Seit diesem Jahr ist die Letzte Generation auf Jenas Straßen aktiv. Wer steckt eigentlich hinter der Protestblockade?
von Nora Haselmayer
Kilian Pauligk bei der Demonstration im Juni. Foto: Letzte Generation
Der 12. Juni beginnt in Jena wie ein ganz gewöhnlicher Sommermorgen. Die Wettervorhersage ist vielversprechend und viele Pendler sind mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit. In der Knebelstraße allerdings werden diese Pläne durchkreuzt.
Dort wartet zu dieser Zeit eine Gruppe von zehn Menschen auf Grün, um vermeintlich zu Fuß die Straße zu überqueren. Natürlich kommt es ganz anders. Mitten auf der Straße bleiben sie stehen, ziehen ihre Warnwesten an und packen leuchtend orangene Banner aus; die Protestblockade der Letzten Generation hat begonnen.
„Die Autofahrer sind normalerweise immer erstmal verdutzt. Sie bleiben auch ruhig – bis es dann für sie grün wird,“ erzählt Kilian Pauligk. Einer der Fahrer möchte die Aktion nicht hinnehmen, er fährt nah an den Aktivisten heran, um ihn zu verscheuchen. Als das nicht funktioniert, steigt er aus und versucht, ihn wegzuschubsen. Doch der Demonstrant kann die Situation deeskalieren, indem er sich auf die Straße setzt. Es ist eine der Strategien, die die Aktivist:innen in ihren Schulungen lernen, bevor sie überhaupt an dieser Art Protest teilnehmen dürfen.
“Ich habe gerade ein bisschen das Gefühl, dass ich mir das ganze Leben zerstöre.”
Eigentlich müsste er gar nicht hier sein. Kilian ist 28 und Ingenieur bei Jenoptik. An einem Montagmorgen wie diesem könnte er mit einem Kaffee gemütlich im Bürostuhl anstatt auf der staubigen Straße sitzen. Dass er sich damit selbst schaden könnte, ist ihm bewusst. „Ich habe gerade ein bisschen das Gefühl, dass ich mir das ganze Leben zerstöre“, sagt er und lacht dabei ein wenig. Aber ganz im Scherz ist es nicht gemeint.
Im Gespräch mit dem Akrützel beschreibt er seinen Arbeitsvertrag als „fantastisch“. Sein Leben wäre eigentlich gut abgesichert gewesen. Für die Protestbewegung hat er es jedoch auf den Kopf gestellt. Er hat gekündigt und ab September noch keine neue Stelle in Aussicht. Bis er einen Job gefunden hat, bei dem er sich direkt für Klimaschutz einsetzt, möchte er noch mehr Zeit in Aktionen der Letzten Generation investieren. Bevor Kilian der Gruppe Ende Januar beigetreten ist, hatte er eine Weile lang noch Hoffnung auf aktuelle politische Maßnahmen gesetzt. Doch die Klimakipppunkte machten ihm zunehmend Sorgen.
Mit dem Aktivismus möchte er den gesellschaftlichen Wandel vorantreiben, den der Klimaschutz verlange. „Die Letzte Generation hat mir das Gefühl gegeben, dass man diesen Wandel beschleunigen kann, wenn man denn will.“
Er war bereits bei der ersten Protestblockade in Jena im Februar dabei. Beim zweiten Straßenprotest im Juni ist Kilian die einzige Person, die nicht aus einer anderen Stadtanreist ist, um sich auf die Straße zu kle-
ben. Andere Aktivist:innen aus Jena hätten bereits so viele Geldbußen und Strafbescheide erhalten, dass sie sich erstmal zurückhalten wollten, berichtet er.
Die Letzte Generation in Thüringen organisiert sich auf Landesebene. An diesem Tag im Juni beteiligen sich Aktivist:innen aus Erfurt, Leipzig und Greifswald. Sie haben Glück: Der Leiter des Ordnungsamts genehmigt ihnen die Blockade für sechs Stunden.
Bei der Auswahl des Standorts haben die Aktivist:innen darauf geachtet, dass eine Rettungsgasse gebildet werden kann. Außerdem berücksichtigen sie, wie viele Spuren blockiert werden können, dass die Blockade gut sichtbar ist und dass nicht zu leicht eine Umleitung gefunden werden kann.
An die Beleidigungen von Autofahrer:innen und Passant:innen hat Kilian sich schon gewöhnt. „Wir wissen, dass wir extrem provozieren und es nur menschlich ist, dass die Leute auf uns wütend sind.“ Allerdings habe er auch den Eindruck, dass die Unterstützung der Bürger:innen größer werde. Bei der Blockade im Juni bekommen die Aktivist:innen Eis, Bananen und Wasser geschenkt. Wie weit Kilian für die Letzte Generation gehen würde, weiß er noch nicht. „Ich habe mir keine Grenze gezogen. Es wird sich zeigen.“