Die Mensa machts möglich

Wie entstehen eigentlich Mensarezepte? Woher kommt unser Essen?
Was passiert mit dem Abfall? – Ein Blick hinter die Kulissen der Mensa.

von Götz Wagner und Henriette Köpke

Im Mosaik an der Wand betätigen sich Menschen körperlich für den Sozialismus. Die Mensa an der Carl-Zeiss-Promenade wurde kürzlich renoviert. Studierende und Carl-Zeiss-Arbeiter:innen sitzen zwischen petrolfarbenen Wandtafeln an Ikea-Möbeln und essen Frühstück. Durch die hohe Glaswand zur Terrasse sieht man weit bis hin zu den Kernbergen. Es geht aber nicht raus, sondern hinter die Kulissen: Jens Winkler führt durch die Mensa. Als Abteilungsleiter der Mensen und Cafeterien des Studierendenwerks Jena kennt er sich bestens aus. Auf der Tour beantwortet er Fragen rund um das geliebte Mensaessen. Unterstützt wird er dabei von Küchenleiter Michael Pfeifer. Jeden Tag kocht sein Team drei bis vier Gerichte, insgesamt 2000 Portionen. Langweilige Gerichte wie Nudeln mit Pesto gibt es aber nie – dafür eher so etwas wie Linsenbolognese mit Mangostücken. 

Doch wie kommen die Rezepte überhaupt zustande?

„Die Rezepte sind zum größten Teil klassische Gerichte, die über Jahre von Küchenleiter:innen in einer Art digitaler Kartei, dem Telesystem, gesammelt wurden“, sagt Pfeifer. Skurrile Gerichte haben wir damit einer langen Tradition zu verdanken. Die Rezepte der Linie Mensa International hingegen haben ihren Ursprung in einem Problem. „Die Mensa in Ilmenau litt lange Jahre unter niedrigen Besucher:innenzahlen“, sagt Winkler. Vor allem die ausländischen Studierenden, die in Ilmenau fast die Hälfte der Studierendenschaft ausmachen, seien der Mensa ferngeblieben.

„Als Studierendenwerk haben wir jedoch einen Versorgungsauftrag für alle, dem wir so nicht gerecht werden konnten.“ Deshalb fand eine Befragung statt und die Botschaft war klar: Das deutsche Essen schmeckte  einfach nicht. Doch es fand sich schnell eine Lösung: „Die Studierenden sollten Rezepte von Mutti mitbringen.“ Zusammen mit den Küchenleiter:innen wurden Gerichte von finnischer Spinatsuppe bis zu indischem Dal in einem Kompromiss an die Großküche angepasst. Aber kann die Mensa neben der vielfältigen Küche auch eine gesunde Ernährung sichern?

„Wir sollen Sie ernähren, aber wir können nicht kontrollieren, wie und was Sie essen“, sagt Winkler. Aus seiner Sicht müsse klar sein, dass es auch in der Mensa nicht gesund ist, jeden Tag Pommes zu essen. Als Kompromiss bietet das Studierendenwerk die Linie Mensavital an. Nach den Bestimmungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung wurden die Rezepte im Labor auf deren Kalorien- und Nährstoffgehalt untersucht. „Das heißt, wir garantieren, dass Sie sich mit diesem Essen gesund ernähren.“
„Der Essensauswahlprozess ist nicht sehr kreativ“, sagt Pfeifer. Essensvarianten können nur im Rahmen des Speiseplans ausgewählt werden. Dieser wiederholt sich standardmäßig nach sieben bis acht Wochen. Somit ist die Konstellation der gewählten Rezepte am jeweiligen Tag wichtig – für alle sollte etwas dabei sein. Die Küchenleiter:innen müssen ihr Klientel kennen: „Das kann man nicht lernen, das erfährt man.“ Dabei helfen auch die gespeicherten Verkaufszahlen: „Während es zum Beispiel am Ernst-Abbe-Platz oftmals mehr vegetarisches Essen gibt, ist es bei uns hier oben wegen der Carl-Zeiss-Mitarbeiter:innen etwas bodenständiger.

Wie steht es um die Wirtschaftlichkeit?

Dazu muss Pfeifer noch etwas anderes im Auge haben: Das Studierendenwerk hat sich selbst dazu verpflichtet, jeden Tag ein Gericht für 1,95 Euro anzubieten. Dieses Essen darf jedoch nur einen maximalen Wareneinsatz von 1,10 Euro haben. Nach diesem System staffeln sich dann die verschiedenen Preisklassen übereinander. „Aber tatsächlich ist es sehr spannend, für jeden Tag Essen der niedrigeren Preisstufen einzukaufen“, sagt Pfeifer: „Der Preisanstieg ist exorbitant.“ Bei nicht-regionalen Produkten bekommt das Studierendenwerk als kleinerer Abnehmer schlechtere Preise. Das erklärt auch den happigen Preis der kalt geliebten Mate. Im Supermarkt ist diese billiger, weil der deutlich mehr Flaschen kauft und sich deshalb der Stückpreis verbessert. Um ähnliche Preisvorteile zu ergattern, haben sich deshalb alle ostdeutschen Studierendenwerke zu einer Bedarfsgemeinschaft zusammengeschlossen. Einzelne Werke bestellen zentral für alle ein bestimmtes Produkt und verteilen dieses. Zum Beispiel werden von Jena aus Kaffeemaschinen bestellt, Süßigkeiten von Magdeburg aus. Das senkt die Kosten: „Es ist etwas ganz anderes, 50 oder 500 Tonnen Kartoffeln zu ordern“, sagt Pfeifer. „Das ist dann natürlich nicht mehr so regional, da zum Beispiel Potsdam ganz andere Produzenten hat als wir.“ Das Essen wird zwar zu großen Teilen durch den Preis an der Kasse, durch staatliche Zuwendungen und den Semesterbeitrag finanziert. Generell bleibt die Essensversorgung dennoch ein Verlustgeschäft. „Aber wir versuchen, das Defizit vor allem durch den Verkauf von Getränken zu verringern.“

Woher kommen die Produkte?

