Über Ehrenamt und Essensmarken

Im Stura-Interview diskutieren Karla Thomas von der emanzipatorisch linken Liste (Elli) und Patrick Riegner vom Ring Christlich-Demoratischer Studenten (RCDS) über sinnlose Debatten im Stura, Wissenshierarchien und Forderungen für das nächste Jahr.

Das Gespräch führte Henriette Lahrmann

Warum seid ihr überhaupt im Stura?
Karla (ELLIS): Über den Stadtgeflüsterverteiler kam letztes Jahr ein Aufruf von den Ellis, dass die Linken Leute benötigen. Da ich schon im Fachschaftsrat aktiv war, kannte ich mich ein bisschen mit Hochschulgremien aus und dachte, das finde ich spannend. Ich kann mich nicht immer nur darüber beschweren, wenn ich es selber nicht mal probiert habe, auch Dinge zu verändern oder zu verbessern.
Patrick (RCDS): Bei mir war es ein bisschen anders – ich wurde gefragt, ob ich nicht Lust hätte, zu kandidieren. Ich war im zweiten Semester und dachte, dass das eigentlich ganz cool klingt und man da sinnvolle Sachen machen kann. Ich hatte Lust, wichtige Themen anzustoßen, wie die Installation von mehr Fahrradständern oder die Förderung von guter digitaler Lehre.

Ihr wolltet sinnvolle Dinge umsetzen und euch nicht nur weiter beschweren. Wie gut konntet ihr das umsetzen?
K: Ich glaube, das Jahr war gerade am Anfang dadurch geprägt, dass viele neue Leute im Stura saßen und es eine riesige Wissenshierarchie gibt, die nicht abgebaut wurde. Personen, die schon lange im Stura sitzen, haben sich das zu Nutze gemacht und sich darauf ausgeruht. Auch wenn man in politischen Lagern ist, kann man sich unter die Arme greifen. Wir sind alle eingezogen, um Studierende zu vertreten und nicht um uns gegenseitig fertigzumachen. An manchen Stellen wurde ich da eines Besseren belehrt. Viele wussten nicht Bescheid, wie der Stura funktioniert, und mussten sich ein halbes Jahr einarbeiten. Ich habe selbst erst spät verstanden, dass es manchen im Stura nicht darum geht, eine konstruktive Lösung zu finden, sondern seine eigenen Interessen durchzudrücken.

Und wie hat sich das über die Zeit entwickelt?
K: In der zweiten Hälfte, wo der Haushalt beschlossen war, kamen wir über andere Sachen ins Gespräch. Dass wir zusammen versuchen, den Frei(t)raum wieder zu öffnen, konnte erst jetzt stattfinden. Davor waren einfach die Kapazitäten aufgebraucht. Ich setzte meine Hoffnung in das weitere Sommersemester und den Ansporn, wieder gewählt zu werden. In meiner Liste mussten wir uns auch erstmal mit der Rolle zurechtfinden, dass wir eine linksgrüne Mehrheit haben, und uns darüber klar werden was das bedeutet, Dinge durchsetzen zu können. Den Haushalt konnten wir auch nur beschließen, weil sich am Ende der RCDS und die linksgrüne Liste zusammengetan haben.

Patrick, wie nimmst du das wahr?
P: Das größte Problem ist gar nicht mal die Wissenshierarchie. Viel problematischer ist, dass man zum Teil von bestimmten Mitgliedern, die schon fünf, sechs Jahre dabei sind, dafür, dass man sich noch nicht so gut mit der Stura-Arbeitsweise auskennt, fertiggemacht wird.

Warum, glaubt ihr, wird das vorhandene Wissen im Gremium nicht geteilt?
K: Aus Überlegenheit.

… um eigene Ziele und Wünsche durchzusetzen?
K: Ja, auf jeden Fall!

Von welcher Liste habt ihr das am meisten wahrgenommen?
K: Von Listen, bei denen niemand neu ins Gremium gewählt wurde und alle schon lange drinsitzen. Das Kräfteverhältnis hat sich nach der letzten Wahl verschoben, und bei diesen Listen lag die Chance, das Wissen nicht zu teilen, sodass neue Leute sich nicht einarbeiten und durchsetzen können.

