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Die Hundekotattacke

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Eine außergewöhnliche Premiere: Pressevertreter großer Medienhäuser kommen und die Deutsche Presseagentur verfasst eine Meldung. Unsere Autorin war dabei.

von Elisabeth Bergmann

Bild: Joachim Dette

Das Ensemble des Theaterhauses präsentiert das erste neue Stück ihrer letzten Spielzeit. Die Erwartungen sind deshalb ohnehin schon höher als gewöhnlich, doch mit der Entscheidung, die Ereignisse der „Hundekotattacke“ zu inszenieren, erreicht man mehr Aufmerksamkeit als erwartet. Denn als im Februar 2023 ein Choreograph während der Premiere seines Stücks an der Staatsoper Hannover einer Theaterkritikerin den Kot seines Dackels ins Gesicht schmierte, sorgte das für einen Aufschrei in der internationalen Kulturszene. Kein Wunder also, dass die Premiere in Jena nicht unbeachtet vonstattengeht.
Die Vorstellung beginnt, alles wirkt sehr improvisiert und holprig. Die Darstellenden kündigen an, dass es Probleme mit Konzeption und Proben gab. Statt einer dramatischen Inszenierung werden deshalb jetzt die internen E-Mails der letzten Monate vorgetragen. Knapp zwei Stunden lang sitzen die sechs Darstellenden in einer Reihe und lesen laut von einem Stapel ausgedruckter Korrespondenzen vor: Sie brainstormen, streiten, verlieren sich in Privatgesprächen und verrennen sich dabei immer mehr in ambitionierten Ideen.
Trotz der eintönigen Darstellungsform entpuppt sich das Stück als außerordentlich komisch, interessant und bewegend. An den Spannungen innerhalb der Gruppe wird deutlich, wie schwer es ist, verschiedene Ideen und Wertvorstellungen unter einen Hut zu bekommen. Die Charaktere zeigen Selbstzweifel, Erschöpfung

und Verliebtheit. Gleichzeitig geben die Darstellenden ihren eigenen E-Mails so viel Leben, Gefühl und Details, dass man nie sicher ist, wo die reale Korrespondenz aufhört und die Fiktion einsetzt.
Macht, Missbrauch und Personenkult
Es fällt schwer, dem Chaos dieses Abends Worte zu geben. Teilweise wirkt es, als wüssten die Performer:innen selbst nicht immer ganz, was sie einem eigentlich sagen wollen. Sie verirren sich in ihren Worten, Ideen und Vorstellungen. Doch je länger die Diskussionen andauern und die Gesprächspartner:innen aneinander vorbeireden, desto deutlicher wird, dass es sich genau darum dreht: um die Verwirrungen und Schattenseiten der Kunstindustrie, um die Erschöpfung und Frustration, die sie verursacht; den Leistungs- und Performancedruck, der keinen Raum für Fehlentscheidungen oder Privatleben lässt. Es geht um Machtgefüge, Missbrauch und Personenkult und darum, dass Erfolg Aufmerksamkeit ist. Immer wieder taucht die Frage auf, wie weit Menschen gehen würden, um den Blick der Welt auf sich zu richten. Hundekot in das Gesicht einer Kritikerin schmieren etwa. Oder ein Theaterstück darüber schreiben. Und das Trauma eines anderen Menschen für die eigene Publicity ausnutzen.
Doch trotz der großartigen Performance stellt sich die Frage, ob das genug ist. Einmal wieder entsteht der Eindruck, dass das Theaterhaus Jena es zwar erfolgreich schafft, sich von den großen Häusern abzugrenzen und eigene Wege zu gehen, aber die aufgeführten Stücke ähneln einander am Ende doch sehr. Nur selten gehen die Erzählstränge über die Lebensrealitäten des Ensembles hinaus und auch die Charaktere scheinen einem aus anderen Stücken bekannt.
Nichtsdestotrotz hat das Theaterhaus Jena es wieder einmal geschafft, alle Erwartungen zu sprengen und große Verwirrung zu stiften – im positivsten Sinne. Insgesamt war es ein urkomischer und kathartischer Abend, der mit viel Lachen, Begeisterungsrufen und tosendem Applaus aufgenommen wurde.
Die nächsten Vorführungen von „Die Hundekotattacke“ finden am 23., 24. und 25. November statt – Karten gibt es an der Touristeninfo und der Abendkasse.

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