mit übergestreiften Quarzhandschuhen hat KO51 die Gewalt zum höchsten Gesetz erhoben und so der Stadt ein Klima der Angst aufzudrücken versucht.
Wenn einem die „Wie konnte es so weit kommen?“-Fragen zu Kopfe steigen, dann darf man erst einmal festhalten, dass es so kommt, und das schon seit Langem. Die Kontinuitäten der Eisenacher Neonazi-Strukturen lassen sich an dem Werdegang einer Person nachvollziehen: Patrick Wieschke. In den späten 90ern und frühen 2000ern selbst als junger Kader für die Jungen Nationaldemokraten (der Jugendorganisation der NPD) aktiv und gewaltbereit, landete er schließlich wegen der Anstiftung zur Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion in einem Eisenacher Döner-Imbiss für fast drei Jahre im Gefängnis. Statt Nazischläger-Image folgte eine rechtsextreme Resozialisierung und der gebürtige Eisenacher machte in der NPD (heute Die Heimat) Karriere, saß im Bundesvorstand, wurde Landesvorsitzender und legte seine Posten erst nieder, als ein sexueller Missbrauch aus seiner Vergangenheit offenbart wurde. Wieschke verließ auch danach nicht die politische Bühne, stieg in die Eisenacher Lokalpolitik ein und organisierte der rechten Szene mit dem so genannten Flieder Volkshaus nicht nur einen Kieztreff, sondern auch eine Fassade mitten im Stadtbild und holte schließlich 10,2 Prozent bei den Stadtratswahlen 2019.

Linke Aktivist:innen begleiten den Prozess gegen KO51.
Foto: Pauline Schiller


Die Immobilie fungierte wahlweise als Kleinstadtdisco oder aber als Kampfsportschule für KO51 und versinnbildlicht damit den strategischen Spagat, den die Eisenacher Rechte hingelegt hat.
2013 das erste Mal auf NPD-Demos gesichtet, haben sich die vier Angeklagten Leon R., Maximilian A., Bastian A. und Eric K. in eben jenen Strukturen hinein radikalisiert. Mit der Zeit wandelte sich mehrfach sowohl der Name der Gruppierung als auch ihre Aktionsformen: „Als ‚Nationaler Aufbau Eisenach‘ beteiligten sie sich an Straßenkämpfen der sogenannten ‚Antikapitalistischen Kollektive‘ und die Straftatenliste ging schrittweise von Sachbeschädigungen in Form von Graffitis und Schmierereien zu Körperverletzungen über“, so Felix Steiner von der Mobilen Beratung in Thüringen (MOBIT). Im Jahr 2019 erfolgte dann mit der Hinwendung zum Kampfsport die Gründung von KO51 und damit der nächste Schritt der Radikalisierung. Spätestens seit April 2021 soll die Gruppe das Töten Linker ins Visier genommen haben, so die Anklage der Generalbundesanwaltschaft.

Rücken an Rücken vor dem Gerichtssaal

Überregionale Kampfsportaktivitäten und der Bekanntheitsgrad von Szenegröße und mutmaßlichem Rädelsführer Leon R. sorgten schließlich auch für eine Vernetzung der Gruppe über Eisenach hinaus. Schon jetzt gilt es als sicher, dass KO51 Unterstützer:innen in der Polizei vor Ort und ebenso Kontakte in die Bundeswehr hatte. Eine altbekannte Problematik, die der Gefährlichkeit von rechter Gewalt eine unbekannte Dimension verleiht. Ob Schießtraining in Tschechien oder der versuchte Bau einer Schusswaffe mithilfe eines 3D-Druckers: Vieles deutet darauf hin, dass die Gruppierung nicht bei gefährlichen Körperverletzungen verblieben wäre.
Die aus der Anklageschrift hervorgehende Drohkulisse schwappt nun in Teilen aus Eisenach in den Gerichtssaal über. Jeweils zwei Anwälte, teils Szene-bekannt, wie der ehemalige Rechtsrocker Steffen Hammer oder der Burschenschafter Andreas Wölfel, vertreten die Anfang bis Mitte Zwanzigjährigen Angeklagten. In bekannter Manier inszenieren sie die mutmaßliche kriminelle oder sogar terroristische Vereinigung als Medienphänomen und den Prozess als politisch motiviert. Ein Zeuge, der selbst als Geschädigter aufgeführt ist, machte von dem in seinem Fall vollumfänglichen Aussageverweigerungsrecht Gebrauch, nicht unüblich, nickte dann jedoch beim Herausgehen einem der Angeklagten zu: wiederum eher unüblich. Weitere geben an, sich kaum noch erinnern zu können, oder revidieren Teile der bei Polizeiverhören gemachten Aussagen. Ein nichtweißer Zeuge äußerte in einem Polizeiverhör, aus dem in der Verhandlung zitiert wurde, er habe zwar keine Angst mehr vor den in Haft sitzenden Angeklagten, jedoch vor den restlichen KO51-Mitgliedern: „Die haben das Sagen hier.“

Nichts gesehen, nichts gehört

Halböffentlicher Schauplatz ist das Oberlandesgericht in Jena, einer Stadt, die sich gerne als linke Insel Ostthüringens sieht. Damit die extreme Rechte den Prozess nicht unwidersprochen als Bühne nutzen kann – schließlich reisen zu Prozesstagen bekannte Neonazis aus Eisenach und darüber hinaus an –, finden sich an den frühen Morgenden einige Dutzend antifaschistische Prozessbeobachter:innen zusammen. Auch um die wenigen Zuschauer:innenplätze im Saal zu besetzen.
Dass die Gruppe um Leon R. keine tödliche Gewalt verübt hat, scheint Zufall oder bestenfalls Glück gewesen zu sein. Die taz zitierte im Jahr 2000 kurz nach besagtem Sprengstoffanschlag auf den Döner-Imbiss einen verdutzten Polizeisprecher, der sich beschwerte, dass eigenartigerweise niemand der Anwohner den sehr lauten Knall gehört hätte, obwohl sich die Tat in einem eng bebauten Neubauviertel abspielte. Steiner stellt darüber hinaus bezüglich KO51 fest: „Die Gruppe kommt von dort, ist in die Jugendkultur vor Ort integriert und agiert innerhalb der Eisenacher Gesellschaft.“ Aber man dürfe nicht vergessen: „Die Stärke der extremen Rechten polarisiert Eisenach. Man hat zwar zehn Prozent NPD, aber auch gleichzeitig eine linke Bürgermeisterin.“ Sich der Ambivalenz der eigenen Stadt bewusst, ruft die linke Szene unter dem Motto „Ihr kriegt uns nicht klein“„zu einer Demo am 18. November in Eisenach auf. Eine neue Neonazi-Gruppe sei im Aufbau.

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