Eine Studie behauptet, dass internationale Studierende rundum zufrieden mit der FSU sind.
Aber ist das wirklich so? Eine Recherche über das Leben in zwei Welten.
von Elisabeth Bergmann und Nora Haselmayer
Anstehen zum Einschreiben. Foto: Line Urbanek
Internationale Studierende loben Lehre an der Universität Jena, lautet der Titel einer Pressemitteilung, die das Internationale Büro Ende März veröffentlichte. Darin beschreibt es die Ergebnisse einer Studie, die die Zufriedenheit internationaler Studierender an der FSU erheben sollte. Die Ergebnisse klingen großartig: Ganze 90 Prozent der 533 Teilnehmenden seien demnach „‚zufrieden‘ oder ‚sehr zufrieden‘ mit allen Aspekten ihres Studiums“.
Auf die Anfrage des Akrützel, die Studienergebnisse einzusehen, reagierte das Internationale Büro jedoch abwehrend. Claudia Hillinger, Leiterin des IB, verweist auf die Firma, die die Studie durchführte. Das Unternehmen i-graduate ist darauf spezialisiert, internationale Daten im Bildungssektor zu erheben und mit dem „International Student Barometer“ den Vergleich unter Institutionen weltweit zu ermöglichen – als bezahlte Dienstleistung. Die Anfrage an i-graduate läuft wiederum ins Leere, man solle sich direkt an das IB Jena wenden. Einem Interview stimmt Hillinger daraufhin zu, die Studienergebnisse kann und möchte sie allerdings nicht weitergeben. Im Gespräch erklärt sie, dass die Daten zur internen Verwendung eingekauft wurden und die Rechte somit weiterhin bei i-graduate liegen. „Eine Weitergabe und Veröffentlichung der konkreten Ergebnisse und Daten ist nicht möglich“, so Hillinger. Zudem seien die Ergebnisse noch nicht komplett ausgewertet; die Freitextfelder seien noch in Bearbeitung. Trotzdem veröffentlichte das IB eine Pressemitteilung mit den Ergebnissen – ohne zu erwähnen, dass diese noch unvollständig sind. Die in der Studie vorkommenden Fragen wurden von i-graduate generiert, sodass das Internationale Büro in Jena keinen Einfluss auf die Themenschwerpunkte hatte. Den Fragenkatalog zu ergänzen, um ihn an Jena-spezifische Bedingungen anzupassen, wäre gegen einen Aufpreis möglich gewesen. Aber die Entscheidung fiel bewusst gegen eine differenzierte Erfassung der Probleme an der FSU und für einen öffentlichkeitswirksamen internationalen Vergleich.
Obwohl der Zweck der Studie fragwürdig scheint, kann dem IB nicht vorgeworfen werden, sich nicht mit deren Ergebnissen zu befassen. Hillinger gibt an, dass die internationalen Studierenden in der Studie vor allem den Prozess der Visumsbeschaffung kritisiert hätten. Es sei ein „riesiges Problem“, mit dem sich das IB unter anderem schon an Minister und das Auswärtige Amt gewandt hat. Auch die Tatsache, dass die Studierenden sich – im Gegensatz zu deutschen Studierenden – persönlich immatrikulieren müssen, hätten viele in der Umfrage kritisiert. Bisher müssen Studierende aus dem Ausland bis zu einem bestimmten Tag und einer bestimmten Uhrzeit persönlich im Internationalen Büro erscheinen. Wenn bis zu diesem Zeitpunkt aber das Visum noch nicht genehmigt und eine Einreise somit nicht möglich ist, verfällt der Studienplatz. Um den Beschwerden der Studierenden entgegenzukommen, werde es ab dem kommenden Wintersemester jedoch endlich möglich sein, sich online einzuschreiben.
“Eine Weitergabe und Veröffentlichung der Ergebnisse und Daten ist nicht möglich.”
Claudia Hillinger, Leiterin des Internationalen Büros
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich auf die Atmosphäre in den Unigebäuden. Hier fühlen sich nicht alle Studierende wohl. „Wir nehmen die Anmerkungen, die da kommen, schon sehr ernst und versuchen, die genannten Probleme zu lösen“, so die Leiterin des IB. Insgesamt haben 21 Prozent der eingeschriebenen internationalen Studierenden des letzten Wintersemesters an der freiwilligen Online-Umfrage teilgenommen. Hillinger beschreibt die Ergebnisse als größtenteils sehr zufriedenstellend. Besonders die Karriereaussichten durch das Studium an der Uni und die Beratung durch den in den letzten Jahren eingerichteten Career Point wurden positiv bewertet. „Das Thema gewinnt eine größere Bedeutung bei Studierenden“, bemerkt die Leiterin des IB. Alle drei Jahre lässt sie die Studie wiederholen, um sich einen Überblick über die Zufriedenheit der internationalen Studierenden zu verschaffen. Die Reputation der Uni und die Lehre schnitten hier wie auch in den vergangenen Jahren sehr gut ab, erklärt Hillinger.
Am Anfang ist es einsam
Dass es sich in Jena gut studieren lässt, bestätigen uns zwei internationale Studierende. Ella* aus der Türkei macht seit 2021 ihren Master in Anglistik an der FSU. Am Anfang sei besonders der Immatrikulationsprozess durch sehr viel Bürokratie und mangelnde Digitalisierung erschwert worden, doch zumindest begegneten die Mitarbeitenden der Universität ihr immer hilfsbereit. Sie erzählt, dass sie all ihre Bewerbungsunterlagen per Post von Ankara nach Jena schicken musste. Als dem Umschlag dann kein Foto für die Thoska beilag, musste sie dieses extra noch seperat versenden – inklusive Portokosten aus einem Nicht-EU Land, da eine elektronische Übermittlung nicht möglich gewesen sei.