Patrick, bei euch im RCDS hat sich auch einiges verändert, euer Anteil hat sich auf sieben Sitze verringert.
P: Wir sind aus der Rolle des eigenen Gestaltens vermehrt auf die Zusammenarbeit mit anderen Listen und Einzelpersonen angewiesen, um eigene Themen trotzdem durchzusetzen. Uns war und ist es wichtig, pragmatische Themen voranzutreiben, bspw. die Bibliotheksöffnungszeiten während der Prüfungszeit zu erweitern. Dafür waren wir mit dem Bibliotheksausschuss im Gespräch und konnten dafür sorgen, dass die Wochenendöffnungszeiten noch in diesem Sommersemester erweitert werden. Auch Trinkwasserspender waren bei uns schon lange ein wichtiges Thema. Es ist schade, dass die Uni für neue Projekte oftmals viel Vorlaufzeit benötigt. Trotzdem freuen wir uns über die Installation des ersten Wasserspenders im Ernst-Abbe-Gebäude.

Wie wäre dann dein Vorschlag, um das Problem des Wissensverhältnisses zu lösen?
P: Ich denke, dass eine Begrenzung der persönlichen Stura-Amtszeit, zum Beispiel auf drei bis vier Jahre, ein Lösung sein könnte. Es sollte nicht mehr möglich sein, über viele Jahre Teil des Stura zu sein, ohne effektiv neue Ideen einzubringen. Ich weiß nicht, wie lange bestimmte Personen schon im Stura sind. Es braucht stets neue und aktive Mitglieder, die mit den erfahrenen Mitgliedern wichtige Themen aus der Studierendenschaft umsetzen. 

Und die sind nicht immer so leicht zu bekommen. Vor ein paar Sitzungen kam im Stura die Idee auf, die ehrenamtliche Arbeit für das Gremium zu entschädigen. Wie findet ihr die Idee?
P: Ich fände es gar nicht schlecht, wenn man ein orientierendes System hätte, das grobe Richtlinien zur Besoldung ehrenamtlicher Arbeit vorgibt. Das wird aber insbesondere für den Stura äußerst schwierig, da die anfallende Arbeit oftmals sehr divers und nicht vergleichbar ist. Man könnte allerdings andere Anreize schaffen.

Zum Beispiel?
P: Wenn man beispielsweise fünf Sitzungen anwesend war, bekommt man eine definierte Anzahl an Essensmarken. Auch feste Sitzungsendzeiten könnten ein Anreiz für einen vielfältigen Stura bieten, in dem mehr Menschen mit Minijob oder mit Familie vertreten sind.

Besteht dann aber nicht die Gefahr, dass die Leute nur für das Geld kämen?
P: Wenn man die Anreize nicht überdefiniert, sehe ich da kein Problem. Zumal es sich bei erwähnten Essensmarken um Sachwerte handelt.

“Wir sind alle eingezogen, um Studierende zu vertreten und nicht um uns gegenseitig fertigzumachen. An manchen Stellen wurde ich da eines Besseren belehrt.”

Karla Thomas (Elli)

Ich habe häufig das Gefühl, dass einige Mitglieder keinen großen Anspruch an ihre Arbeit im Stura haben. Warum also nicht gleich Formel 1 während der Sitzung schauen und dafür Essensmarken bekommen? Es gibt keine Regelung für eine Beteiligung in der Sitzung, die Zeit kann auch einfach abgesessen werden.
K: Ich glaube, dass ein gewisser Anreiz schon eine Möglichkeit sein kann, Leute zu motivieren – man muss es nur immer ins Verhältnis setzen. Die Leute schauen während der Sitzung Formel 1 oder lernen für ihr Testat und beteiligen sich nicht, wodurch sich konstruktive Debatten im Sande verlaufen.
P: Das stimmt.
K: Wenn man sich einbringt, wird der eigene Redebeitrag unterbunden oder ins Lächerliche gezogen. Ich kann mir vorstellen, dass die Leute nicht mehr nur kommen, um anwesend zu sein und ihre Stimmkarte zu ziehen, wenn die Reden- und Debattenkultur im Stura wieder konstruktiver wird.

