You are currently viewing Braune Narrative

Braune Narrative

Die AfD ist eine Rechtsaußen-Partei und wird in Thüringen mit dem Höcke-Flügel von einem Faschisten angeführt. Das ist kein Geheimnis, und dennoch wählen die Menschen landauf, landab diese Partei –
vielleicht aber auch genau deswegen. Zeit für einen Blick in den Jenaer Stadtrat.

von Alexandra Kehm und Vincent Kluger

Anteilnahmslos für Deutschland, die Jenaer AfD. Foto: Alexandra Kehm

Der Jenaer Stadtrat zählt 46 gewählte Mitglieder, fünf davon bilden die AfD-Fraktion. Bei der Stadtratssitzung am 28. Juni sind vier vor Ort. Sie sind anwesend und doch auch wieder nicht, die Aufmerksamkeit auf ihre Smartphones gerichtet, untereinander redend. Wie die letzte Reihe im Schulunterricht scheinen sie die Veranstaltung nur zweitrangig wahrzunehmen. In dieser Sitzung wird zu Beginn eine Delegation aus Jenas rumänischer Partnerstadt Lugoj begrüßt. Als deren Bürgermeister von Geldern der EU spricht, mit denen ein neuer Kindergarten gebaut und viele Bildungseinrichtungen der Stadt renoviert wurden, gibt es lauten Applaus aller Stadtratsfraktionen, die AfD bleibt teilnahmslos still.

Eine Koalition gibt es im Stadtrat nicht. „Seit 2019 haben wir die Situation mit wechselnden Mehrheiten im Jenaer Stadtrat, und das heißt eben, dass man sich im Vorhinein um Stimmen bemühen muss“, erklärt Lena Saniye Güngör, Vorsitzende der Linksfraktion, im Interview mit dem Akrützel. Dadurch, dass es keine feste Koalition gibt, müssen vor jeder Beschlussvorlage die Abstimmungsverhältnisse neu geklärt werden. „Für viele Beschlüsse zu gesellschaftspolitischen Themen“, erklärt uns die Grünen-Co-Fraktionsvorsitzende Kathleen Lützkendorf, „bildet sich eine rot-rot-grüne Mehrheit, die dann auch steht.“ Der Einfluss, den die AfD mit 10 Prozent auf die Politik im Stadtparlament hat, ist dementsprechend gering.

Der Einfluss steht allerdings nicht im Vordergrund, es geht um eine Position, die die AfD einnehmen will, ein Narrativ, das sie pflegt.

In den Gesprächen mit den Stadträt:innen wird deutlich, dass der Einfluss allerdings nicht im Vordergrund steht, vielmehr geht es um eine Position, die die AfD einnehmen will, ein Narrativ, das sie pflegt. Zudem wird die AfD als passiv und still beschrieben. „Es gibt sehr selten auf unserer Tagesordnung AfD-Vorlagen und meiner Erfahrung nach äußern sie sich auch selten in Ausschüssen. Wenn, äußern sie sich im nicht öffentlichen Teil der Ausschüsse“, so beschreibt es uns Güngör. „Und auch in der Ausschussarbeit selbst gibt es eigentlich keinerlei Äußerung von den AfD-Mitgliedern, nichts Inhaltliches, manchmal eine fachliche Frage, aber ganz, ganz selten“, erzählt uns Lützkendorf. Auch die CDU-Fraktion bestätigt uns schriftlich, dass sich die AfD „bewusst unauffällig verhält und sich nahezu geräuschlos in die Gremienläufe integriert.“

Durch ihre Passivität auf Sachebene, vor allem in Ausschüssen, zeigt sich, dass sie keine Lösungen anbieten können, die mit anderen Parteien konsensfähig wären, erläutert der wissenschaftliche Leiter des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ), Axel Salheiser. Das IDZ ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung, die demokratiefeindliche Strukturen erforscht. Mit ihm und Cynthia Freund-Möller, der Geschäftsführerin des Komrex, des Zentrums für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration an der Universität Jena, sprechen wir im Anschluss an die Vorstellung der Studie „Thüringer Zustände 2022“. Die Autor:innen der Studie befassen sich mit Rechtsextremismus, Antisemitismus, Rassismus, Diskriminierung und Hassgewalt in Thüringen. Nach der Vorstellung der Studie gibt es ein Panel von Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft, die aus ihrer aktivistischen Arbeit gegen die extreme Rechte berichten.

