Der kleinste gemeinsame Nenner

Jena soll klimaneutral werden. Dank des Klimaaktionsplans (KAP) wissen wir jetzt auch, wie das gehen soll. Wir haben uns angeschaut, was dort drinsteht.

von Johannes Vogt

Eigentlich sind Stadtratssitzungen langweilig. Die meisten Entscheidungen sind dann schon getroffen und es fehlt nur noch der formale Akt der Abstimmung. Am 19. April kommen trotzdem rund 60 Unterstützer:innen des Klimaentscheids, um die Stadt an ihre Versprechen zu erinnern: Jena soll klimaneutral werden. Viel verändern sie an dem Abend allerdings nicht, denn die Entscheidung wurde auch diesmal schon hinter verschlossenen Türen getroffen. Die Fraktionen haben ihre Änderungsanträge zurückgezogen und stimmen dem Klimaaktionsplan (KAP) fast einstimmig zu.

Vor einem Monat sah das noch anders aus. Damals schien das Vorhaben unter dem Druck realpolitischer Werkeleien zu scheitern. In 35 Anträgen versuchten dieStadtratsparteien, den KAP an ihre Vorstellungen anzupassen. In nichtöffentlichen Ausschüssen haben sich die Fraktionen nun geeinigt, die Debatte ist dementsprechend nichtssagend. Alle bedanken sich bei sich und den Anderen für die gute Zusammenarbeit und die Kompromissbereitschaft. Grüne und Linke hoffen, dass die geplanten Maßnahmen nur der erste Schritt sind, CDU und FDP finden den schon fast zu groß und die Zuschauer:innen applaudieren: 29 zu 3 angenommen.

Was steht drin?

Wer auf einen großen Knall in Sachen Klimaschutz gehofft hat, wird vom KAP wahrscheinlich enttäuscht. Viele Maßnahmen sind eher das kleine Einmaleins der ökologischen Transformation: mehr Flächen für erneuerbare Energien, Mindeststandards für Neubauten in Sachen Energieeffizienz und Beratungsangebote für Unternehmen, Konsumenten und die Industrie. An wirklich dicke Bretter traut sich die Stadtverwaltung nicht. Die meisten Maßnahmen zielen darauf ab, Energie einzusparen oder erneuerbare Energien zu fördern. Das ist nicht schlecht, aber es reicht bestimmt nicht.

Der KAP geht davon aus, dass nach allen Maßnahmen trotzdem 20 Prozent der Emissionen unvermeidbar sind. Für sie sind Kompensationsmaßnahmen vorgesehen, also Projekte, die Treibhausgase aus der Atmosphäre entziehen. Der Verkehrssektor verursacht die Hälfte dieser übrigen 20 Prozent. Ausgerechnet hier hat die Stadt aber einige Maßnahmen aufgeweicht. Zum Beispiel sollten Parkplätze teurer werden. In der neuesten Version des KAP wird diese Maßnahme aber nur noch geprüft, ob sie wirklich kommt, ist noch offen. Außerdem wurden konkrete Zahlen gestrichen. Auch die Geschwindigkeitsreduzierung in der Innenstadt gilt in der Beschlussfassung nur noch für das Nebennetz, also kleinere Straßen. Von der Mobilitätswende bleibt vor allem die Förderung des ÖPNV übrig. Er soll billiger und attraktiver werden.Die Überwindung des individuellen Nahverkehrs wäre eines dieser dicken Bretter gewesen, an das sich die Stadt aber leider nicht getraut hat.

Klimaschutz misst sich nicht am politisch Möglichen, sondern am wissenschaftlich Nötigen.

Der Klimaaktionsplan erfasst nicht alle Emissionen, die Jena verursacht. Er konzentriert sich nur auf drei Themenfelder: Wärme, Strom und Mobilität. Laut Umweltministerium verursachen diese 85 Prozent aller Treibhausgase in Deutschland. Das gilt, so die Argumentation, wahrscheinlich auch für Jena. Alle anderen Treibhausgase seien zu schwer zu erheben, heißt es im Bericht zum KAP der Stadt. Darunter fallen vor allem graue Emissionen, die bei der Herstellung von Produkten anfallen, die nicht in Jena produziert, aber hier genutzt werden. Auch die Land- und Abfallwirtschaft werden im KAP ignoriert.

Der Runde Tisch Klima und Umwelt (RTKU) geht deshalb sogar davon aus, dass nur die Hälfte der tatsächlichen Emissionen überhaupt beachtet wird. Deshalb fordert der RTKU, dass die Maßnahmen weiter verschärft werden. Selbst wenn man der Argumentation der Stadt folgt,bleiben am Ende also 35 Prozent der Emissionen übrig: 20 Prozent unvermeidbare und 15 Prozent unberechenbare Emissionen. Der Klimaaktionsplan entspräche deshalb nicht mehr seinem Ziel, kritisiert die Initiative Klimaentscheid Jena. In einer Stellungnahme schreiben sie, dass der KAP „selbst bei vollständiger Umsetzung nicht dem ursprünglichen Anspruch der Initiative – netto-null Treibhausgasemissionen für Jena – gerecht werden kann.“

Der KAP ist der kleinste gemeinsame Nenner des Stadtrats. Vor einem Monat sah es eher danach aus, als ob einige der Maßnahmen vollständig gestrichen werden. Dazu ist es nicht gekommen und der KAP ist in seiner Essenz erhalten geblieben. Das einzige Problem: Klimaschutz misst sich nicht am politisch Möglichen, sondern am wissenschaftlich Nötigen. Auch wenn sich alle geeinigt haben, die Klimakrise saß nicht mit am Tisch. Ob der Plan auch diesem Maß entspricht, wird sich zeigen. Wahrscheinlich muss die Stadt den KAP in Zukunft nochmal nachjustieren.

Foto: Pauline Schiller

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