Was sind denn dann mögliche Lösungsvorschläge, wenn die alleinige Wissensweitergabe und die Erschaffung von Anreizen nicht ausreichen?
P: Man könnte das Gremium verkleinern. Wenn immer alle da wären, sind wir 36 Mitglieder. Die Vielfalt an Meinungen hat durchaus etwas Gutes. Wenn man aber schnelle Entscheidungen treffen und konstruktiv arbeiten will, wäre es wichtiger, dass aus jeder Fakultät eine Vertreterin oder ein Vertreter dabei ist und intensiver mit den Fachschaften zusammengearbeitet wird.
K: Obwohl wir auch eine riesige Uni sind. Ich glaube, dass die Größe des Gremiums eine Rolle spielt, aber ich weiß nicht, ob es das Problem löst, wenn eine Person noch mehr Studierende vertritt. Es wäre dann weniger divers. Was helfen könnte, wäre eine Intervention, wo man sich zusammen an einen Tisch setzt und nochmal zusammen über die Redekultur im Stura spricht. Ich glaube aber, dass dafür die Bereitschaft fehlt.

Ihr hättet doch die Mehrheit dafür, um so etwas umzusetzen.
K: Wir haben die Mehrheit. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass man nicht mehr miteinander sprechen kann, wenn es um Konfliktpunkte geht. In der Haushaltsdebatte wurden dann bei umstrittenen Themen Tatsachen verdreht und es ging plötzlich nicht mehr um die Inhalte, sondern darum wie kann ich ohne großes Aufsehen mein Gegenüber mundtot machen kann.

Aber ihr könntet es als Antrag mit in die Sitzung einbringen, mit einem fertigen Beschlusstext.
K: Wir haben aber schon andere Dinge beschlossen, und es wurde sich trotzdem nicht daran gehalten.

Karla, euch Ellis war es sehr wichtig, dass das Referat für politische Bildung weiter ausfinanziert wird. Eure Wahlforderung aus dem letzten Jahr war, dass ihr wieder eine linke Mehrheit im Stura erschaffen wolltet. Ihr habt euch auch mit dem Besetzungbündnis solidarisiert, weitere konkrete Forderungen habe ich aber nicht gefunden. Was ist euer Plan für die nächste Legislaturperiode?
K: Dadurch, dass wir neu waren und gar nicht wussten, welche Möglichkeiten uns das Gremium bietet, konnten wir nichts Konkretes fordern. Ein richtig großes Anliegen, woran wir auch schon arbeiten, ist das Frei(t)raum-Projekt. Es ist nicht damit getan, den Raum auszumisten und aufzuschließen. Wir wollen es auch nicht bei einem Raum belassen, sondern die ganze Uni studierendenfreundlicher gestalten.

Wie könnte das aussehen?
K: Es fängt damit an, dass wir den Arbeitskreis für die Modernisierung und Begrünung vom Campus gegründet haben. Da wurde sich zusammengesetzt, es wurden Fördergelder gefunden und jetzt liegt da ein Auge drauf. Wir wollen auch versuchen, die Strukturen im Stura so transparent zu gestalten, dass die Leute irgendwann wieder verstehen, was das Gremium macht. Dass das Akrützel über den Stura berichten kann und jeder weiß, worum es geht.

Siehst du es als Aufgabe des Akrützel an, Transparenz über den Stura zu schaffen?
K: Absolut nicht.

Und wie wollt ihr dann transparenter werden?
K: Durch die anfängliche Überforderung haben wir weniger Social Media betrieben, als wir eigentlich gerne gemacht hätten. Das wollen wir in Zukunft wieder mehr machen. Präsenz zeigen ist ganz wichtig, egal über welchen Kanal.

Beim RCDS war das etwas anderes, ihr habt eigene Kategorien wie z. B. Soziales und Politisches aufgestellt und darin konkrete Dinge gefordert. Mir ist aber aufgefallen, dass von den geforderten Zielen einige zuvor schon umgesetzt waren.
P: Ja, zum Teil. Andere Dinge wurden jetzt umgesetzt, wie die verlängerten Bib-Öffnungszeiten für die letzte Prüfungsphase und die Einrichtung der Wasserspender.