Jedes Jahr kauft allein die Mensa an der Carl-Zeiss-Promenade 41 Tonnen Kartoffeln, elf Tonnen trockene Nudeln, 49 Tonnen Obst und Gemüse und fünf Tonnen Putenfleisch. „Unsere Philosophie ist es, so gut wie möglich mit regionalen, fair gehandelten, aber dennoch erschwinglichen Produkten zu arbeiten“, sagt Winkler. Milchprodukte kommen zum Beispiel aus einer Molkerei aus Rudolstadt, Obst von Fahner und Tomaten von Fischergemüse – beides Thüringer Unternehmen. Winklers Philosophie umzusetzen, wird in Krisenzeiten zunehmend schwer: „Gebäck kam früher frisch aus einer Weimarer Bäckerei. Die ist mittlerweile durch die hohen Energiepreise bankrott gegangen.“

Das Studierendenwerk überprüft für  Fleischgerichte eigenständig die Lebensbedingungen der Tiere in thüringischen Betrieben. „Die Pute, die bei uns auf den Teller kommt, hat von uns das Siegel noch artgerechte Haltung bekommen.“ Außerdem versucht das Studierendenwerk, das Konzept von nose to tail umzusetzen: Wenn schon ein Tier getötet wird, dann sollte es auch als Ganzes verwertet werden.
Die ersten Arbeiter:innen beginnen schon um 5:30 Uhr in der Küche. Der ganze Tag steht von jetzt an unter dem strengen Hygieneregiment des deutschen Lebensmittelgesetzes, des HACCPs. „Dieses ganze Konzept kommt aus dem Weltraum”, sagt eine Köchin dazu. Weiße Küchenkittel und Hauben sind obligat. Die Maschinen werden gestartet und das Frühstück vorbereitet. Um 6:30 Uhr kommt dann das ganze Team für eine Dienstbesprechung zusammen.

Wie kommt das Essen auf den Tisch?

Jede:r weiß, was zu tun ist, es muss nur nachjustiert werden: Ist gestern etwas übrig geblieben, was man im heutigen Essen verarbeiten oder nochmal anbieten kann? Ab 7 Uhr startet dann die Produktion. Die Küche ähnelt einer kleinen Fabrikhalle. Der 2.5000 Euro teure Stolz ist eine Maschine, die ganz von alleine dämpfen, kochen, braten und wenden kann. Das Küchenpersonal kocht sieben bis acht Chargen für das Mittagessen vor

“Wir sind nicht Mutti und Vati. Lassen Sie sich weniger geben. Wenn Sie etwas nicht mögen, können Sie gratis Komponenten des Gerichts austauschen.”

Die Zeit bis um zwei bedeutet für die Küche vor allem eines: Dreckiges Geschirr und Besteck. Das Tablett mit dem leeren Teller hat auf dem Fließband eine längere Reise vor sich. Durch das Loch in der Wand verschwindet es in einem Nebenraum der Küche. Dort stehen zwei Arbeiter:innen. Sie schieben eventuelle Essensreste in eine Öffnung  in ihrem Tisch und stellen den Teller in ein Plastikgestell, das auf einem weiteren Band steht. Das Tablett mit dem Besteck fährt unterdessen weiter. Die Arbeit ist für das Personal deutlich weniger stressig, wenn das Besteck geordnet neben dem Teller liegt. So kann es von einem starken Magnet problemlos abgehoben werden. Es fällt zur Seite und fährt parallel zu dem Porzellangeschirr und den Tabletts in eine von zwei Waschstraßen ein und kommt hinten sauber und trocken heraus.

Was passiert mit dem Rest?

Durch das Resteloch fällt der Müll in ein Silo im Kellerraum und wartet auf die Verbrennung in der Biogasanlage. Ganze 85 % des Abfalls der Mensa sind die übrig gelassenen Essensreste der Studis auf ihrem Teller. Winkler appelliert an sie: „Wir sind nicht Mutti und Vati. Lassen Sie sich weniger geben. Wenn Sie etwas nicht mögen, können Sie gratis Komponenten des Gerichts austauschen oder das Sojasteak gegen den Aufpreis an der Kasse doppelt nehmen.“ Im Durchschnitt fallen pro 500 Gramm 8 % Abfall an. Damit schneidet die Mensa besser ab als die meisten Restaurants mit 11 %. Essen, das nicht verkauft wurde, wird runtergekühlt und geht am nächsten Tag raus. Die Weitergabe der essbaren Reste ergibt sich laut Winkler als schwierig: „Wir dürfen das Essen leider nur nach den Vorgaben des HACCPs abgeben. Das können sich Tafeln nicht leisten.“

Auf der sonnigen Terrasse genießen Studierende mittlerweile ihr Sojasteak. Bald müssen sie den Hafermilchcappuccino ausgetrunken haben – die Tür der Mensa an der Carl-Zeiss-Promenade schließt um 15 Uhr. Dann geht das Küchenpersonal in den wohlverdienten Feierabend.

Foto: Götz Wagner

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