Das bürgerliche Spiel mit dem Feuer

Die AfD nutzt andere Instrumente, wie die kleine Anfrage, um sich auf der parlamentarischen Bühne zu profilieren und Präsenz zu zeigen. In einer kleinen Anfrage kann ein:e Parlamentarier:in Auskunft über ein bestimmtes Thema von der Exekutive verlangen. „Es geht weniger darum, eine Realpolitik aktiv mitzugestalten. An der Konsensbildung und an der inhaltlichen Beschäftigung mit bestimmten Themen hat die AfD einfach kein Interesse, weil sie es auf Polarisierung und auf Spaltung anlegt“, so Salheiser. Die Distanzierung der CDU und FDP von der AfD ist in Thüringen nicht immer so deutlich, wie es die Vorsitzenden gerne glauben machen wollen. 2019 wurde Thomas Kemmerich (FDP) mit Stimmen der AfD kurzzeitig zum Ministerpräsidenten gewählt. Und 2022 beschloss der Thüringer Landtag auf Initiative der CDU, das Gendern zu untersagen – dass es sich hier um ein geistiges Kind der AfD handelt, wurde dabei achselzuckend in Kauf genommen. Dem rechten Kulturkampf wird der Hof gemacht, andere Parteien setzen AfD-Vorhaben in Wort und Schrift um. In Jena ist ein derartiger Fauxpas vorerst ausgeblieben. Dabei könnte der innerparteiliche Kampf der CDU, insbesondere in Thüringen, schon bald in einem Inferno enden. Es gibt zwei Lager. Das eine, das in der Tendenz auf die Tolerierung der Linkspartei setzt. Und das dominantere, vertreten etwa durch den CDU-Bürgermeister Michael Brychcy aus dem Landkreis Gotha, der die AfD entproblematisiert. Kürzlich stellte er das Kooperationsverbot in Frage, als er sagte, dass „nicht alle in der Partei Faschisten sind“ – dass die AfD jedoch nur mit Höcke, Weidel und Chrupalla zu bekommen ist, scheint ihm dabei nicht in den Sinn gekommen zu sein.

Vorstellung der Thüringer Zustände 2022 in Erfurt. Foto: Alexandra Kehm

Die Jenaer CDU erklärt, ganz im Sinne der Parteilinie, dass es mit „extremen Kräften auf beiden Seiten des politischen Spektrums keinerlei Zusammenarbeit geben kann.“ Trotz dieser angeblichen extremen Linken arbeiten sie unter anderem in Jena mit der Linkspartei zusammen, während das mit der AfD ausgeschlossen ist. Die CDU sieht in den Wähler:innen der AfD „Protestwähler“, die als Reaktion auf die Politik der Bundesregierung dem „System“ einen „Denkzettel“ verpassen wollen. Dass das mit der Unterstützung einer gesichert rechtsextremen Partei einhergeht, ist nicht der Rede wert. Widerspruch erfährt diese Darstellung durch Axel Salheiser: „Das heißt nicht, dass alle AfD-Wählenden rechtsextrem eingestellt sind, aber dass ein großer Teil der rechtsextrem eingestellten und insbesondere der nationalistisch und fremdenfeindlich eingestellten Bevölkerung AfD wählt.“

Das Unsagbare möglich machen

Allerdings sorgt die AfD mit der gezielten Platzierung rechter Themen dafür, dass Unsagbares Teil der Debatte wird. Cynthia Freund-Möller vom Komrex, dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung der Universität Jena, sagt dazu: „Diese Normalisierung ist auch, was sich durch die Gesellschaft zieht, also sich rassistischer, antidemokratischer, antisemitischer, queerfeindlicher Narrative zu bedienen und die zu teilen, das ist, was sich fortsetzt, und die AfD nutzt das quasi als Einfallstor.“ Die Gefahr ist, „dass sie eben als Realpolitiker und als sachliche, irgendwie unideologische demokratische Alternative wahrgenommen werden“, so Axel Salheiser.

Nach außen kommuniziert die AfD der Öffentlichkeit ein Opfernarrativ. Ihre Abgeordneten glänzen in Jena mit Teilnahmslosigkeit und Stille. Wenn es dann allerdings Anträge in die Plenen der Ausschüsse und Sitzungen schaffen, sind diese häufig für demokratische Parteien und Abgeordnete unvereinbar mit ihren Grundwerten, etwa wegen problematischer Formulierungen, und werden deshalb abgewiesen. Auf diese Ablehnung setzt die AfD und propagiert sogleich die pauschale Ausgrenzung durch die sogenannte Parteienelite, eine Propaganda-Maschine sich selbst erfüllender Prophezeiungen, so beschreibt uns Salheiser das Verhalten der AfD.

Bei der Diskussion der zivilgesellschaftlichen Akteur:innen beim Panel zu Thüringer Zustände 2022 wird auch über Aktionsmöglichkeiten gegen die AfD gesprochen: Die Dekonstruktion der Narrative der extremen Rechten ist eigentlich ein Leichtes, doch schwer zu kommunizieren und arbeitsintensiv. Jede Person sollte sich sprachfertig machen, gegen rassistische und andere menschenfeindliche Haltungen Gegenrede leisten zu können, um einer radikalen Partei wie der AfD zumindest etwas weniger Halt in der Gesellschaft zu ermöglichen, vor allem auch in Hinblick auf die anstehenden Wahlen nächstes Jahr.
Demokratische Parteien können alleine nicht dagegen ankommen, die Zivilgesellschaft ist gleichermaßen gefragt, die Stimme zu erheben, wenn rechte Rhetorik und Programmatik die Sphäre des Unsagbaren verlässt und den Boden der demokratischen Debatte vergiftet.

Schreibe einen Kommentar

*