Ebenso wie Mia* aus China, die seit 2020 Literatur-Kunst-Kultur im Master studiert, fand Ella es in den ersten Monaten ihres Studiums herausfordernd, in Jena und an der Uni anzukommen. „Es war sehr schwer“, meint Mia in Bezug auf ihren Studienanfang. „Du musst dich an komplett neue Freundesgruppen, eine neue Kultur und neue soziale Umgangsweisen anpassen.“ Sprachbarrieren, Online-Lehre und die begrenzten Möglichkeiten Jenas haben es den beiden anfangs erschwert, Kontakte zu knüpfen. „Ich habe mich wirklich einsam gefühlt, weil es nicht einfach ist, die gewohnte Umgebung zu verlassen“, erzählt Ella. Trotz der schwierigen Anfangsphase, sind beide glücklich mit ihrer Entscheidung, in Jena zu studieren. „Es ist auch aufregend“, sagt Mia. „Man lebt in Ungewissheit. Aber dadurch lernt man auch mehr.“
Ella lobt vor allem das hochwertige Deutschkursangebot der Uni. Nach nur zwei Jahren in Jena macht sie jetzt ihr C1 Zertifikat – ohne jegliche Vorkenntnisse gehabt zu haben. Auch bei der Wohnungssuche hatten Mia und Ella keine Probleme. Während Mia nach einer längeren Phase des Suchens ein WG-Zimmer beziehen konnte, lebt Ella wie viele andere Internationale auch in einem der vielen Jenaer Wohnheime. Laut dem Studierendenwerk sind aktuell „mehr als die Hälfte aller Wohnplätze an internationale Studierende vergeben“. Internationale Studierende werden zwar im Bewerbungsprozess auf die Wohnplätze ebenso wie alle anderen Bewerber:innen behandelt, allerdings kommen diese häufig für die Stellung eines Härtefallantrags infrage. Außerdem geben sie bei der Bewerbung oft an, sich einen möglichst günstigen Platz zu wünschen, und landen somit oft in den eher unattraktiven Plattenbauten in Lobeda. Von dem kostengünstigen Angebot des Studierendenwerks wissen aber nicht alle Studierenden: informiert wird darüber nur auf der Website sowie bei den Hochschulinformationstagen. Claudia Hillinger vom IB stellt fest, dass die Zufriedenheit mit der Wohnraumsituation bei den internationalen Studierenden zugenommen hat, obwohl der Wohnungsmarkt in Jena nach wie vor angespannt ist: „Da war ich doch erstaunt.“
“Das bleiben immer zwei verschiedene Welten.”
Anne Jonker, Tutorin für Internationale Studierende
Die Tutorin Anne bestätigt, dass die Probleme der internationalen Studierenden in anderen Bereichen liegen. Viele fühlten sich zum Beispiel überfordert mit der deutschen Bürokratie und kritisierten die mangelhafte Digitalisierung. Gemeinsam mit drei anderen internationalen Studierenden organisiert die Niederländerin Tutorien für Internationals, die an den Deutschkursen des Deutschen Akademischen Austauschdienstes teilnehmen. Hier lernen sie beispielsweise, wie man Bewerbungen und Hausarbeiten auf Deutsch schreibt. Außerdem veranstaltet das Team Ausflüge, die dabei helfen, Kontakte zu knüpfen und die neue Umgebung zu erkunden. Einerseits sei es normal, dass die internationalen Studierenden sich anfangs eher untereinander anstatt mit deutschen Student:innen anfreunden. Andererseits ändere sich daran mit der Zeit tendenziell auch häufig nichts, weil oft zu wenig aufeinander zugegangen wird und es kaum Projekte gibt, die deutsche und internationale Studierende zusammenbringen. „Das bleiben immer zwei verschiedene Welten“, meint Anne.
Mut zum Mentoring
Eine Möglichkeit, diese Welten zusammenzubringen, bietet das Mentor:innenprogramm. Hier haben Studierende die Möglichkeit, Studierenden aus dem Ausland zu helfen, sich an der Uni zurechtzufinden. Das IB bietet den Mentor:innen Workshops zur Vorbereitung und freiwillige interkulturelle Trainings an. Bei der Zuteilung der Mentor:innen wird auf Gemeinsamkeiten geachtet, damit sich beide Seiten miteinander wohlfühlen und im besten Fall Freundschaften entstehen können. Tutorin Anne hat oft mitbekommen, wie wertvoll solche Beziehungen für die neuen Studierenden sind. Sie möchte deutsche Student:innen dazu ermutigen, sich mit Mentoring zu engagieren. „Das Mentoring ist eine Brücke zwischen den deutschen und den internationalen Studierenden.“ Ella erinnert sich noch, wie sie sich freute, als ihre Mentorin sie bei ihrer Ankunft in Jena vom Bahnhof abholte. Sie betont, wie sehr sie damit dazu beigetragen hat, sich in ihrem neuen Zuhause willkommen zu fühlen.
Die Ergebnisse der Studie sind laut den Aussagen des Internationalen Büros äußerst positiv. Die FSU muss sich nicht verstecken, wenn es um den Vergleich mit anderen Universitäten weltweit geht. Darum ist es umso verwunderlicher, dass mit den konkreten Studiendaten kein offener Umgang möglich ist. Der internationale Vergleich, den i-graduate bietet, ist zwar nett, wirkt aber hauptsächlich als PR-Maßnahme eindrucksvoll. Eine eigene Studie der Universität wäre vermutlich deutlich teurer gewesen, allerdings möglicherweise auch transparenter und dadurch noch seriöser.
*Namen von der Redaktion geändert