Was sind weitere Ziele, die noch nicht gegeben sind, und was wird aus den alten Forderungen?
P: Es ist schwierig, immer alle Themen umzusetzen, vor allem wenn man nur sieben Sitze hat, andere Listen bei neuen Ideen nicht immer mitziehen. Die Unterstützung ukrainischer Studentinnen und Studenten war und ist für uns ein sehr aktuelles Thema, wie einige das vielleicht bei der Benefizparty im letzen Jahr gesehen haben. An dem Thema muss man weiter dranbleiben, weswegen wir überlegen, zukünftig beim Thema Zivilklausel mehr Fokus auf die Forschungsfreiheit zu legen. Das ist ein Thema, das man nochmal kritisch hinterfragen muss, weil wir in Thüringen prinzipiell jegliche Forschung, auch zu militärischen Verteidigungszwecken, ablehnen. Außerdem wird es bei uns im nächsten Jahr darum gehen, vertieft auf die Finanzierung des Studiums und die Anwendbarkeit von künstlicher Intelligenz in der Lehre einzugehen. Jeder soll sich sein Studium leisten können, auch mit den digitalen Mitteln, die die Uni dafür bereitstellen muss. Wenn ich im Hörsaal sitze und da wird mal wieder ein Polylux geöffnet wird, da frage ich mich manchmal schon so: Wo ist man hier gelandet?

“Es sollte nicht mehr möglich sein, über viele Jahre Teil des Stura zu sein, ohne effektiv neue Ideen einzubringen.”

Patrick Riegner (RCDS)

Und wie seht ihr das mit eurer Anzahl der Sitze, glaubt ihr, ihr könnt da nochmal was verändern? Und woran liegt es, dass in diesem Jahr, komplett konträr zum letzten Jahr, die Linken die Mehrheit hatten?
P: Bei uns hat eine Fakultät gefehlt. Ich denke, dass es dieses Jahr besser wird, tut mir leid für euch. Wir wollen da schon wieder angreifen und uns die Sitze zurückholen.

Aber ihr habt immerhin sieben Sitze, und trotzdem seid ihr selten alle anwesend. Häufig ist auch nur eine Person vom RCDS da, oder zwei.
P: Wir haben halt auch Leute, die nicht nur ehrenamtlich im Stura sind, sondern auch auf andere Ebenen studentische Interessen vertreten. Und wenn man dann merkt, dass konstruktive Vorschläge in den Sitzungen nicht mal diskutiert werden, stellt sich für manche natürlich zu Recht die Frage, ob ich mit der Zeit nicht sinnvollere Themen aus der eigenen Fachschaft voranbringen kann.
K: Wir haben aber auch ganz viele Leute, die sich in verschiedensten Dingen engagieren und trotzdem zur Sitzung kommen. Ich finde, man muss dem Anspruch gerecht werden, wenn man in das Gremium gewählt wurde. Bei uns sind auch nicht immer alle da, aber der Großteil kommt regelmäßig zu den Sitzungen und beteiligt sich an den Abstimmungen. Es ist schon sehr auffällig, dass ihr nicht viel da seid. Das ist anders bei uns.
P: Viele haben schon durch ihr Studium eine extrem hohe Belastung und sind dann noch ehrenamtlich aktiv. Es ist nämlich definitiv ein Unterschied, ob ein Praktikum von 8 Uhr bis 18 Uhr geht oder ob man seine Bachelorarbeit schreibt und sich die Zeit selbst einteilen kann. Wir arbeiten aber dran. Manchmal ist es auch nicht so entscheidend zu wie vielen Sitzungen man kommt, sondern dass die Themen, die wichtig sind, umgesetzt werden. Die Ergebnisse sind das, woran man sich messen sollte. 

Wie sieht es da bei den Ellis aus, Karla? Glaubts du, ihr könnt die Anzahl eurer Sitze halten?
K: Ich bin optimistisch, dass wir wieder Leute finden werden, die sich aufstellen lassen und sich engagieren wollen. Wir stecken aber trotzdem in der Krise des Engagements, weil sich immer weniger Leute finden lassen, weil der Stura auch keinen guten Ruf hat.

Fotos: Pauline Schiller

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